taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah setzt Polizisten mit Müll gleich. Die Empörung ist enorm. Der Innenminister hat angekündigt, Strafanzeige zu erstatten. Dann kommt Hilfe von unerwarteter Seite: Auf Twitter nimmt FAZ-Redakteur Patrick Bahners den Text in Schutz. Dafür muss er ihn allerdings tüchtig zurechtbiegen.
Erstaunliche Szenen spielen sich ab: In einem eher spätpubertären Move möchte die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah Polizisten auf der Müllkippe entsorgen und sorgt für eine Meinungsexplosion sondergleichen: Alles, was sich für "links" hält, geht stramm in den Solidaritätsmodus, den man bei der Polizei "Korpsgeist" nennen würde. Neutralere Medienbeobachter schütteln die Köpfe. In der taz selber grummelt es tagelang, doch nur die Gegner des Textes schaffen es, sich öffentlich zu äußern. Innenminister Seehofer will Strafanzeige gegen die Kolumnistin erstatten. Und, bester Twist bisher, auf Twitter kommt Patrick Bahners von der FAZ daher und unternimmt den Versuch, die empfindlich verrutschte Glosse zu legitimieren.
Zu diesem Zweck verpasst er ihm ein Framing, das Beachtung verdient. In einem ersten Paukenschlag streitet Bahners zunächst einmal das Offensichtliche ab: Die Autorin habe eine Entsorgung von Polizisten auf der Müllkippe empfohlen. "Das stimmt nicht", so Bahners. Was aber schrieb sie? Yaghoobifarah spielt in ihrem Text die Frage durch, was mit all den Ex-Polizisten anzufangen sei, sei die Polizei erst einmal abgeschafft. Ende vom Lied: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. (...) Auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten." Das ist als Empfehlung recht eindeutig, und die Zuordnung "ihresgleichen" lässt wenig Zweifel offen, dass hier Menschen mit Müll gleichgesetzt werden.
Bahners hingegen sagt nun, die Autorin spiele ja lediglich "launig" ein irreales Szenario durch, oder auf Deutsch: Kolumne ist ja nicht die Wirklichkeit! Kolumne ist nur so eine comicartige Welt, und wenn dort Dinge empfohlen werden, die gegen das ethische Empfinden verstoßen, dann ist das schon irgendwie okay. Schriebe ich also eine Glosse, in der, sagen wir, alle FAZ-Feuilletonisten in Arbeitslager gesperrt werden, weil sie sich für die Realität als untauglich erwiesen haben, dann wäre das hinzunehmen. Denn meine Forderung fände ja innerhalb der Fiktion statt. Keineswegs hätte ich durch diese spielerische Herabwürdigung und Ent-Menschlichung etwa Verachtung und Gewalt Vorschub geleistet. Die Autorin einer Kolumne wäre vom Inhalt ihrer Kolumne freizusprechen, so sie sich irgendwo erkennbar in eine Fiktion hineinbegibt. Letztlich wäre durch das Uneigentliche des Glossenformats alles problemlos sagbar. Moralische Erwägungen können fröhlich über Bord geworfen werden. Heute wünsche ich die Polizei auf den Müll, morgen irgendeine andere Gruppe. Als nächstes kommen dann Individuen dran.
Bahners erklärt dann, was der Witz der Kolumne sein soll, und dass er es tun muss, sagt schon alles über das Scheitern dieses Textes. Der Witz sei, so Bahners: "Die Autor*in dreht den Spieß um. Angehörige von Minderheiten (...) machen die Erfahrung, dass sie der Polizei verdächtig sind, egal was sie tun. (...) Also zeigt Hengameh Yaghoobifarah den Polizisten, wie das ist, wenn man einem Verdacht ausgesetzt ist, gegen den man sich nicht verteidigen kann." "Wie die Opfer von Polizeigewalt verdinglicht werden und jeder Unschuldige Opfer der Polizei werden kann, solange diese strukturelle Risiken des Gewaltmissbrauchs leugnet, so gibt es Sicherheit vor der so beschriebenen Polizei nur, wenn auch die Polizisten Verdinglichung erfahren."
Auf Deutsch: Wie du mir, so ich dir. Gemäß Bahners spricht die Autorin also nicht etwa zu uns, den Lesern, auf der Grundlage eines Common Sense, sondern sie "zeigt den Polizisten", wie ungerecht und voller Generalverdacht die selber seien. Rache ist Blutwurst. Das mag man nun einerseits für wenig zivilisatorisch halten. Andererseits kann dieser Text, in einer Tageszeitung, an die Allgemeinheit gewendet, eben auch nicht funktionieren. Er setzt voraus, was Bahners nachzuliefern versucht. Von einer typisch polizeilichen "Verdachtshermeneutik", die er bemüht, um den Text zu retten, ist dort nämlich nirgends die Rede. Dort ist nur die Rede vom "Fascho-Mindset" in dieser Berufsgruppe. Auch kann ich am Text nicht erkennen, dass er in irgendeiner Weise die Perspektive von Minderheiten einnimmt. Oder soll ich aus dem nicht ganz urdeutschen Namen der Autorin schließen, sie betrachte sich als Mitglied einer Minderheit, sei massiv unterdrückt und somit – warum auch immer – befugt zu einer Maßlosigkeit, die selbst Bahners einräumt?
Von mir als Leser wird an dieser Stelle ein Vorurteil erwartet, das ich überhaupt gar nicht leisten möchte: Es gibt ja viele Leute mit irgendwie "ausländischem" Namen oder "ausländischem" Aussehen, denen es gar nicht einfiele, sich als Teil einer Minderheit zu begreifen und daraus abzuleiten, sie wären berechtigt zum Hass auf bestimmte Personengruppen. Solche Leute bekommen aber keine Kolumnenplätze. Kolumnen gehen an Leute, die mit teutonischem Oberlehrer-Furor immer wieder erklären, wie unterdrückt sie als Postmigrantinnen sind. Wäre ich auf Krawall gebürstet, würde ich in diesen Kolumnen-Castings einen invertierten Rassismus erkennen wollen, der Menschen mit Migrationshintergrund auf eine ganz bestimmte Rolle "außerhalb" der Gesellschaft festlegen möchte, aber lassen wir das. Hengameh Yaghoobifarah jedenfalls, geboren in Kiel, Abitur in Buchholz in der Nordheide, Studium in Freiburg, ließ sich zu Beginn ihrer Kolumnistinnenkarriere noch als "Nordlicht" ausweisen, sprich: Deutsche unter anderen Deutschen. Dass damit keine Aufmerksamkeit zu erzeugen war, hat sie wohl danach erst gelernt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Seehofer habe bereits Anzeige erstattet. Dies ist bis jetzt (Stand 23. Juni 2020, 14:30 Uhr) noch nicht geschehen.
15 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Nun bekommt sie ja sicher die Aufmerksamkeit, die sie sich gewünscht hat.
Rudi Knoth am Permanenter Link
UNd eventuell bekommt sie einen Job bei Spiegel oder der Zeit. Bei Mely Kiyak hat dies ja geklappt.
Nico Schmelzle am Permanenter Link
"Alles, was sich für "links" hält, geht stramm in den Solidaritätsmodus". Da bin ich ganz anderer Meinung. Gerade WEIL ich mich für links halte, war ich von dem Text zutiefst enttäuscht.
Dass es in dem Text darum geht, "den Spieß umzudrehen" und systematischen Rassismus sozusagen "am eigenen Leib erfahrbar" zu machen, ist ein interessanter Gedanke. In diesem Licht betrachtet macht der Text jedenfalls deutlich mehr Sinn. Gut geschrieben finde ich die Kolumne jedoch nicht, hier stimme ich voll zu: "Bahners erklärt dann, was der Witz der Kolumne sein soll, und dass er es tun muss, sagt schon alles über das Scheitern dieses Textes."
Marianne Mauch am Permanenter Link
Stimme voll zu. Die Kolumne ist einfach unterirdisch schlecht formuliert. Erst die Interpretationshilfe von Bahner verleiht dem Ganzen einen gewissen Sinn.
Nico Schmelzle am Permanenter Link
Noch eine Anmerkung zum Theme "Polizisten auf der Müllkippe entsorgen" und "Menschen mit Müll gleichsetzen".
Im Text geht es ja die ganze Zeit um die Frage, welchen Beruf Polizisten ausüben könnten und im Endeffekt bleibt dann das Arbeiten auf der Müllkippe (arbeiten und entsorgen sind nicht das gleiche). Und nachdem dann alle Polizisten dort arbeiten, sind sie folglich "unter ihresgleichen", weil so viele von ihnen dort arbeiten, nicht weil sie Abfall sind. Das das keine schöne Arbeit ist, ist trotzdem jedem klar.
Betrachtet man den Text nun im dem Lichte, dass er "den Spieß umdrehen will", dann macht das auch Sinn. Denn schon lange ist das Konzept der "Unterschichtung" bekannt. Aus Wikipedia: "Unterschichtung bedeutet für eine Gesellschaftsstruktur, dass Zu- bzw. Einwanderer eine vorhandene Unterschicht so stark auffüllen, dass sie sie faktisch ersetzen, während die vorherige Unterschicht sozial relativ aufsteigt." Tatsächlich sieht man z.B. Migranten aus Afrika in Europa häufig als Müllarbeiter. Und könnte dann über den Einzelnen sagen, "unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt wohl".
Klaus Ungerer am Permanenter Link
Lieber Nico Schmelzle,
vielen Dank für Ihren differenzierten Kommentar. Dass der Text darin versagt, sein Anliegen, also eine mögliche Migrantinnen- oder Polizeiopfer-Perspektive, klarzumachen, habe ich ja schon dargelegt.
Spannend ist natürlich die Frage, ob hier Menschen mit Müll gleichgesetzt werden, oder ob mit "ihresgleichen" nur die anderen Polizisten gemeint sind. Als Autor gibt es für mich eine naheliegende Antwort: Es ist ganz bewusst offen gehalten worden, d.h., die Interpretation Menschen=Müll wurde feixend in Kauf genommen. Ich bin grundsätzlich immer ein Freund kluger zweideutiger Formulierungen, nur verstößt das hier Mitgedachte gegen alles, was ich unter zivilisierten Menschen für wünschenswert halte. Und nein, das ist kein Zufall, keine Nachlässigkeit. Das ist eine ganz bewusst gesetzte Provokation.
Letztlich aber auch egal, ob die Doppeldeutigkeit ein Versehen war: Wofür gibt es denn eine Redaktion, wenn eine mies bezahlte Kolumnistin ihren Text schickt? Das Versagen liegt ja auf Seiten der taz, über die Autorin aber ist das ganze Unheil hereingebrochen. Man hätte sie davor bewahren müssen.
Beste Grüße,
Klaus Ungerer
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ich kann Klaus Ungerer nur zustimmen.
Von Patrick Bahners war ich schon so manches Skurrile gewöhnt als er noch Feuilletonchef bei der FAZ war. Sein Plädoyer für Hengameh Yaghoobifarah toppt allerdings wohl alles, was an winkligen Rechtfertigungen von ihm bisher geliefert wurde.
Angenommen ein Vertreter der AfD hätte sich so geäußert, die hochgepeitschte Entrüstung wäre grenzenlos gewesen. Der Ruf nicht nur nach Beobachtung, nein das sofortige Verbot dieser Partei, vermutlich samt Einkerkerung des Autors wäre öffentlich gefordert worden. Der Grad der Empörung der Kommentatoren hätte auf der nach oben offenen Empörungsskala neue Höchstwerte erreicht. Man darf aus dieser höchstwahrscheinlich eingetretenen alternativen Reaktion schließen, dass Doppelmoral in unseren Medien inzwischen zum Standardverhalten mutiert ist.
Hätte sich nur irgendein Spinner auf Facebook zu solcher Form der Entsorgung von staatlichen Wächtern hinreißen lassen – die sofortige Löschung des Accounts wäre das mindeste gewesen, was dem/der Schreiberling*in widerfahren wäre. In diesem Fall hätte selbst der Advokat Steinhöfel den Prozess gegen Facebook verloren.
Rudi Knoth am Permanenter Link
Zitat:"Angenommen ein Vertreter der AfD hätte sich so geäußert, die hochgepeitschte Entrüstung wäre grenzenlos gewesen.
Alexander Gauland hatte ähnliches gesagt (Dann kann man sie in Anatolien entsorgen). Die von Ihnen genannten Reaktionen sind zwar nicht eingetreten, aber ihm wird das schon bis heute vorgehalten.
Marianne Mauch am Permanenter Link
Aus einer "höchstwahrscheinlich eingetretenen alternativen Reaktion", die aber, weil der Artikel eben nicht von einem Vertreter der AfD stammt, überhaupt keine Chance hatte, sich einzustellen, kann man überh
Kathi am Permanenter Link
Wenn schon Politiker nicht die "Eier in der Hose" haben, zu ihrer Kritik zu stehen und Strafanzeige zu stellen (Seehofer etc), sollten wir als Bürger die Konsequenzen ziehen und solche Medien nicht konsumier
Hans Trutnau am Permanenter Link
Liebe Kathi, danke für das Zitat in " ". Geht sprichwörtlich auch ohne ".
Du bist hier ja noch nicht lange aktiv (oder?), triffst den Nagel aber immer voll auf den Kopf; meine Anerkennung!
Rudi Knoth am Permanenter Link
Eventuell war dieser Artikel auch dazu gedacht, die Auflage der TAZ zu steigern. Verbunden mit der Anzeige von Herr Seehofer könnte man fast von einer TAZ-Affäre analog der Spiegel-Affäre 1962 sprechen.
A.S. am Permanenter Link
Hätte ein AfD-Politiker geschrieben, Flüchtlinge und Migranten solle man auf dem Müll entsorgen, hätte es zu Recht einen riesigen Aufschrei gegeben.
Welch eine Doppelmoral! Abscheulich!
Menschen gehören nicht auf den Müll. Basta.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Schon nach wenigen Zeilen, in denen die Autorin in grotesken Gründen für die Nicht-Verwendungsfähigkeit der ehemaligen Polizisten schwelgt, war mir klar, dass diese Kolumne in Wahrheit eine Satire ist, die gut in eine
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Oh, du meine Güte! Leute, lasst stecken.
Wir alle können unsere Stimme erheben und unseren Polizisten unsere Hochachtung aussprechen, weil sie für uns einen Job machen, den kaum einer von uns machen möchte aber eine Strafanzeige stellen, wie unser Heimatmuseumsminister es vorhatte, ehe er eines besseren besonnen wurde - das geht gar nicht.
Sonst kommt demnächst ein Hardcore-Religionist vorbei und stellt Strafantrag, weil ich das Wort Lattensepp verwendet habe oder Attila Hildmann beschwert sich, weil ich seine Anhänger und ihn Wahnwichtel nenne.