Frank Bsirske (MdB) über Legitimationsgrundlagen des kirchlichen Arbeitsrechts

"Es ist aus meiner Sicht völlig irrig!"

Das kirchliche Arbeitsrecht gehört zu den letzten großen Absurditäten in Deutschland. Einer, der es wissen muss, ist Frank Bsirske. 18 Jahre lang war er Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di). Seit 2021 sitzt der Politologe für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, wo er innerhalb seiner Fraktion die AG Arbeit und Soziales leitet. Der hpd hat mit ihm über die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts gesprochen.

hpd: Herr Bsirske, über eine Million Kirchenbeschäftigte dürfen weder ernsthaft streiken noch in Betriebsräten bessere Bedingungen verhandeln. Fachkräfte, die sich weigern, in die Kirche einzutreten, werden bei Beförderungen übergangen oder in die Kündigung gedrängt. Gleichzeitig wird diese Diskriminierung vom Steuerzahler finanziert; denn die Kirchen zahlen Gehälter nur zum kleinsten Teil selbst, nötigen uns allen aber ihre unsozialen Verhältnisse auf. So ist sich der Großteil von Kommentatoren, Zivilgesellschaft und Kirchenangestellten einig: Das kirchliche Arbeitsrecht gehört abgeschafft. Doch im Koalitionsvertrag heißt es nur: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann." Angesichts einer derartigen Schwäche des Koalitionskonsens' gegenüber der Realität frage ich mich doch, wie die Regierung da überhaupt ernstzunehmende Gespräche führen will. Was, Herr Bsirske, können Sie uns dazu aus dem politischen Berlin berichten?

Frank Bsirske: Ich kann Ihnen sagen, dass es ganz ernsthaft den Willen gibt, diese Prüfung vorzunehmen mit dem Ziel, das kirchliche Arbeitsrecht an das staatliche Arbeitsrecht anzugleichen, jedenfalls für den Bereich der kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen, und der umfasst ja tatsächlich auch 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land.

Wie ist der Stand der Dinge?

Es hat auf der Seite der Grünen mehrere Fachgespräche gegeben mit Arbeitsrechtlern wie Professor Wolfgang Däubler, aber auch unter Beteiligung von Professor Gregor Thüsing, der ja bekanntlich sehr kirchennah argumentiert. Es gab auch Fachgespräche mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche. Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr daran gehen, die usurpatorischen Ansprüche der Kirchen kritisch zu überprüfen und in dem Sinne auch das staatliche Arbeitsrecht zur Geltung zu bringen.

Die Kirchen leiten die Legitimation für ihr Arbeitsrecht aus Artikel 140 des Grundgesetzes ab: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Was ist davon zu halten?

In der Tat ist es so, dass wir eine verfassungsrechtliche Regelung haben, die wortgleich der Weimarer Reichsverfassung entnommen ist. Danach haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht, im Rahmen der für alle geltenden Gesetze ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten. Die spannende Frage dabei ist: An welche Ausgangslage hat eigentlich die Weimarer Reichsverfassung angeknüpft?

"Dort, wo die Kirche (...) Arbeitsverhältnisse eingeht als Arbeitgeber, ist es eben nicht mehr die eigene Angelegenheit der Kirche, die sie eigenmächtig regeln kann. Es sind gemeinsame Angelegenheiten von Beschäftigten und Arbeitgebern, die im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes zu regeln sind."

Ich will daran erinnern, dass die evangelischen Pastoren bis 1919 Staatsbeamte waren und entlassen werden konnten, wenn sie den Interessen des preußischen Staates, den Interessen der jeweils Herrschenden zuwiderhandelten, während in Bayern das lokale Kirchenvermögen durch die Gemeinden verwaltet wurde. Mit diesen Zuständen hat die Weimarer Reichsverfassung gebrochen und den Kirchen das Recht gegeben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten zu können. Aber was sind diese eigenen Angelegenheiten?

Aus meiner Sicht sind das Fragen der Liturgie, der Priesterwahl, des Gottesverständnisses, der Vermögensverwaltung. Dort, wo die Kirche aber Arbeitsverhältnisse eingeht als Arbeitgeber, ist es eben nicht mehr die eigene Angelegenheit der Kirche, die sie eigenmächtig regeln kann. Es sind gemeinsame Angelegenheiten von Beschäftigten und Arbeitgebern, die im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes zu regeln sind. So ist das auch in der Weimarer Zeit gehandhabt worden. Damals gab es Streiks auch bei Kirchen und natürlich unterlagen auch die Kirchen und ihre Wohlfahrtsorganisationen dem Betriebsrätegesetz. Das ist auch konsequent und richtig so. An diese Situation gilt es wieder anzuknüpfen.

Aber wie realistisch ist das? Wird es in dieser Legislaturperiode gelingen, das kirchliche Arbeitsrecht abzuschaffen?

Das wird sich zeigen. Ich kann für die Grünen sagen, dass wir entschlossen sind, in dieser Richtung auch Ergebnisse zu erzielen. Programmatisch ist das für uns völlig klar, auch seitens der FDP. Die SPD ist im Prinzip auch auf dieser Linie. Vor diesem Hintergrund sollte es uns gelingen, hier ein überholtes Verständnis zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht zu überwinden und zu einer Angleichung an das weltliche Arbeitsrecht zu kommen.

Was muss in der Bevölkerung noch passieren, damit dieses Thema mehr Gewicht erhält?

Vor dem Hintergrund der Missbrauchsskandale auf der katholischen Seite ist der Glaubwürdigkeitsverlust natürlich enorm. Die katholische Kirche hat entschieden an Legitimation verloren, individualrechtlich hier ein Sonderarbeitsrecht in Anspruch nehmen zu können. Auf der katholischen Seite sehen wir inzwischen, dass man sich durchaus bewegen will. Zudem hat der EuGH im Fall Egenberger eine große Bresche in die Mauer kirchlicher Selbstregelungsansprüche geschlagen.

Auf der evangelischen Seite sehen wir jedoch größere Widerstände. Die EKD hat Verfassungsklage gegen das EuGH-Urteil eingereicht, das bereits die Einforderung besonderer Loyalitätspflichten auf ihre Verhältnismäßigkeit, ihre Sachgerechtigkeit und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit hin ausgeurteilt hatte. Die EKD kommt hier mit der Behauptung, dass der EuGH mit seiner Entscheidung den Kern der deutschen Verfassungsidentität verletzt hat. Das ist in der Tat dreist; denn dadurch wird ein kirchliches Obergrundrecht postuliert, das zumindest aus meiner Sicht jeder verfassungsrechtlichen Substanz entbehrt.

Zudem ist die EKD dabei, gewissermaßen das Verständnis des verkündigungsnahen Bereichs grenzenlos auszuweiten. So argumentiert sie überspitzt formuliert, dass nicht nur der Bischof verkündigungsnah sei, sondern auch der Fahrer des Bischofs. Ich denke, dass man so etwas nicht durchgehen lassen kann und sollte.

"Die EKD kommt hier mit der Behauptung, dass der EuGH mit seiner Entscheidung den Kern der deutschen Verfassungsidentität verletzt hat. Das ist in der Tat dreist; denn dadurch wird ein kirchliches Obergrundrecht postuliert, das zumindest aus meiner Sicht jeder verfassungsrechtlichen Substanz entbehrt."

Gleichzeitig ist die Behauptung absurd, dass die Kirche ihren Sendungsauftrag preisgeben würde, wenn sie das kirchliche Arbeitsrecht bei ihren Wohlfahrtsorganisationen aufgibt. Dabei schließt die katholische Kirche jenseits der deutschen Grenze Tarifverträge ab. Bei der evangelischen Kirche – das heißt, bei den beiden größten diakonischen Einrichtungen in Niedersachsen sind ebenfalls bereits Tarifverträge nach Streiks abgeschlossen worden. Hat die Kirche damit aus Sicht der evangelischen Theologen den geschwisterlichen Umgang preisgegeben? Nein. Diese Argumentation ist aus meiner Sicht völlig irrig. Kurzum: Der theoretische Überbau ist in sich höchst widersprüchlich, nicht kohärent und gehört infrage gestellt und kritisiert. Diesen müssen wir immer wieder hinterfragen, bis das kirchliche Arbeitsrecht an das staatliche Arbeitsrecht angeglichen ist.

Die Arbeit der Gewerkschaften ist auch nicht immer schlüssig. Als 2020 die Humanistische Initiative Schleswig-Holstein, zu der ich gehöre, am Tag der Arbeit auf einer DGB-Kundgebung in Husum gegen das kirchliche Arbeitsrecht Position beziehen wollte, meinte der zuständige DGB-Sprecher, dass er darüber erst noch mit dem Pastor sprechen müsse.

(Bsirske lacht)

Jedenfalls hat coronabedingt erst 2022 überhaupt wieder eine Kundgebung stattfinden können. Der Pastor war dann als Hauptredner geladen, bekam von ver.di und dem DGB zu seinem Geburtstag Blumen überreicht, während mir unten am SPD-Stand erzählt wurde, dass wieder eine dringend benötigte Fachkraft aus einer evangelischen Einrichtung in die Kündigung gedrängt wurde, weil sie sich geweigert hat, in die Kirche einzutreten. Wie können ver.di und der DGB auf Bundesebene überhaupt noch glaubhaft sein, wenn deren regionale Vertretungen am Tag der Arbeit den Bock derart zum Gärtner machen?

Erstens kann ich das nicht überprüfen, was Sie da gerade erzählt haben. Ich habe kein Problem damit, dass ein Pastor am 1. Mai redet, wenn er vernünftige Inhalte präsentiert. Dass sich gleichzeitig jemand als Arbeitgeber so verhält, wie es eben von Ihnen dargestellt worden ist, halte ich für falsch und abwegig und muss zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung gemacht werden.

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