Geschichtsaufarbeitung im Leipziger Zoo

In Leipzig wird – offenbar erstmalig in größerem Rahmen – über die menschenverachtenden "Völkerschauen" diskutiert, die unter der Ägide von Zoogründer Ernst Pinkert (1844–1909) Ende des 19. Jahrhunderts und bis herauf ins frühe 20. Jahrhundert im örtlichen Zoo stattfanden.

Vor dem Hintergrund des jüngst auch in Deutschland um sich greifenden Protestes gegen Alltagsrassismus – allein in Leipzig waren Anfang Juni 2020 rund 15.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen rassistische (Polizei-)Gewalt zu demonstrieren –, hatte sich die Politikwissenschaftlerin Hanne Tijmann mit einem Schreiben an die Leipziger Ratsversammlung gewandt. Sie hatte darin ihrer Verwunderung Ausdruck gegeben, dass Zoogründer Ernst Pinkert, der in seinem Zoo über Jahre hinweg unverhohlen rassistisch motivierte sogenannte "Völkerschauen" veranstaltet hatte, bis heute ungeteilte öffentliche Ehrung erfährt. Erst vor wenigen Jahren, genauer: am 16. Juni 2010, hatte die Ratsversammlung der Stadt einstimmig (bei nur zwei Enthaltungen) beschlossen, dass "die 25. Schule (Grundschule) in 04318 Leipzig, Martinstraße 7, ab dem Tag der Beschlussfassung den Namen Ernst-Pinkert-Schule – Grundschule der Stadt Leipzig" tragen solle. Bereits im Jahr davor war anläßlich des 100. Todestages des Zoobegründers ein Straßenstück in "Ernst-Pinkert-Straße" umbenannt worden. Im Zoo selbst findet sich seit je ein Gedenk- und Ehrenmal für Pinkert.

Vom Gastwirt zum Zoodirektor

Der Leipziger Zoo geht ursprünglich auf ein kleines Wildgehege zurück, das der Gastwirt Ernst Pinkert ab Mitte der 1870er rund um seine Ausflugsgaststätte "Pfaffendorfer Hof" angelegt hatte. Pinkert hatte dazu leerstehende Stallungen gepachtet, in denen zuvor die Leipziger Metzgerinnung ihr "Schlachtvieh" untergestellt hatte; zudem ließ er auf einer Schafsweide vor seiner Gaststätte ein kleines Affenhaus, einen Bärenzwinger und ein paar weitere Käfige und Gehege einrichten. Zur offiziellen Eröffnung am Pfingstsonntag 1878 konnte er bereits eine ganze Reihe an Exoten präsentieren – Kängurus, Antilopen, Paviane, aber auch Seelöwen und Alligatoren –, die er über den Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck bezogen hatte. Des großen Publikumserfolges wegen wurde er zum Königlichen Kommissionsrat ernannt, mit entsprechend angehobenem Status seiner Gastwirtschaft, wodurch er das Zoogelände schon bald auf drei Hektar ausdehnen und seinen Tierbestand erheblich erweitern konnte. Dem Zoo Berlin kaufte er zwei Löwen und einen Tiger ab, kurze Zeit später kam ein erster Schimpanse hinzu. Ab 1894 gab es, erstmalig überhaupt in einem deutschen Zoo, bei Pinkert einen leibhaftigen Orang-Utan zu besichtigen.

Anzeige aus "Leipziger Tagblatt" vom 25.7.1894 (Archiv GAP)
Anzeige aus "Leipziger Tagblatt" vom 25.7.1894 (Archiv GAP)

Pinkert zeigte in seinem "Thierpark" aber nicht nur Tiere, vielmehr hielt er von Anfang an vielerlei sonstige Volksbelustigung feil. Auf einer eigens errichteten "Völkerbühne" mit Urwaldkulisse ließ er "Menschen fremder Völker" auftreten, die Hagenbeck regelmäßig anlieferte: mithin Kalmyken, Kirgisen oder als "Suaheli" angekündigte Somalier; Sonderattraktion des Jahres 1897 waren barbusige Samoanerinnen. Die zur Schau gestellten Menschen mussten sich bei ihren Vorführungen möglichst unbeholfen anstellen, um einen möglichst hohen Unterhaltungswert zu garantieren.

Die Leipziger "Völkerschauen" wurden nach Pinkerts Tod 1909 von dessen Nachfolger Johannes Gebbing (1874–1958) fortgeführt. 1930 präsentierte Gebbing im Rahmen einer der letzten "Völkerschauen" hierzulande sogenannte "Tellerlippennegerinnen", Menschen der Sara Kaba aus dem damaligen Französisch-Äquatorialafrika, der heutigen Republik Tschad. Erst 1931 wurden die "Völkerschauen" eingestellt.

Kulturchauvinismus und Rassismus

Meist waren die von der Hamburger Tierhandelsfirma Hagenbeck vermittelten "Wilden" eine ganze Saison lang im Leipziger Zoo zu besichtigen, dann wurden sie von anderen abgelöst. Letztlich fanden über die Jahre hinweg etwa vierzig "Völkerschauen" in Leipzig statt. Auch wenn immer wieder nord- oder osteuropäische Gruppen auftraten, war doch die ganze Präsentation "wilder Menschen" darauf angelegt, die Überlegenheit des zivilisierten und christianisierten "weißen Mannes" herauszustellen: vor allem die Schauen mit dunkelhäutigen Menschen waren offen rassistisch.

In der heutigen Selbstdarstellung des Leipziger Zoos finden sich kaum Hinweise auf die jahrzehntelang betriebenen "Völkerschauen", insofern findet sich auch keine kritische Einordnung oder Distanzierung davon.

Ehrenmal Pinkerts im Leipziger Zoo (Archiv GAP)
Ehrenmal Pinkerts im Leipziger Zoo (Archiv GAP)

"Die Benennung einer Schule und einer Straße nach Ernst Pinkert", wie Politikwissenschaftlerin Tijmann in ihrem Schreiben an die Leipziger Ratsversammlung betont, "reproduziert koloniale Machtverhältnisse und ist Ausdruck rassistischer Kontinuitäten." Dass die Stadt Leipzig beziehungsweise der seinerzeitige Stadtrat eine Straße und eine Grundschule nach Pinkert benannt haben, also nach jemandem, der "rassistischer und kolonialer Täter ist, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer von Rassismus". Sie fordert von der Stadt, sich offensiv gegen Rassismus zu positionieren, etwa mit der Umbenennung der nach Ernst Pinkert benannten Schule und Straße: "Ein wirklich solidarisches Zeichen mit von Rassismus Betroffenen wäre es, sie in die Namensfindung einzubeziehen und gemeinsam antirassistische Namensgeberinnen oder -geber zu finden."

Selbstredend sollte auch der Zoo selbst, der als GmbH zu hundert Prozent in Händen der Stadt liegt, verpflichtet werden, das Gedenk- und Ehrenmal Pinkerts mit einer entsprechenden Aufklärungstafel zu versehen. Das Gleiche gilt für Pinkerts Nachfolger Johannes Gebbing, der den Zoo von 1909 bis 1934 leitete; auch unter seiner Ägide fanden rassistische "Völkerschauen" statt. Und auch für ihn findet sich – im Aquarium des Zoos, das er 1910 begründete – eine unkommentierte Gedenk- und Ehrentafel.

Schul- und Straßenumbenennung wären schnell machbar

In Berlin hat man – gleichwohl erst auf massiven Druck von außen hin – eine seit Mitte der 1950er nach Prof. Dr. Ludwig Heck (1860–1951) benannte Grundschule vor ein paar Jahren umbenannt. Als langjähriger Direktor des Berliner Zoos war Heck verantwortlich gewesen für die menschenverachtend-rassistischen "Völkerschauen", die bis 1931 dort stattfanden. Zudem war er als überzeugter Nationalsozialist maßgeblich an der Entwicklung der NS-Rassenlehre und des sogenannten Sozialdarwinismus des NS-Staates beteiligt gewesen. Die nach ihm benannte Schule wurde 2017 nach der von den Nazis als "schädlich und unerwünscht" geschmähten jüdischen Lyrikerin Mascha Kaléko umbenannt. Im Zoo selbst wird – ebenfalls auf massiven Druck von außen hin – die tiefe Verstrickung Ludwig Hecks und seines Sohnes und Amtsnachfolgers Lutz Heck in den Nationalsozialismus seit Kurzem in einer Dauerausstellung thematisiert. Eine im Zoo aufgestellte Ehrenbüste für Lutz Heck wurde mit einer erklärenden Tafel versehen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!