Skeptiker 4/2020 erschienen

Weshalb glauben Menschen an Verschwörungserzählungen?

Tendenziell ängstlich, emotional labil, aber auch offen für neue Erfahrungen – diese scheinbar widersprüchlichen Persönlichkeitseigenschaften haben Wuppertaler Psychologen vermehrt bei Menschen festgestellt, die zu Verschwörungstheorien neigen. Dies gelang mit einem neu entwickelten Messverfahren, das dazu beiträgt, die Bereitschaft zum Verschwörungsdenken weltweit besser zu verstehen.

Während das psychologische Wissen über den Glauben an Verschwörungstheorien wächst, engagieren sich SchülerInnen und Lehrkräfte einer Gesamtschule in Moers für Aufklärung und kritisches Denken, trotz massiver Anfeindungen und Drohungen. In der neuen Ausgabe der Zeitschrift Skeptiker, herausgegeben von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), kommen beide zu Wort.

Welche Eigenschaften machen Menschen empfänglich für Verschwörungserzählungen? Psychologinnen und Psychologen erforschen seit einiger Zeit verstärkt, inwieweit die Faktoren Geschlecht, Alter, politische Einstellung und Persönlichkeitsmerkmale die Neigung zum Verschwörungsdenken beeinflussen. Bisher wurden den Teilnehmenden in solchen Untersuchungen meist Listen einzelner Verschwörungserzählungen, etwa zu 9/11, der Mondlandung oder Chemtrails, vorgelegt, um deren Bekanntheitsgrad zu bestimmen. Doch nicht jeder kennt alle Verschwörungstheorien, außerdem variiert die Bekanntheit in verschiedenen sozialen und kulturellen Gruppen. Beispielsweise ranken sich in Großbritannien viele solche Geschichten um die Anschläge auf die Londoner U-Bahn 2005, während in Deutschland das Thema von nachrangiger Bedeutung ist.

Um unabhängig von derartigen Unterschieden die Tendenz zum Verschwörungsdenken im Allgemeinen zu ermitteln, haben die Psychologen Dr. Günter Molz und Frederic Maas (genannt Bermpohl) ein Messverfahren entwickelt. Die erste Anwendung erbrachte teils überraschende Ergebnisse und bestätigte frühere Befunde, wie die Autoren im aktuellen Skeptiker 4/2020 schreiben.

So fanden sie keine individuellen Eigenschaften, die als starker Indikator für oder gegen Verschwörungsdenken fungieren. Tendenzen seien dennoch erkennbar, so neigen beispielsweise Frauen eher zum Verschwörungsdenken als Männer. Auf den ersten Blick mag dies überraschen, steht jedoch im Einklang mit dem Befund von Mestel, Laireiter, Maragkos, Hell und Hergovich, die in ihrer Studie 2016 bei Frauen eine höhere Neigung zu nicht-rationalem Denken und eine geringere Zustimmung zu Wissenschaftlichkeit festgestellt hatten. In der neuen Studie zeigte sich außerdem, dass jüngere Menschen tendenziell eher zu Verschwörungsdenken neigen als ältere, und dass bei AfD-Anhängern ein stärkerer Verschwörungsglaube herrscht als bei Menschen mit anderer politischer Orientierung.

Weiter bestätigt die Skeptiker-Studie frühere Forschungen, die einen Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus (emotionale Ansprechbarkeit) zeigten. Andererseits zeigen sich Verschwörungsgläubige jedoch auch besonders offen für Erfahrungen, vermutlich, weil unkonventionelle Ideen für sie besonders attraktiv sind.

Eine andere, vor allem im außerakademischen Diskurs verbreitete Ansicht konnten die beiden Autoren widerlegen: Verschwörungsgläubige weisen im Durchschnitt ebenso hohe Intelligenzleistungen auf wie andere Menschen. Lediglich beim Arbeitsgedächtnis schneiden sie geringfügig schlechter ab, während sie bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit vorne liegen. Zukünftige Forschungen werden hier gewiss aufschlussreich sein. Auf weitere Untersuchungen mit größeren Stichproben darf man gespannt sein, ebenso auf die Entstehung und Verbreitung neuer Verschwörungserzählungen im Verlauf der Corona-Pandemie.

Eine bedeutende Rolle für die Rezeption von Verschwörungstheorien dürfte auch der Aufklärungsarbeit für kritisches Denken zukommen. Genau dies hatte sich die Schülervertretung der Geschwister-Scholl-Gesamtschule (GSG) im niederrheinischen Moers zur Aufgabe gemacht. Unter dem Motto "Mein Aluhut gegen verstrahltes Gedankengut" hatten sie zu einem Fotowettbewerb aufgerufen, bei dem sich Schülerinnen und Schüler mit selbstgemachten Leichtmetall-Kopfbedeckungen vor die Kamera stellten. Sie wollten damit kritisch-ironisch auf Verschwörungstheorien aufmerksam machen – und ernteten einen konzertierten Shitstorm, entfacht vom Vater eines früheren Schülers, der sich selbst als "Querdenker" bezeichnet. Er erklärte die Namensgebenden der Schule, die Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, kurzerhand zu "Verschwörungstheoretiker[n] der ersten Stunde", weil sie "damals auch anderer Meinung waren" – mittlerweile eine bekannte Strategie auf "Querdenken"-Demos.

Als "erschreckend und entlarvend" bezeichnet Benjamin Janssen, Lehrer an der GSG, solche Aussagen. "Die Gräueltaten des NS-Regimes mit den aktuellen Maßnahmen gleichzusetzen und sich selbst zu Freiheitskämpfern zu ernennen, wenn man dagegen protestiert, entbehrt jeder Logik." In einem ausführlichen Interview mit Skeptiker-Chefreporter Bernd Harder berichten Janssen und seine KollegInnen sowie Schüler von der Aktion, ihren Erfahrungen mit dem geballten Hass – und warum sie trotzdem nicht klein beigeben.

Inhaltsverzeichnis

Skeptiker 4/2020 bestellen: