Die Church of England und der Missbrauchsskandal

Ein Scheck für die Opfer und alles ist gut?

Es ist ein vernichtendes Zeugnis für die Church of England: Statt an der Aufklärung des Missbrauchsskandals mitzuwirken, biete sie im Gegenteil den Tätern aus ihren Reihen Schutz, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Bericht der unabhängigen Einrichtung Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA).

In dem 170-Seiten-Papier bündelt die IICSA die Resultate einer Untersuchung über den Umgang der Church of England und der anglikanischen Kirche mit dem Missbrauchsskandal in Wales. Demnach wurden dort zwischen 1940 und 2018 nicht weniger als 319 Kleriker und Vertrauensleute der Kirche wegen Missbrauchs verurteilt.

Eine Kultur des Täterschutzes und ein Selbstverständnis, das die Kirche über jegliche moralische Kritik erhaben wähnt – all dies wertet das Papier als besonders gravierend. "Dass die Kirche in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch das körperliche, emotionale und spirituelle Wohlergehen von Kindern und jungen Menschen zugunsten ihres eigenen Ansehens zurückgestellt hat, widerspricht ihrer Mission von Liebe und Schutz der Unschuldigen und Schwachen", heißt es dort. Obgleich führende Kirchenmänner den Wandel inzwischen mit Worten unterstützten, bedürfe es für einen dauerhaften Umbruch mehr als Plattitüden, so der Bericht weiter.

Das Papier stützt sich auf zahlreichen Zeugenaussagen. Befragt wurden nicht nur der höchste Würdenträger der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, und der frühere Erzbischof von York, John Sentamu, sondern auch Missbrauchsopfer sowie Fachleute aus Kirchenkreisen und darüber hinaus.

Die Bestandsaufnahme deckt sich mit dem, was Opfer und ihre Vertreter seit Langem beklagen. "Die Bischöfe besitzen zu viel Macht und werden zu wenig zur Rechenschaft gezogen", resümiert etwa der Opferanwalt Richard Scorer, der 29 Missbrauchsbetroffene vertritt, "Vorschriften werden nicht ordnungsgemäß durchgesetzt, sexuelle Übergriffe durch Kirchenleute noch immer bagatellisiert".

Als Konsequenz fordern die AutorInnen, den Bischöfen die Entscheidungshoheit bei Missbrauchsanschuldigungen gegenüber Kirchenleuten zu entziehen. An ihrer Stelle sollen Beamte entscheiden, welche Fälle in die Zuständigkeit von Polizei oder sozialen Diensten gehören. Ihnen soll auch die Entscheidung obliegen, welche Maßnahmen notwendig sind, um die Sicherheit der betroffenen Kinder zu gewährleisten.

Die Kirche reagiert inzwischen – mit warmen Worten und finanziellen Versprechungen. Schon im Vorfeld der Veröffentlichung hatten die Erzbischöfe von Canterbury und York in einem Offenen Brief die Missbrauchsopfer um Verzeihung für die "Handlungen der Kirche" gebeten. Darin beteuerten sie ihre Bereitschaft, "den Ergebnissen des Berichts Aufmerksamkeit zu schenken, daraus zu lernen und entsprechend zu handeln".

Immerhin will die Church of England den Opfern eine Entschädigung in Höhe von mehreren Millionen Pfund zahlen. Das Archbishop's Council hat sich einstimmig dafür ausgesprochen, im Rahmen eines Pilotprojekts Geldreserven für die ersten Auszahlungen an Opfer zu bilden.

Über das genaue Volumen ist noch nichts bekannt. Eine Schätzung geht von tausenden Betroffenen aus. Alleine im Jahr 2017 wurde die Kirche mit 3.287 Beschuldigungen wegen des Missbrauchs von Kindern und schutzbedürftigen Erwachsenen konfrontiert, darunter auch Vorwürfe schwerer Straftaten. Etwa jeder dritte Fall wurde an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet.

Bei den ersten Empfängern der Entschädigungszahlung soll es sich um zehn Personen in einer "ernsten Notlage" handeln, denen gegenüber die Kirche "eine erhöhte Verantwortung" trage. Eine von ihnen erhalte bereits Gelder. Auf der Grundlage dieses Pilotprojektes will das Archbishop's Council ein umfassendes Entschädigungssystem für die Opfer kirchlichen Missbrauchs schaffen.

Dass es dabei nicht um einen Akt der Barmherzigkeit geht, sondern vielmehr darum, jahrzehntelang angehäufte Schulden gegenüber den Opfern zu tilgen, betont Andrew Graystone, der eine Reihe von Betroffenen als Anwalt vertritt. Mit einem Scheck und einer Entschuldigung sei es nicht getan. Es ist bekannt, dass zahlreiche Missbrauchsopfer lebenslang unter den psychischen Folgen leiden. Laut Graystone seien viele auf individuell unterschiedliche Hilfen angewiesen, etwa bei Unterkunft und Beratung, aber auch finanzielle Unterstützung, etwa bei Erwerbsunfähigkeit infolge des Missbrauchs.

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