Klimawandel

"Warum habt ihr nichts dagegen getan?"

Das Ausmaß und die Folgen der Klimaproblematik werden immer gravierender. Doch wenn wir nicht die Hände in den Schoß legen, sondern adäquat handeln, können die schlimmsten Auswirkungen und Schäden noch verhindert werden. Constantin Huber führte hierzu ein Interview mit Prof. Dr. Eicke R. Weber, welcher sich kürzlich mit einigen anderen namhaften Persönlichkeiten zusammenschloss, um für die vollständige Energiewende bis spätestens 2035 einzutreten. Denn eine Hinhaltetaktik bis 2050 käme vor allem den jüngeren Generationen teuer zu stehen.

hpd: Herr Prof. Weber, in der akademischen Welt sind Sie für Ihr enormes wissenschaftliches und politisches Engagement für die Energiewende bekannt. Wo lagen in den letzten Jahren Ihre Schwerpunkte?

Prof. Dr. Eicke R. Weber: Auf wissenschaftlicher Ebene ist mein Schwerpunkt die Materialwissenschaft, also vor allem die Defekte im Silicium-Material, was sowohl für die Solarzellen als auch für die Mikroelektronik wichtig ist. In diesem Bereich habe ich auch ausführlich veröffentlicht. Daneben hat mich aber ganz besonders die Frage umgetrieben, weshalb wir in Deutschland und Europa keine Solarzellenproduktion mehr haben. Wir gehen ja davon aus, dass die Welt in Zukunft zu einem wesentlichen Teil von Strom versorgt wird, der aus der Photovoltaik-Technologie stammt. Und da halte ich es für sehr gefährlich, wenn unsere gesamte Solarzellenproduktion in China und Asien zuhause ist.

Prof. Dr. Eicke R. Weber war zehn Jahre lang Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Mit ehemaligen Professuren an der University of California in Berkeley und der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg sowie als Träger des "Humboldt-Forschungspreises", des "Electronics and Photonics Division Award", des "Einstein Award" von "SolarWorld", der "Fraunhofer-Medaille" und des "Walter-Scheel-Preises", seiner Mitgliedschaft in der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – acatech sowie zahlreichen einflussreichen Publikationen gehört er zu den renommiertesten Wissenschaftler:innen seines Fachs.

Allein China und Taiwan besitzen zusammen 83 Prozent der Solarzellenproduktion. In einigen weiteren asiatischen Ländern wie zum Beispiel Korea, Malaysia, Thailand und Japan gibt es auch noch einige wenige Prozente. In der gesamten Europäischen Union werden hingegen nur 0,4 und in den USA gerade einmal 0,3 Prozent der Solarzellen für den globalen Markt hergestellt. Das Bild über diese heikle Situation wird dadurch verwischt, dass häufig lediglich die Solarmodul-Produktion betrachtet wird, denn dort gibt es tatsächlich nennenswerte prozentuale Anteile außerhalb Chinas und Asiens, nicht jedoch bei der Zellenproduktion an sich, also dem eigentlichen Herzstück dieser Technologie.

Deshalb engagiere ich mich dafür, dass wir Solarzellen der sogenannten dritten Generation, die "Heterojunction-Technologie", auch in Europa in großskaligem Maßstab produzieren. Daher engagiere ich mich auch als Chairman des European Solar Manufacturing Council. Das ist eigentlich das, was mich heute am meisten umtreibt – neben meiner Sorge um das Klima und der Schaffung von Voraussetzungen, um schnellstmöglich die erforderlichen 50 bis 60 Terrawatt an Solarleistung zu installieren, damit wir eben die Welt auf erneuerbare Energien umstellen können.

Unter Ihrer Leitung hat sich das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme sowohl personell als auch ideell und finanziell stark ausbauen können. Wie wichtig sind Ihnen die Verbindungen von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik und welche Stellschrauben betrachten Sie rückblickend als besonders entscheidend?

Ganz wichtig ist natürlich, dass Wissenschaft nicht nur im luftleeren Raum arbeitet, sondern ihre Ergebnisse auch der Wirtschaft zugänglich macht. Da bin ich ein großer Freund des Fraunhofer-Modells, wonach sich die Institute im Prinzip finanziell selbst versorgen müssen, wobei sie eine Grundfinanzierung von etwa 10 Prozent erhalten, der Rest ist komplett selbst verdientes Geld. Von den Budgets soll ein Drittel von der Industrie kommen. Und das zwingt natürlich die Fraunhofer-Institute dazu, sich umzuschauen, wo sie der Industrie mit innovativen Lösungen und Technologien helfen können. Das heißt nicht, dass Max-Planck-Institute, die sich der Grundlagenforschung widmen, nicht auch wichtig sind. Aber wenn es darum geht, mit der Industrie zusammenzuarbeiten, ist in meinen Augen das Fraunhofer-Modell am erfolgreichsten.

Beispielbild
Prof. Dr. Eicke Weber (© BVT)

Dazu kommt noch, dass gerade im Gebiet der erneuerbaren Energien auch die Politik eine ganz wesentliche Rolle spielt, da diese die Rahmenbedingungen setzt. Nur, wenn auch die Politik einsieht, dass der schnellstmögliche Übergang zu erneuerbaren Energien das politische Ziel sein muss, können die Rahmenbedingungen als richtig bewertet werden. Dass das aktuell bei uns nicht der Fall ist, lässt sich ganz deutlich zum Beispiel an der letzten EEG-Novelle erkennen: Nach wie vor sind dort Abgaben auf selbsterzeugten und selbstverbrauchten Strom vorgesehen. Nach wie vor ist es der Fall, dass Altanlagenbesitzer:innen teure neue Zähler kaufen müssen, anstatt den Strom einfach und ohne Komplikation selbst zu verbrauchen. Auch übertriebene Abstandsregelungen für Windkraftanlagen sind ein gutes Beispiel. An all diesen Maßnahmen erkennt man eher den heutigen politischen Willen, die Einführung der erneuerbaren Energien so kompliziert und so schwierig wie möglich zu machen.

Dabei sind die erneuerbaren Energien nicht aufzuhalten. Diese sind mittlerweile die preisgünstigste Art, Strom herzustellen. Verglichen zum Beispiel mit Kernkraft, um einen Faktor zwei bis drei und selbst verglichen mit Kohle sind sie immer noch günstiger. Solarstrom kann in sonnenreichen Gegenden für weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde hergestellt werden. Da gibt es einfach keine wirtschaftliche Konkurrenz. Aber in der Politik werden viele Fäden gezogen, um möglichst lang noch die fossilen Energieträger weiter nutzen zu können. Deutlichstes Beispiel in Deutschland war dieses verrückte Kohleausstiegsgesetz. Ohne dieses wäre die Kohleverstromung bereits 2030 zum Ende gekommen. Allein aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn nämlich ein vernünftiger Preis auf CO2-Emissionen gelegt wird, dann macht die Kohleverstromung keinen Sinn mehr. Durch die Milliarden Subventionen aus dem Kohleausstiegsgesetz wird die Kohleverstromung nur bis 2038 herausgezögert. Von den Subventionen für die Atom- oder Automobilindustrie ganz zu schweigen. Das ist wirklich schon eine Orwell'sche Art der Argumentation: wir nennen es Kohle"ausstiegs"gesetz und es ist in Wahrheit aber ein Kohle"garantie"gesetz. Daran sieht man also, wie wichtig auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen wären und ich nehme mal an, dass im September, wenn wir die nächste Bundestagswahl haben, sich in der Bundespolitik auch einiges ändern wird.

Die Rettung des Klimas ist wirklich alternativlos

Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt sind sich einig: der Netto-CO2-Ausstoß muss zeitnah auf null zurückgefahren werden. Wie kann das gelingen?

Wir haben uns in der 100 Prozent Renewable Energy Strategy Group zusammengeschlossen, wozu sehr namhafte Kolleg:innen gehören wie Mark Z. Jacobson von der Stanford University oder Christian Breyer von der LUT University, die auch große Studien zur Thematik gemacht haben; dazu gehört aber auch etwa der Schriftsteller Tony Seba. Alle Wissenschaftler:innen und Expert:innen, die sich in dieser Gruppe zusammengeschlossen haben, sind übereinstimmend zu der Ansicht gekommen, dass es tatsächlich technisch und finanziell möglich ist, auf nahezu 100 Prozent erneuerbare Energien auch in einem sehr engen Zeitrahmen bis 2030 für Strom und 2035 für das Gesamtenergiesystem umzusteigen.

"In der Politik werden viele Fäden gezogen, um möglichst lang noch die fossilen Energieträger weiter nutzen zu können."

Es gibt keine technische Hürde – selbst wenn einige Leute wie etwa Bill Gates sagen, dass noch disruptive Innovationen wie Minikernkraftwerke notwendig seien –, die einen Umstieg verhindern würde. Im Prinzip können wir mit dem Satz der Technologien, die wir heute haben, die Energiewende vollziehen, inklusive aller erforderlichen Speichertechnologien und "Smart Grids", also dem Lastenmanagement im Stromnetz. All das muss natürlich vorhanden sein, aber zum Glück haben wir ja inzwischen die Algorithmen und die Computerleistung dafür. Es gibt also wirklich keinen Grund, warum wir das nicht machen. Aber, dafür müssen wir natürlich zunächst Geld in die Hand nehmen, das ist ganz klar. Doch ehrlich gesagt, 1.000 Milliarden, jetzt global gesprochen, schrecken uns ja gar nicht mehr, nachdem, was wir gerade in den letzten zwölf Monaten erlebt haben. Die US-Regierung hat gerade ein 1.900 Milliarden umfassendes Hilfspaket unterzeichnet. Die Europäische Union hat ein 1.800 Milliarden schweres Paket unterzeichnet. Für die Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe, wenn es sein muss auch 2.000 Milliarden in die Hand zu nehmen, scheint daher möglich. Und das ist ja kein Geld, das im Schornstein verraucht wird, sondern Geld, das für Investitionen genutzt wird, um Fabriken für Photovoltaik und Batterietechnologien und so weiter zu bauen. Also das ist ja alles ein Programm, das die Konjunktur ankurbelt. Und das müssen wir tun, das ist wirklich alternativlos.

Bei all den Leistungen, die die Klimaforschung für uns geleistet hat, müssen wir allerdings auch festhalten, dass diese selbst in den publizierten IPCC-Berichten immer viel zu vorsichtig und viel zu optimistisch war. Die Klimaforscher:innen werden dauernd überrascht damit, dass Entwicklungen, die sie vorausgesagt haben, viel früher eintreten, als sie es erwartet haben. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, darauf hinzuweisen, dass unser Zeithorizont nicht 2050 ist, sondern eindeutig 2030. Es gab ja diese berühmte Veröffentlichung in den Proceedings of the National Academy of Sciences, wo im August 2018 auch Hans Joachim Schellnhuber ein Mitautor war, in der sehr genau und detailliert dargelegt wird, dass wir schon 2030 auf die Klippe zurasen. Und wenn wir über die Klippe springen, anstatt den letzten Exit der CO2-Reduzierung bis 2030 zu nehmen, dann gehen wir nicht in eine Erde mit plus zwei Grad Celsius, sondern in eine mit drei, vier oder fünf Grad, der sogenannten "Hothouse Earth". Dabei reden wir dann nicht von einem Meter Anstieg der Meerwasserstände, sondern von 20 bis 30 Metern höherem Meerwasserpegel. Und wer weiß, welche Wetter- und Klimaerscheinungen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, dann auftreten werden. Je schneller wir erkennen, dass wir beim Klimaschutz ein ähnliches Welt-Crash-Programm benötigen, wie wir es bis jetzt wegen Corona unfreiwillig auf uns nehmen mussten, desto besser.

Bleiben wir noch einen Moment bei dem angesprochenen Umstieg auf erneuerbare Energien, der im Stromsektor bis 2030 und in allen anderen Bereichen bis spätestens 2035 erfolgen soll. In einer gemeinsamen Erklärung fordern Sie und Ihre Kolleg:innen genau das. Was ist in politischer Hinsicht dafür erforderlich?

Es geht um die richtige Weichenstellung. Die Politik muss sich diesen Zielen ernsthaft verschreiben. Und dann ist ganz klar, was man daraus machen kann: Zum Beispiel Fördermittel für den Bau von Solarfabriken. Deutschland könnte, wenn wir das wollten, der Solarlieferant der Welt sein. Also die Rolle, die heute China hat, die könnten wir genauso gut in Deutschland und Europa haben. Solarzellen zu produzieren ist eine Technologie, die nicht irrsinnig viel an Ressourcen verbraucht und man kann dann die Solarzellen in die gesamte Welt liefern. Die Module, also diese großvolumigen Kästen, die man aufs Dach schraubt, die kann man lokal anfertigen lassen. Das heißt, die müssen wiederum nicht um die ganze Welt verschifft werden. Aber die deutsche Bundesregierung, oder sagen wir noch besser die Europäische Kommission, muss sich einem solchen Programm verschreiben. Wenn von den 790 Milliarden aus dem Green Climate Fund auch nur 100 Milliarden zunächst bereitgestellt würden, um Firmengründer:innen zu ermöglichen, ihre ersten Firmen und Produktionsanlagen aufzubauen, dann wäre bereits viel gewonnen. Dazu könnte dann noch eine Abnahmegarantie gegeben werden, sodass Investor:innen gerne bereit sind, dorthin zu investieren oder die Mittel könnten als Kreditgarantien gegeben werden. Wie wichtig und effektiv letztere sind, zeigte sich unter anderem in China.

Denn der große Solarboom der Chinesen wurde nicht durch gigantische Subventionen der chinesischen Regierung angeschoben, sondern dadurch, dass die chinesische Regierung im Jahr 2008/2009 in einem Fünfjahresplan ungefähr 50 Milliarden Dollar als Kreditgarantien zur Verfügung gestellt hat. Überspitzt ausgedrückt: Wer 2008 in China das Wort "Photovoltaik" korrekt buchstabieren konnte, der bekam eine Milliarde Dollar Kreditgarantie zum Aufbau einer Solarfabrik. Und der große Witz ist, dass 80 bis 90 Prozent der Garantien nie gezahlt werden mussten, weil die Firmen profitabel verkauft haben. Solche Garantien haben vor Subventionen den großen Vorteil, dass sie zunächst einmal den Steuerzahler überhaupt nichts kosten. Denn wenn nämlich die Firma floriert, werden die Kredite bedient und die Garantie wird nicht gezogen. Aber die Garantien führen natürlich dazu, dass die Firmen Geld für den niedrigstmöglichen Zinssatz bekommen. Und das wäre gerade heute interessant, wo die Zinsen bei ein bis drei Prozent liegen. Da könnte man natürlich Kreditgarantien wunderbar benutzen, um ein gigantisches Konjunkturprogramm anzuschieben – für Solarmodule, Windkraft, Batterien und weitere Branchen, die für die Energiewende notwendig sind.

"Je schneller wir erkennen, dass wir beim Klimaschutz ein ähnliches Welt-Crash-Programm benötigen, wie wir es bis jetzt wegen Corona unfreiwillig auf uns nehmen mussten, desto besser."

Durch die richtige politische Entscheidung ließe sich das machen. Und das Tolle ist, dass wir in Deutschland auch die Firmen vor Ort haben. Ich nenne BayWa, GE Renewable Energy, ING WB oder RWE, die auch in die ganze Welt diese Module liefern und aufbauen. Die haben schon gigawattskalige Portfolios bedient und könnten das natürlich auch leicht weiter hochfahren. Man denke dabei nur an den enormen Bedarf auf dem afrikanischen Kontinent. Also da brauchen wir nicht auf 2025 zu warten, das könnten wir schon vorher anschieben. Und in den Jahren von 2025 bis 2035 müsste man dann das richtige Crash-Programm fahren. Wir sprechen davon, dass wir 100 Photovoltaik-Fabriken weltweit bauen müssten, jede mit 60 Gigawatt Jahreskapazität, dann könnte man jährlich 6.000 Gigawatt herstellen und hätte in zehn Jahren tatsächlich die erforderlichen 60.000 Gigawatt installiert. Damit könnten dann 80 Prozent des Weltenergieverbrauchs direkt durch die Ernte von Sonnenenergie bereitgestellt werden. Das ist alles bereits durchgerechnet, möglich und machbar. Aber dazu braucht man natürlich den richtigen politischen Willen, und da stehen eben noch immer die sehr starken Interessen der fossilen Energiewirtschaft dagegen.

Diese freut sich über jeden Monat und jedes Jahr, in dem sie weiterhin ihre Milliardengewinne mit Hilfe der fossilen Wirtschaft macht. Aber ich denke, wenn man die CO2-Emissionen in China, den USA und Europa auf einen vernünftigen Preis von 100 bis 150 Dollar pro Tonne bringt, wie es ja auch dem Schaden entspricht, den die Emissionen anrichten, dann würde sich das Thema ganz schnell allein aus ökonomischen Gründen erledigen. Dann würde keiner mehr davon reden, dass noch Kohle und Öl erforderlich seien, um Strom herzustellen. Viele Warner, wie Jeremy Legget in England oder Tony Seba in den USA, weisen darauf hin, dass die fossile Industrie in eine gewaltige Schieflage kommen wird, da sie immer noch Milliarden Investitionen in Technologien steckt, die in wenigen Jahren nicht mehr gebraucht werden.

Kommende Generationen werden uns verfluchen, wenn wir jetzt nicht handeln

Einige der sogenannten Kippelemente im Erdklimasystem, wie etwa das Schmelzen des grönländischen und westantarktischen Eisschildes oder das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien, wodurch große Mengen an Methan freigesetzt werden, gelten als irreversibel. Wie optimistisch sind Sie, dass das Schlimmste noch verhindert werden kann?

Also wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, dann hätte ich gesagt: 10 Prozent Optimismus. Wenn Sie mich heute fragen, dann würde ich sagen, dass ich zu 30 Prozent optimistisch bin. Also ich bin nach wie vor der Meinung, dass das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir 2050 die ganze Weltwirtschaft auf Erneuerbare umgestellt haben und keinen CO2-Ausstoß mehr haben, aber dass wir dann merken, dass wir zu langsam gehandelt haben und nun zu spät dran sind. Dass wir dann also die 500 ppm CO2 in der Atmosphäre und die Kipppunkte überschritten haben. Aber ich glaube, dass wir durch das, was wir in den letzten Jahren erleben, doch noch Grund zur Hoffnung haben. Ganz besonders möchte ich auf Fridays for Future hinweisen. Diese Bewegung spielt dabei eine enorm wichtige Rolle. Denn ganz ehrlich gesagt: wir alten Grauhaarigen, wir haben noch 10 bis 20 Jahre, einige vielleicht noch 30 Jahre auf dieser Welt zu leben und das wird noch einigermaßen gut möglich sein. Aber diejenigen, die noch 60, 70 oder 80 Jahre auf diesem Planeten leben möchten, die haben diese Drohung sehr deutlich vor Augen, dass sie in eine Welt hineinleben, die absolut nicht mehr gemütlich, sondern ganz fürchterlich und schrecklich sein wird. Ich denke dabei an gehäuft vorkommende Wetterphänomene wie Überschwemmungen, Dürren, starke Stürme und den aktuell noch gar nicht so genau absehbaren weiteren Folgen.

"Im Prinzip können wir mit dem Satz der Technologien, die wir heute haben, die Energiewende vollziehen"

Also ich würde sagen, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass wir es vielleicht noch schaffen, das Schlimmste zu verhindern, aber sie liegt für mich immer noch unter 50 Prozent, weil ich noch nicht diese große Wende bemerke. Ich sehe natürlich die richtigen Zeichen. Ganz wichtig ist, was jetzt in den USA passiert mit Präsident Joe Biden, der sein "Heavyweight" John Kerry, den früheren Außenminister, zum Klimabeauftragten gemacht hat. John Kerry ist ja auch letzte Woche bereits in Brüssel aufgeschlagen. Und wenn wir es jetzt endlich in Europa schaffen, diese Signale richtig zu deuten und auch die Chancen zu erkennen, die sich für uns aus dem ganzen Prozess ergeben, dann erhöht sich meine Einschätzung und mein Optimismus.

Ich denke, dass zumindest Biden und Kerry für die USA erkannt haben, welche Chancen darin stecken, dass sie nun dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beigetreten sind. Auch in den USA gibt es ja starke Kräfte, die eine radikale CO2-Reduktion fordern wie etwa die 350 ppm-Bewegung. Es gibt die starken Kräfte in der Gesellschaft dort also genauso wie hier und es könnte sogar sein, dass wir uns dann von den USA regelrecht getrieben fühlen, anstatt dass es umgekehrt ist. Gerade Kalifornien, industriell halb so groß wie Deutschland, das möchte ich sehr betonen, ist bedeutend weiter als wir. Dort gibt es schon lange keine Kohlekraftwerke mehr und bis auf das letzte Atomkraftwerk, "Diablo Canyon", sind alle bereits abgeschaltet. Also wenn bei uns immer gesagt wird, wir seien die einsamen Irren auf dieser Welt, die sich beim Klimaschutz und der Energiewende verausgaben, wie es etwa ein Hans-Werner Sinn behauptet, dann muss man ganz klar entgegenhalten, dass es eben bereits Regionen gibt, die viel weiter sind als wir.

Auch heute gibt es noch viele Menschen, die die Reduzierung von Treibhausgasen als unsinnig ansehen oder in defätistischer Manier kundtun, dass sich eine globale Erwärmung um vier bis acht Grad Celsius nicht mehr aufhalten ließe. Was würden Sie diesen entgegnen?

Also wenn wir die Hände in den Schoß legen, dann werden die auch vollkommen recht behalten. Dann ist die globale Erwärmung in dieser Größenordnung nicht mehr aufzuhalten. Aber dann kommen wir eben in dieses Hothouse Earth-Szenario, das wirklich für alle Menschen einen wahnsinnig ungemütlichen Zustand zur Folge hätte. Aber dem würde ich hauptsächlich entgegnen, dass im Unterschied zu dem, was viele sagen, wir bereits die Technologien haben, die notwendig sind. Wir brauchen nur die richtigen Weichenstellungen dafür und dann können die schlimmsten Auswirkungen vermieden werden. Künftige Generationen werden uns verfluchen für all das, was wir jetzt nicht tun.

"Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir 2050 die ganze Weltwirtschaft auf Erneuerbare umgestellt haben und keinen CO2-Ausstoß mehr haben, aber dass wir dann merken, dass wir zu langsam gehandelt haben und nun zu spät dran sind."

Ich erinnere nur daran, dass wir unsere Eltern und Großeltern gerne fragen, ob sie wussten, was da 1933 auf sie zukam. Man konnte "Mein Kampf" in der Buchhandlung kaufen und genau nachlesen, was dieser Hitler vorhatte. So wie sich uns da die Frage aufdrängt: "Warum habt ihr nichts dagegen getan?", werden dieselbe Frage auch die Kinder der kommenden Generationen stellen. Und das ist gut begründet, denn wir haben die Technologien, wir haben die wissenschaftliche Erkenntnis und wir haben auch das Geld dazu, und dennoch werden dieses Wissen und diese Mittel aktuell noch nicht ausreichend genutzt, um die Zukunft der Erde zu sichern. Und es geht ja noch nicht einmal nur um die Zukunft der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts, sondern es geht auch darum, dass wir vielleicht auch noch in 500 Jahren auf diesem Planeten gut leben können.

Ich sage immer, man sollte hier einfach Immanuel Kant heranziehen. Dieser hat das schon vor ein paar hundert Jahren genau erkannt, indem er sinngemäß sagte: "Du musst als Individuum so leben, dass das Prinzip deines Lebens auch das allgemeine Prinzip des Lebens der Gesellschaft sein könnte." Und ich sage, wir müssen diese Zeilen erweitern um: "Wir müssen in unserer Generation lernen, so zu leben, dass die Prinzipien unseres Lebens auch noch in 100 Jahren Prinzipien des Lebens der Menschen sein können." Dafür müssen wir lernen, nachhaltig zu werden, eine Kreislaufwirtschaft und alles, was dazugehört, zu erreichen. Andernfalls wird die Menschheit nicht weiter überleben können.

Das Nachhaltigkeitsthema ist ja ein noch viel größeres Thema. Aber unter all den anstehenden Nachhaltigkeitsthemen ist natürlich das Energie- und Klimathema jetzt das vordringlichste. Aber das ist erst der erste Schritt der Umstellung der gesamten Weltwirtschaft auf eine nachhaltige Wirtschaft. Wir werden, wie ich vermute, später mal sagen, dass wir in diesen 250 Jahren von 1850 bis 2100 die Ressourcen wie die Wilden verschwendet haben, aber jetzt im Jahr 2150 wissen wir, dass wir nur in Kreislaufwirtschaft denken können. Anders geht es eben einfach nicht. Das müssen wir lernen. Und das muss unsere Generation anstoßen. Das ist letztendlich die große Menschheitsaufgabe unserer Generation.

An English translation for this interview is available here.

Unterstützen Sie uns bei Steady!