Das "Voluntary Human Extinction Movement"

Wer stirbt mit mir aus?

Der US-Amerikaner Les U. Knight fordert den Freitod der Menschheit. Das geschieht zu unserem Wohl und zum Wohle des Planeten. "Kümmern wir uns lieber um die Menschen, die schon da sind, anstatt immer neue zu erzeugen!", sagt Knight im Gespräch mit dem hpd.

"Antinatalismus" nennt sich die Philosophie, die den Überbau für Projekte wie das Voluntary Human Extinction Movement (VHEMT) liefert. Der wissenschaftliche Unterbau kommt von einer Studie von Seth Wynes und Kimberly A. Nicholas. Sie wurde 2017 in den Environmental Research Letters veröffentlicht. Das Ergebnis: Der Verzicht auf ein Kind spart pro Jahr 58,6 Tonnen CO2. Das ist bei Weitem die effektivste Art, unser aller Lebensgrundlage zu schützen. Zum Vergleich: Wer insgesamt auf Auto, Flugreisen, fossile Energie und Fleisch verzichtet, reduziert laut derselben Studie den jährlichen CO2-Fußabdruck lediglich um 6,3 Prozent.

Bild: Nina Paley in Zusammenarbeit mit Les U. Knight

Jan-Christian Petersen sprach für den hpd mit Les U. Knight.

hpd: Hallo, Les. Danke, dass Du Dir Zeit nimmst, mein erschüttertes Weltbild zu stabilisieren. Das brach kürzlich zusammen, als ich mich mit Strategien gegen den Klimawandel befasst hatte. Mir war Folgendes aufgefallen: Alles Mühen, den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist zum Scheitern verurteilt, solange wir zeitgleich immer mehr Menschen werden, die diesen Fußabdruck verursachen.

Das ist richtig. Das Reduzieren unseres ökologischen Fußabdrucks wird dadurch zunichte gemacht, dass es immer mehr Füße gibt. Solange die Menschheit wächst, erweist sich aller Fortschritt und aller Erfindungsgeist irgendwann wieder als nutzlos oder ineffektiv. Heute produzieren wir beispielsweise mehr Nahrungsmittel denn je. Dennoch leiden zwei Milliarden Menschen an einer moderaten oder gar an starker Unterversorgung. Das entspricht der doppelten Weltbevölkerung zu jener Zeit, als Robert Malthus schrieb, dass wir uns ausnahmslos immer bis zu den Grenzen unserer Versorgungssicherheit entwickeln würden.

Thomas R. Malthus (1766 – 1834), britischer Ökonom, verfasste "An Essay on the Principle of Population" [Gemälde von John Linnell , CC BY 4.0, via Wikimedia Commons]
Thomas Robert Malthus (1766 – 1834), britischer Ökonom, verfasste "An Essay on the Principle of Population"
(Gemälde von John Linnell via Wikimedia Commons, CC BY 4.0)

An den pessimistischen Ansatz muss man sich erst gewöhnen. Normalerweise wird ja andersherum argumentiert: Gerade der Fortschritt würde es uns immer wieder erlauben, die Nahrungsmittelknappheit, die ungleiche Verteilung und den Klimawandel zu besiegen. Dabei ist der Fortschritt ursächlich, und zwar für die Masse an Menschen, die dieser Tage existiert – und leidet. Schon heute bräuchten wir 1,7 Erden. Doch in keiner einzigen Debatte kommt die ethisch verantwortungsvolle Reduktion der Menschheit, wie sie das VHEMT proklamiert, überhaupt zur Sprache.

Das ist richtig. Ich denke, wir leben in einer Fortpflanzungskultur. Wir sind in allen Bereichen natalistisch konditioniert. Man redet immer vom "Kinderhaben", dabei leben wir als Erwachsene dreimal solange. Ein solches Denken hält uns davon ab, zu realisieren, dass es möglicherweise zu viele menschliche Geburten gibt.

Das Gespräch darüber scheint insbesondere in humanistischen Kreisen tabuisiert zu sein.

Ja. Wenn man ausspricht, dass es einfach zu viele Menschen gibt, führt das gerade unter HumanistInnen zu irrationalen Angriffen. Statt unsere Geburtenraten in die Analysen zur Klimakrise einzurechnen, heißt es dann, man wolle nur vom eigentlichen Thema ablenken. Man wolle arme Mütter in armen Ländern verantwortlich machen, anstatt die reichen Leute und den Kapitalismus, der ja auf ständiges (Bevölkerungs-)Wachstum angewiesen ist. Es heißt dann, Geburtenraten in die Klimamodelle einzurechnen wäre faschistisch, öko-faschistisch. Doch das ist irrational.

Als Einstieg in die Herausforderungen der Bioethik empfiehlt Les U. Knight: David Benatar; Better Never to Have Been; Oxford University Press

Als Einstieg in die Herausforderungen der Bioethik empfiehlt Les U. Knight "Better Never to Have Been" von
David Benatar (Oxford University Press)

Wie viele Menschen müssen sich dem Voluntary Human Extinction Movement anschließen, damit die Bewegung Erfolg haben kann?

Eine kritische Masse ist erforderlich, um das natalistische Paradigma zu ändern. Die Veränderung wird einsetzen, sobald wir verstanden haben, dass die Entscheidung, sich nicht fortzupflanzen, mehr Vorteile mit sich bringt. Doch solange wir unsere Wirtschaftssysteme nicht aus der Abhängigkeit vom Bevölkerungswachstum befreien, wird es großen Druck oder sogar Zwang geben, sich zu vermehren. Druck gibt es in Japan, Polen und Dänemark, aber auch in anderen Ländern. In Iran herrscht Zwang.

Welche Regeln, die dann politisch zu fordern wären, sollten für alle gelten?

Die Wahl, wann und mit wem man sich fortpflanzt, sollte als universelles Menschenrecht anerkannt werden. Dabei sollte uns stets bewusst bleiben, dass das Verständnis von reproduktiver Freiheit auch das Recht auf Nichtfortpflanzung einschließt. Auch diejenigen, die nicht für unsere Bevölkerungsreduktion sind, sollten diese humanistische Verbesserung befürworten. Natalistischer Fortpflanzungsdruck, auch wirtschaftliche Anreize dazu, müssen enden! Bevor wir einen neuen Menschen in die Welt setzen, sollten wir das Wohlergehen bestehender Familienmitglieder berücksichtigen, das Wohl der Gesellschaft, der Biosphäre und insbesondere das Wohl aller zukünftigen neuen Menschen. Es ist keine Zwangspolitik erforderlich, nur Freiheit und Verantwortung.

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