Lilith: Eine atheistische Trans- und Power-Frau

Lilith ist eine Trans-Frau aus Pakistan. Weil sie am eigenen Leib erfahren hat, wie schwierig es für LSBTI-Geflüchtete ist, engagiert sie sich seit Jahren für verschiedene Organisationen und hilft Menschen, die wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, verfolgt oder sogar vergewaltigt werden. Sie weiß, noch schlimmer als eine Trans-Person zu sein, ist es, eine atheistische Trans-Person zu sein.

Lilith ist eine starke Frau. Sie kommt aus der Islamischen Republik Pakistan. Als sie nach Deutschland kam, war sie noch ein Mann. Sie wurde religiös erzogen. Aber seit sie 20 Jahre als ist, ist sie Atheistin. "Ich habe drei, vier Jahre recherchiert, um zu verstehen, was der Koran bedeutet", sagt Lilith. Viele Rituale, wie etwa die fünfmalige Gebetspflicht, hat sie in der Schrift nicht gefunden. "Und ich habe nie eine Antwort auf die wichtigste Frage gefunden: Warum sind wir Menschen nicht alle gleichwertig vor Gott?"

Erst an der Universität in Pakistan begegnete sie Menschen, die nicht streng religiös waren. "Meine Schule war islamisch geprägt", sagt sie. Sie hat in Pakistan Soziologie, Humangeographie und Statistik studiert. An der Uni war sie nicht binär gekleidet – also weder eindeutig weiblich oder männlich. "Ich habe versucht, meine Weiblichkeit zu zeigen", erklärt Lilith. Das kam nicht gut an, sie hatte Ärger mit den Professoren, die sie darauf ansprachen. Es gehöre sich nicht, dass sie Goldschmuck trage. "Durch meine Mimik und Gestik habe ich gezeigt: Ich bin anders als ihr", sagt Lilith.

Ein anständiger, muslimischer Lehrer schlägt seine Schüler

Pakistan wollte sie schon immer verlassen. Mit 17 hat sie ihre Identität entdeckt und damals mit einem Liebhaber beschlossen: Wir fliehen nach Kanada. Doch es kam anders. Zunächst arbeitete sie in Pakistan zwei Jahre als Lehrer für Erdkunde und Geschichte. "Meine Kollegen hatten mehr Probleme mit mir als die Schüler", berichtet sie. Die anderen Lehrer haben sich an ihrer Stimme gestoßen und sie gefragt, warum sie die Kinder nicht schlage. Das wollte sie nie. Lilith freut sich, dass sie immer noch Kontakt zu zwei ihrer damaligen Schüler hat. "Die sagten: Wir haben noch nie so einen netten Lehrer wie dich gehabt – das ist ein großes Kompliment für mich."

Die endgültige Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, traf sie als Atheistin und nach einem Ereignis: 2011 wurde der Gouverneur der Provinz Panjab von seinem eigenen Leibwächter erschossen, er hatte das Blasphemiegesetz in Pakistan kritisiert. "Die meisten, auch gebildete Menschen, haben damals gesagt: Der hat das verdient, erschossen zu werden", erinnert sich Lilith. "Das war ein Schock für mich. Ich dachte mir: ich kann niemals über meinen Atheismus reden, das ist noch gefährlicher, als trans zu sein."

"Pakistan ist kein Platz für dich"

Sie sei ständig gefragt worden: Warum gehst du nicht beten? Warum bist Du nicht verheiratet? Noch in Pakistan nahm sie Kontakt mit der Heinrich Böll Stiftung auf. Dort wurde ihr sofort gesagt: "Pakistan ist kein Platz für dich". Sie ging nach Deutschland, um auf eigene Kosten Umweltwissenschaften zu studieren. In Pakistan konnte sie es nicht mehr aushalten.

Nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch sind homosexuelle Handlungen illegal und werden streng bestraft. Doch seit 2009 erlaubt der Gerichtshof Transsexuellen, als sogenannte Hidschras ihr "drittes Geschlecht" im Pass einzutragen. Soweit die Theorie, die Realität im Land sieht ganz anders aus. Zunächst muss jeder Transgender-Mensch sich registrieren lassen, quasi in einem Zwangsouting. Obwohl das Gesetz ihnen die gleichen Rechte gibt, können etwa offene Trans-Frauen ihr Geld in der Regel nur mit Betteln, Tanzen oder Prostitution verdienen und werden von ihren Familien ausgestoßen oder sogar getötet.

Dass es eine derartig widersprüchliche Herangehensweise gibt – Homosexualität ist zwar ein Verbrechen, Transgender-Personen aber rechtlich geschützt – hat einen religiösen Ursprung, der älter ist als der Islam. Im traditionellen Hinduismus werden Hidschras magisch-religiöse Fähigkeiten zugesprochen. Sie werden gerufen für Segnungen bei Geburten, Hochzeiten oder Hauseinweihungen. "Das ist hinduistische Geschichte und hat mit dem Islam nichts zu tun, die Intergeschlechtlichkeit ist hoch angesehen im Hinduismus – dann kamen die Engländer und haben alles verboten", erklärt Lilith.

Geoutet als Trans-Frau und Atheistin

In Deutschland angekommen, bestand ihr erstes Jahr aus "Studium, Studium, Studium". Erst im zweiten Jahr hat sie sich umgeschaut: Wie ist die LSBTI-Szene hier? Gibt es Klubs? Wo kann sie sich melden, um an Infos zu kommen? Sie erlebte 2014 den Christopher-Street-Day in Köln. "Das war eine andere Welt für mich, wie die Leute hier feiern und stolz sind und in Pakistan gibt es die Todesstrafe", sagt Lilith. Sie fand rubicon in Köln und beschloss, sich zu outen – auch gegenüber der Familie.

Mit der pakistanischen Community in Deutschland ist sie auch nicht warm geworden. Nach ihrem Outing haben die Pakistanis in Deutschland den Kontakt mit ihr abgebrochen. "Wenn es dir um Sex geht, kannst du doch als schwuler Mann leben – eine Geschlechtsoperation ist gegen Gott", hieß es. Sie sagte, dass sie eben nicht an Gott glaube. "Wenn man sagt, ich glaube nicht, ist man der letzte Dreck, hat keine Moral, ist wie ein Tier", sagt Lilith.

Als sie 2015 zu einem Besuch in Pakistan war, hat sie sich auch gegenüber ihrer Familie geoutet, als Trans-Frau und Atheistin. "Das kam anfangs nicht so gut an", erzählt Lilith. Schließlich sei sie der einzige Sohn der Familie gewesen. Es sei vielleicht eine Phase, meinte ihre Familie. "Egal, ob man in Japan oder Chile guckt, überall glauben die Familien von Trans-Personen, es sei nur eine Phase. Aber ich fühle mich so, seit ich mich kenne, seit ich drei oder vier Jahre alt bin."

LSBTI-Geflüchtete sind mehrfach gefährdet

Auch in Deutschland war es zunächst nicht leicht, einen Platz in der LSBTI-Gemeinde zu finden. "In Deutschland ist alles so individuell", findet Lilith. Wenn sie Hilfe brauchte, wurde sie an Psychologen verwiesen oder ihr wurde Literatur in die Hand gedrückt. In Deutschland musste sie lernen, den Mund aufzumachen.

Seit 2015 ist sie eine Aktivistin, setzt sich für die Rechte von LSBTI-Geflüchteten in Deutschland ein. Sie arbeitet seit 2017 hauptamtlich für das LSVD e.V.-Projekt "Queer Refugees Deutschland", sie ist Vorstandsmitglied beim "Queeren Netzwerk NRW" und beiteiligt am "Queer European Asylum Network". Zudem engagiert sie sich für die "Säkulare Flüchtlingshilfe Deutschland".

Sie weiß, dass LSBTI-Geflüchtete mehrfach diskriminiert werden und Unterstützung brauchen. Viele sind Atheisten. "Sie werden mit ihren Landmännern und -frauen in eine Unterkunft gesteckt, wo sie Todesangst haben." Die Betreiber der Unterkünfte verstehen das nicht. "Für sie sind alle Menschen, die braun sind, Muslime", sagt Lilith. Dann müssen die LSBTI-Geflüchteten vor dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Interviews glaubhaft darstellen, dass sie verfolgt werden.

Lilith for Bundestag!

"Das Problem ist, wie man Verfolgung definiert", sagt Lilith. Meistens bekommen die Geflüchteten eine Ablehnung, unbegründet. "Oder es wird gesagt, die Gefahr sei zu gering", erklärt Lilith. Auch wenn die Menschen theoretisch in ihrem Ursprungsland leben könnten. "Was ist mit den Menschen, die von ihrer eigenen Familie ermordet werden? Werden Trans-Frauen auch als Frauen anerkannt?" Bei den Anhörungen beim BAMF ginge es so weit, dass Geflüchteten unterstellt wird, nur "schwul zu spielen". Die Menschen werden genötigt, detailliert über Vergewaltigungen zu sprechen, weiß Lilith.

Trotzdem lebt Lilith gerne in Deutschland und hofft, "dass es mit meinem Freund klappt, ich möchte auch irgendwann Kinder haben". Ihre Zukunft in Deutschland? "Ich sehe mich in einigen Jahren im Bundestag – entweder SPD oder FDP", sagt Lilith. Bei so viel Frauen-Power darf man gespannt sein.

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