Statement des Humanistischen Verbandes Österreichs (HVÖ)

Einführung des Ethikunterrichtes wäre ein Rückschritt

Die Humanisten des Humanistischen Verbandes Österreich (HVÖ) sind wütend. "Die Regierungsvorlage zum Ethikunterricht zwingt Nicht-Religiöse zu einem Ersatz von etwas, was nicht ihre Sache ist." Das sagt Gerhard Engelmayer, der Präsident des HVÖ. "Gleichzeitig betont sie die Wichtigkeit von Ethikunterricht, schließt aber alle Religiösen dabei aus."

Es ist ein fauler Kompromiss, der weder pädagogisch sinnvoll ist noch die wichtige Frage der Integration von Andersgläubigen berücksichtigt noch der Verfassung entspricht. Die Regierenden haben keine Lösung zustande gebracht, die die Experten vorgeschlagen haben, die den positiven Erfahrungen mit dem Schulversuch und den Erfahrungen im Ausland entspricht und die von der Mehrheit der Bevölkerung gutgeheißen wird.

Wieder blockiert die konservative Reichshälfte die längst fällige Einführung des Ethikunterrichtes für alle. So bleibt die Kirche, die in allen Umfragen verheerende Imagewerte erzielt, als politischer Faktor ein einflussreicher Hemmschuh österreichischer Politik. Das ist in einem sich als säkular verstehendem Staat ein Indiz dafür, dass die Verantwortlichen noch immer nicht verstanden haben, was einen modernen pluralistischen Staat ausmacht: Die religionspolitische Neutralität! "Religion hat als Glaubensinstitution in der Schule genauso wenig verloren wie am Gericht oder im Spital", so Engelmayer. Lehrer, die die Religion ernst nehmen, sind eine Gefahr, die, die dies nicht tun, verschwenden die Zeit.

Ein rund 20-jähriger Schulversuch "Ethikunterricht" hat durchwegs positive Resultate erzielt, wie aus der Evaluierung von Prof. Anton Bucher von der Universität Salzburg "Ethikunterricht in Österreich" aus 2014 hervorgeht. Ein überwältigender Anteil der Beteiligten hat in Buchers Untersuchung für den Ethikunterricht für alle gestimmt, dieses Ergebnis wurde durch eine Untersuchung des Gallup Institutes unter der Bevölkerung Österreichs Ende Mai 2020 eindrucksvoll bestätigt.

Schon in der Ethik-Enquete 2011 hat Österreichs Philosoph Nummer eins, Prof. Konrad Paul Liessmann, darauf hingewiesen: "Ethikunterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist (…). Gelingen kann Ethikunterricht nur, wenn man anerkennt, dass die Ethik seit der Antike Ausdruck des Willens der Menschen ist, die Fragen ihres Zusammenlebens weder einem Gott noch einer Kirche zu überlassen, sondern ihrer eigenen Souveränität und Vernünftigkeit zu überantworten." Diese Expertise des fachlich qualifiziertesten Wissenschaftlers Österreichs ist einfach beiseitegeschoben worden.

Das Wort "Ersatzfach" wird früher oder später unvermeidlich die Klagen konfessionsloser Eltern provozieren. In Deutschland ist die Bezeichnung "Ersatzfach" mit dem Urteil vom Juli 1998 schon gekippt worden.

Wenn der Ethikunterricht, wie von allen Seiten bestätigt, in unserer heutigen Zeit so viel Sinn macht und für die humanistische Entwicklung der jungen Menschen so wichtig gehalten wird, dann wäre es unverantwortlich, diesen Unterricht den religiösen Schülern und Schülerinnen vorzuenthalten, noch dazu, weil in diesem Unterricht viele Themen der Lebenskunde zur Sprache kommen (Werte, Sinnfindung im Leben, Diskussionskultur, Achtsamkeitsübungen etc.).

Der HVÖ verweist dabei besonders auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Schon daraus lässt sich ableiten, dass auf weltliche Art und Weise an die Grundwerte heranzugehen ist, ohne damit die anerkannten Religionen in Frage zu stellen.

Bearbeitung: Dragan Petrovic
Bearbeitung: Dragan Petrovic

Hier sei eine Vision von einem echten Ethikunterrichtsideal aufgezeigt, wie es im Sinne der Schüler und Schülerinnen und der Lehrer sowie der Mehrzahl der Eltern wäre:

  • Der Wahnsinn einer Schulorganisation mit 15 und wahrscheinlich bald noch mehr verschiedenen Religionsunterrichten von anerkannten Religionen wird abgeschafft, was zu einer ungeheuren Erleichterung in der Organisation des Schulalltages und zu einer Kostenreduktion führt.
  • Stattdessen wird ein flächendeckender Ethik- und Religionenunterricht eingeführt, der das Wissensgebiet, nicht aber das Glaubensgebiet Religionen umfasst. Der Staat soll in einem säkularen Staat neutral sein, das geht nur, wenn er keine Religion privilegiert. Der Religionsunterricht wird – wie in Luxemburg – in die Verantwortung der Religionsgesellschaften zurückgelegt.
  • Der Glaube einer Religion muss im Sinne der Religionsfreiheit, die der Staat garantiert, eben durch diese Religions-Neutralität gesichert werden und der Staat darf sich nicht mit einzelnen Religionen verbünden, auch nicht, wenn sich diese in der Vergangenheit Verdienste erworben haben. Staaten, die sich an diese Regel halten, sind erfolgreich. Eine Binsenweisheit besagt, je theokratischer Staaten sind, umso totalitärer und umso weniger erfolgreich sind sie auf allen Linien.
  • Der vorliegende Gesetzesentwurf dient den Fundamentalisten der gesetzlich anerkannten Religionen, nicht aber den Betroffenen. Es wird das schon bisher komplizierte System weiter verkompliziert und verteuert. Die Trennung von Staat und Religion tut nicht nur der Gesellschaft gut, sondern auch den Religionsgesellschaften. Mit dieser Vision werden alle absehbaren Probleme gelöst:
  1. Integration: Der Staat sorgt für die geistige Integration der jungen Leute im Sinne der Aufklärung und erzieht sie im Sinne einer Pädagogik der gegenseitigen Verständigung, der Diskussionskultur und des Respektes.
  2. Sozialisation: Wissen über den Anderen führt zu einer besseren Sozialisation, die nicht gegeneinander, sondern miteinander Erkenntnisse des besseren Zusammenlebens erarbeitet. Gegenwärtig wird Religion häufig als Schutzschild für nationale und ethische Partikularinteressen missbraucht.
  3. Gewissenskonflikte: Die Lehrer, die im Sinne der Religionsgesellschaften möglichst beide Fächer unterrichten sollen, kommen nicht mehr in einen Gewissenskonflikt. Ein guter Ethiklehrer kann kein guter Religionslehrer sein und umgekehrt, weil Ethik als wissenschaftliche Disziplin einen kritischen Umgang mit der Materie voraussetzt und der Glaube der Religion auf die unkritische Annahme von sogenannten "Glaubens-Wahrheiten" setzt, die nicht weiter hinterfragt werden dürfen.
  4. Qualität: Ein fachlich hochstehender Ethik-Unterricht wäre möglich, wenn der Unterricht nicht in Konkurrenz zum Religionsunterricht steht, weil nicht zwei Fächer gegeneinander kämpfen dürfen, was die Kinder und Jugendlichen eher verwirrt als sie zu bilden. Das gleiche gilt für ultrakonservative Religionsgruppen, die sogar die Evolutionstheorie in Abrede stellen wollen.
  5. Demokratie: Der Staat als Schulträger fördert nicht mehr anti-demokratische Glaubensinhalte. Bei manchen Religionslehrern war das ein Problem. Korchide fand zum Beispiel 2009 heraus, dass 25 Prozent der Religionslehrer Islam und Demokratie für unvereinbar halten. Der Ethikunterricht muss nach einem staatlich akkordierten Lehrplan unterrichtet. Das sind Fakten.
  6. Diskriminierung durch Notengebung: Neue Probleme würden vermieden, die durch die Neudefinition des Begriffes "Pflichtfächer" geschaffen werden. Das hat eine diskriminierende Notenbewertung zu Ungunsten der konfessionsfreien SchülerInnen zur Folge. "Religionsschüler" würden im Schnitt einen besseren Notenschnitt erreichen als die "Ethikschüler", eine Regelung, die sicher ohnehin nicht vor dem Verfassungsgerichtshof hält.

Die Einführung des Ethikunterrichtes wie geplant ist ein Rückschritt und hat unter dem Strich zur Folge, dass die seit rund einem halben Jahrhundert geltende Regelung der Abmeldung vom Religionsunterricht gekippt wird und der Religionsunterricht für alle durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Wer jetzt die Regelung begrüßt und hofft, dass dieser Schritt der erste ist zur Einführung des Ethikunterrichtes für alle, der glaubt nicht an Gott, sondern an das Christkind.

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