Zur Entwicklung von Esoterik und braunen Verschwörungsmythen

Zehn Jahre Mondverschwörung – eine Bilanz

Vor zehn Jahren erschien die Dokumentation "Die Mondverschwörung" vom Dokumentarfilmer Thomas Frickel. Was damals niemand für möglich gehalten hätte, ist heute Realität: Hilfsanfragen zu Verschwörungstheorien und Esoterik stehen bei Sektenberatungsstellen an erster Stelle. Eine Aktualisierung von Jan-Christian Petersen.

DVD-Cover zu "Die Mondverschwörung"

DVD-Cover zu "Die Mondverschwörung"

Esoterik, Reichsbürger und Verschwörungstheorien – die Randphänomene von damals sind heute Teil der gesellschaftlichen Mitte. / HE-Film, Thomas Frickel, 2011

Die Mondverschwörung (2011) ist eine Realsatire von Dokumentarfilmmacher Thomas Frickel. Darin gerät der deutschsprachige US-Journalist Dennis Mascarenas immer tiefer in eine Welt aus esoterischem Marketing und rechten Verschwörungstheorien.

"Es ist Frickels Verdienst, den Leuten klargemacht zu haben, dass es diese Phänomene gibt", sagt Physiker Dr. Holm Hümmler, aktives Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Als die Mondverschwörung vor zehn Jahren erschien, "war das ein toller Film, weil es den Rand der Szene leicht erklärbar gemacht hat".

Was harmlos beginnt...

Ein US-Amerikaner verkauft Grundstücke auf dem Mond. Ein Deutscher wehrt sich dagegen. Ihm gehöre der Mond. Er besäße eine Schenkungsurkunde, die seiner Familie einst von Friedrich dem Großen übergeben worden sei. Dennis Mascarenas ahnt: Es geht um mehr. "Was haben die Deutschen mit dem Mond vor?"

Die Antwort lautet: Es ist eine Menge. Der Mond "scheint" buchstäblich außergewöhnliche Wirkkräfte zu entfalten, insbesondere bei findigen Geschäftsleuten. Unter anderem besucht Dennis Mascarenas auch den österreichischen Mondversand "Paungger & Poppe". Noch heute gibt es hier Mondkosmetik und Mondtees, die zusätzlich mit Pyramidenenergie aufgeladen sind. Dabei stoßen Paungger & Poppe auch in unethische Bereiche vor. Die Esoteriker empfehlen Mondphasen, die besonders günstig für chirurgische Eingriffe sind: "Gegen Vollmond kommt es häufiger zu stärkeren, schwer stillbaren Blutungen", behaupten die Geschäftsleute. An anderer Stelle legen sie anhand unwissenschaftlicher Kategorien fest, welche Lebensmittel schädlich sind. Bei all dem schüren sie Ängste vor einem leidvollen verkürzten Leben und führen die Kunden dorthin, wo die eigenen Produkte als Ausweg erscheinen. Ähnliche Angebote bestimmen in Österreich offenbar den Gesundheitsmarkt. In einer sehenswerten ORF-Dokumentation von Dezember 2019 heißt es: "Es gibt mittlerweile mehr Energetiker in Österreich als niedergelassene Ärzte."

Hat schon Guido Westerwelle frisiert: Mondscheinfriseurin Ilka Brückner.

Hat schon Guido Westerwelle frisiert: Mondscheinfriseurin Ilka Brückner / HE-Film, Thomas Frickel, 2011

Zurück in Deutschland: Dennis Mascarenas steht vor einer Industrieanlage, die Mineralwasser in Flaschen abfüllt. Die Abfüllung zu bestimmten Mondphasen würde dem Wasser besondere Eigenschaften verleihen. Das Produkt gehört zum Sortiment der Firma "St. Leonhards Quellen", die sich heute als "Marktführer für Mineralwasser im Bereich Naturkosthandel" bezeichnet. Dabei stellt die Firma eben auch Produkte her, die mit pseudowissenschaftlichen Begründungen eine "rechtlich und schulmedizinisch nicht anerkannte" Aufwertung erfahren. Darauf weist das Unternehmen auf seiner Webseite hin. Gleichzeitig gibt es an der tatsächlichen Wasserqualität nichts zu beanstanden. Dennoch bedient sich die Firma des esoterischen Marketings. Es wird benutzt, um Menschen, die seelische Mängel in ihrem Leben empfinden, eben auch noch einmal höherpreisige Produkte verkaufen zu können. Auf Nachfrage, wie St. Leonhards Quellen diesen Umstand bewertet, erfolgte keine Antwort.

Esoterik gehört zu den Topthemen bei den Sektenberatungsstellen

Nach übereinstimmenden Schätzungen setzt die gesamte Esoterik-Industrie in Deutschland jährlich mehr als 20 Milliarden Euro mit eingeredeten Wirkungsweisen um. Es ist Täuschung. Diese Täuschung kann zu psychischen Abhängigkeiten von Produkten und Dienstleistungen führen. Die Zahl der Hilfesuchenden steigt. Bei Sekteninfo NRW aber auch bei der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen Baden-Württemberg (Zebra-BW) waren Beratungen zu Esoterik ein Topthema in 2020. Dr. Sarah Pohl von Zebra-BW erklärt auf Nachfrage, dass in 2021 die Hilfsgesuche im Bereich Esoterik noch einmal deutlich zugenommen hätten. Sie stünden nunmehr auf Platz zwei.

"Wir erleben hier einen Anstieg in absolut steigendem Ausmaß", sagt Pohl. Dabei bezieht sie sich auch auf Menschen, die Hilfe im Umgang mit Verschwörungsgläubigen suchen. Die Gesamtzahl aller Anfragen habe sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die Menschen seien anfälliger für derartiges Denken, weil sie sich angesichts der Pandemie zunehmend machtlos fühlten.

Ähnlich sieht es Giulia Silberberger, Geschäftsführerin vom Goldenen Aluhut. Die gemeinnützige Organisation leistet politische Bildungsarbeit, klärt auf über Fake News und ideologischen Missbrauch. Silberberger befürchtet zudem, "dass die Verschwörungstheoretiker nach der Pandemie verstärkt die Politik und den Klimawandel instrumentalisieren werden."

Hilfe! Die Mondnazis kommen!

In Frickels Film beginnt der wahre Irrsinn für Dennis Mascarenas jedoch erst mit jenen Interviewpartnern, deren Esoterik dazu dient, Antisemitismus und extremistische Ideologie in ein mythisches Sprachgewand zu kleiden.

So trifft Mascarenas auf Brigitte Schlabitz, die das jüdische Plutoniumimperium für die Mikroverchippung des Germanentums verantwortlich macht. Im knapp dreieinhalb-stündigen Bonusmaterial von Frickels DVD will Schlabitz dann mit einer Gruppe "Beweise erarbeiten". Während ihrer "Planetenaufstellung" bringt sie die Teilnehmer dazu, für ihre eigenen Probleme die Juden verantwortlich zu machen. All das ist codiert in der Sprache einer brauen Esoterik. Den Clip hat Frickel auf YouTube bereitgestellt.

Messianisches Vehikel der Eso-Nazis: die Reichsflugscheibe

Messianisches Vehikel der Eso-Nazis: die Reichsflugscheibe / Wikimedia Commons; Public Domain

Ähnlich wie mit Schlabitz verhält es sich mit dem 2014 verstorbenen Dr. Axel Stoll. Der Geologe und selbsternannte "Physiker der Erde" gehörte der rechtsextremen Esoterikszene an. Mascarenas trifft ihn in Berlin auf einem von Stolls Neuschwabenland-Treffen.

Neuschwabenland? – Das ist der mythische Sehnsuchtsort der braunen Esoteriker. Das antarktische Gebiet wurde 1938/39 tatsächlich durch eine reichsdeutsche Expedition erkundet. Stoll und andere vertreten die These, dass die NS-Elite noch immer eine Basis am Südpol besäße, von der aber ein Großteil der Bewohner längst mit Flugscheiben zum Mond aufgebrochen wäre.

André Kramer, Sprecher der Gesellschaft zur Erforschung des UFO-Phänomens (GEP) hat die Genese des Reichsflugscheiben-Mythos' in einem Videovortrag gründlich entschlüsselt. Die Anfänge gehen zurück auf den Roman "The Coming Race" (1871) von Edward Bulwer-Lytton. Darin geht es um die "Vril", eine uns überlegene Rasse, die im Inneren der Erde lebt. Heute existieren Mythos-Varianten, in denen von Reptiloiden gesprochen wird.

Die deutsche Antarktisstation Neumayer III

Die deutsche Antarktis-Station Neumayer III. Der Betreiber (das Alfred-Wegener-Institut) verweigert Auskünfte zur Sichtung von Reptiloiden / Wikipedia, Antarktis-Forschungsstation Neumayer III (Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)

Im Zuge dessen bat der Autor dieses Textes bei der deutschen Antarktis-Forschungsstation "Neumayer III" um zitierfähiges Material, "das aussagt, dass Ihnen dort noch nie Reptiloiden begegnet sind". Die Antwort vom betreibenden Alfred-Wegener-Institut blieb kalt: "Ich bitte um Ihr Verständnis, dass wir auf derartige Anfragen nicht weiter eingehen."

"Ist diese Haltung klug?", will der Autor dieses Textes von Dr. Holm Hümmler (GWUP) wissen. Hümmler antwortet: "Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive würde ich mir wünschen, dass sich mehr Leute aus der Wissenschaft zu solchen Themen äußern. Wenn ein Forscher aus der Antarktis einmal erklärt, wie absurd das alles ist, ist das auch gleich viel eindringlicher."

Fazit

Zehn Jahre nachdem "Die Mondverschwörung" erschienen ist, hat Frickels Dokumentation noch immer Relevanz. Der sehenswerte Film, der nicht nur Esoteriker und Verschwörungstheoretiker, sondern auch Reichsbürgerschaften ins rechte Licht rückt, führt ungefiltert an Phänomene heran, die heute problematischer sind denn je. Dabei zeigt sich, was vor allem hinter der Esoterik steht: Geschäftemacherei sowie menschen- und gesellschaftsschädigende Ideologie.

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