Kommentar

Interesse an Religion schwindet

BERLIN. (hpd) Mit Sorge registriert die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) eine Entwicklung in Deutschland, die offenbar unaufhaltsam ist: Das schwindende Interesse an Religion. Gründe dafür sieht der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Prof. Gerhard Wegner, in einer gestiegenen Lebenserwartung und erweiterten Lebensmöglichkeiten: Die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod verblasse deshalb. “In der Öffentlichkeit hat man den Eindruck, dass Religion geradezu peinlich ist”, wird er von evangelisch.de zitiert.

In der Tat werden Erzählungen über einen dreieinigen Gott, über „Erbsünde“, über eine Auferstehung von den Toten, über Jungfrauengeburten und dergleichen mehr von einer stetig wachsenden Zahl von Bundesbürgern nur noch als lächerlich empfunden – ein theologischer Bankrott, wenn kaum einer noch glaubt und auch nicht mehr zuhören will.

Nicht ohne Wirkung bleiben auch solche peinlichen Entgleisungen, wie etwa die einer Frau Käßmann, die kürzlich hat verlauten lassen, Ursache des Mauerfalls 1989 seien die vielen Gebete von Kirchenmitgliedern gewesen. Derartige “Erklärungen” geschichtlicher Vorgänge und Zusammenhänge kann niemand ernst nehmen, ebenso wenig Empfehlungen, Außenpolitik durch Gebete zu ersetzen, wie Margot Käßmann es in Hinsicht auf die islamistische Terrorgruppe der Taliban vorgeschlagen hatte.

Mit derlei ideologischem Murks vermögen die Menschen in diesem Land, und - das ist das besonders Erfreuliche - auch die Mehrheit der Kirchenmitglieder, nichts (mehr) anzufangen. Mittlerweile wenden sich immer mehr Menschen von der organisierten Religion ab, nicht, weil sie in Einzelpunkten Kritik an den Amtskirchen hätten, sondern weil sie Religion überhaupt nicht interessiert. Dieses Desinteresse muss die Kirchenfunktionäre außerordentlich ärgern. Ändern können sie es nicht.

Sie schreiben trotzdem, wie auch Prof. Wegner versichert, den Kirchen - ihren Organisationen - eine wichtige Rolle zu: Der Staat brauche Religion als Ressource für Wertedebatten, und Religion spiele eine positive Rolle, weil sie den Blick der Menschen auf das Allgemeinwohl richte.

Das Letztere mag für manche gesellschaftliche Bereiche und in einigen Kirchenstrukturen zutreffen, etwa in sozialpolitischer Hinsicht, etwa in Hinsicht auf Flüchtlingspolitik. Fast immer, jedenfalls zu einem erheblichen Anteil, sind die dort Aktiven aber solche, die den religiösen Lehren nicht mehr folgen. Gegen einiges Positive steht aber viel Negatives, Besserwisserisches, überbordende Arroganz gegenüber Religionsfreien, steht beispielsweise der arrogante Herr-im-Hause-Standpunkt im Kirchlichen Arbeitsrecht, der aus ideologischen Gründen Menschenrechtsverletzungen bejaht, der für ein Schurigeln der Mitarbeiterinnen bis in die Privat- und Intimsphäre steht.

Namen wie Meisner, Tebartz van Elst und Beton-Müller (derzeitiger Chef der früheren Inquisitionsbehörde) stehen nicht nur für die jeweiligen Personen, sondern für ein klerikales Konzept der Menschenverachtung. Unter diesem Aspekt sollte auch die vorlaute Behauptung bewertet werden, dass Religion als “Ressource für Wertedebatten” benötigt würde.

Angesichts der schwindenden ideologischen Deutungshoheit in der Gesellschaft wollen die Kirchen, alimentiert durch den Staat und durch die aktuell besonders guten Kirchensteuereinnahmen – selbstverständlich - nicht klein beigeben: Sie wollen, wie Prof. Wegner ausführt, über Kindestagesstätten und Schulen an die junge Generation heran, diese im kirchlichen Sinne beeinflussen. Glaube brauche eine “gefühlsmäßige Vertrauensbasis”, so Prof. Wegner. Ein Konzept, das nicht unterschätzt werden sollte.

Dass sie dies wollen, ist folgerichtig. Doch wie lange noch will die säkulare Gesellschaft ein Programm der ideologischen Beeinflussung von Kindern zulassen? Das zudem nahezu vollständig aus Mitteln finanziert wird, die sämtliche SteuerzahlerInnen aufbringen (die Religionsfreien somit eingeschlossen). Gegen das “Segeln der Kirchen unter fremder Flagge” (den Anschein aufrechtzuerhalten, ihre sozialen Wohltaten würden aus den Kirchensteuereinnahmen aufgebracht) hilft nur beharrliche Aufklärung. Da ist noch genug für Humanisten und säkulare Kräfte zu tun.

Humanisten sollten aber auch daran arbeiten, das Potential an Engagement im sozialen und humanitären Bereich, das sich – auch wenn schon ohne Religion, ohne Glauben – immer noch an Kirchen bindet, nicht zu vernachlässigen. Eine solidarische Welt braucht solches Engagement unbedingt.