Wahlsiege der Ultrarechten in Italien und Schweden:

Geht die europäische Idee zugrunde?

Giorgia Meloni ist neue Premierministerin Italiens. Die drittgrößte Volkswirtschaft der EU wird nun regiert von einer ultrarechten Koalition, die kein Geheimnis aus ihrer Verehrung des faschistischen Diktators Benito Mussolini macht und ihre Politik schamlos auf Verschwörungsmythen gründet. Sturm im Wasserglas oder eine echte Gefahr für Säkularismus und Menschenrechte? Ein paneuropäischer Überblick.

Das Jahr 2022 sollte ein spannendes für die Europäische Union werden. Nachdem in Deutschland, dem wirtschaftsstärksten Land der EU, Ende letzten Jahres eine liberale Regierung gewählt wurde, gingen die Blicke gespannt nach Frankreich, Italien und Schweden. Nun wollen wir Bilanz ziehen.

Frankreich: Macron gewinnt, Frankreich verliert

In der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU rudert Präsident Emmanuel Macron bereits seit Jahren gegen die Hardlinerin Marine Le Pen an. Zwar konnte der amtierende Präsident Frankreichs die Stichwahl dieses Jahr noch für sich entscheiden, doch das Overton-Fenster hat sich dauerhaft nach rechts verschoben. Die Wahlbeteiligung in der zweiten Runde der Stichwahl sank auf den niedrigsten Wert seit 1969. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung über beide Runden betrug etwa 72 Prozent.

Emmanuel Macron und Marine Le Pen.
Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Fotos: 1. Copyleft, 2. Foto-AG Gymnasium Melle, Wikipedia (CC BY-SA 4.0)

Wie Yasmeen Serhan in ihrer Analyse für The Atlantic ausführt, ist Macrons dünner Sieg auf die Übernahme konservativer und bisweilen offen rechter Rhetorik und Themen zurückzuführen: "Le Pen hat zwar dieses Mal die Wahl nicht gewonnen, doch wenn ihr eigener Erfolg und der anderer ultrarechter Parteien in Europa irgendein Indikator ist, dann dafür, dass ein Sieg gar nicht nötig war."

Italien: Mussolinis Erben

Logo der Movimento Sociale Italiano, public domain
Logo der Movimento Sociale Italiano, public domain

Ein Gespenst geht um in der drittgrößten Wirtschaftsnation der Eurozone: Es ist der unsäglich renitente Geist Benito Mussolinis. Die "Brüder Italiens", wie Giorgia Melonis Partei heißt, nutzt in Teilen sogar das gleiche Logo wie die 1946 – ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs – gegründete und 1995 aufgelöste neofaschistische Partei Movimento Sociale Italiano (Soziale Bewegung Italiens, Übers. d. A.).

Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 2018 von 73 auf knapp 64 Prozent, den niedrigsten Wert in der Geschichte der italienischen Demokratie. Meloni selbst profitierte vor allem davon, als unbeschriebenes Blatt wahrgenommen zu werden. Sie kopierte die Strategie Matteo Salvinis, sich als einziges Fanal der Opposition und Vernunft darzustellen, beinahe perfekt.

Beispielbild
Logo der "Brüder Italiens", Wikipedia, (CC BY-SA 4.0)

Hinter dieser dünnen rhetorischen Fassade allerdings verbergen sich wahnwitzige politische Überzeugungen. In einem Radiointerview im Jahr 2019 offenbarte Meloni, wessen Geistes Kind sie ist: "Wir müssen verstehen, dass hinter der scheinbar unkontrollierten Immigration kein temporärer Trend steht. Das sind koordinierte Bewegungen. […] Es gibt Realitäten (sic!), die daran arbeiten, hunderttausende Menschen nach Europa zu bringen, weil sie einen Plan haben." Und natürlich ist der Übeltäter schnell benannt: George Soros, der die "Dekonstruktion der Gesellschaft" vorantreibe. Alter, antisemitischer Wein in neuen Schläuchen also.

Schweden: Generation Z wählt rechts

Auch in Schweden wurde kürzlich gewählt. Zwar ist noch keine Regierung gebildet, doch schon jetzt ist klar, dass die "Schwedischen Demokraten" wie auch Le Pen den Sieg in Sachen politischem Momentum davontragen. Die "Schwedischen Demokraten", die insgesamt auf knapp über 20 Prozent kommen, konnten unter den 18- bis 21-Jährigen sogar 22 Prozent der Stimmen holen. Die Wahlbeteiligung lag bei 84,2 Prozent. Schweden ist zwar historisch ein sehr wahlfreudiges Land, dennoch ist es der niedrigste Wert seit 16 Jahren.

Jimme Åkesson Almedalsveckan

Jimme Åkesson Almedalsveckan, Kandidat der Schwedischen Demokraten, Foto: © Johan Wessman, Wikipedia (CC BY 2.0)

Die "Schwedischen Demokraten" stehen, wie Melonis "Brüder Italiens", in einer historischen Linie mit extrem problematischen Organisationen. Mehrere Mitglieder und Kandidat*innen der "Schwedischen Demokraten" waren früher in neo-nazistischen Vereinigungen aktiv. Theoretisch ist eine Regierungsmehrheit im Bereich des Möglichen, doch das würde die Unterstützung der liberalen Partei erfordern. "Renew Europe", die liberale Fraktion des Europaparlaments der auch die liberale Partei Schwedens angehört, hat sich bereits kritisch gegenüber einer solchen Zusammenarbeit geäußert.

Erleben wir eine innereuropäische Spaltung?

Das europäische Projekt, die europäische Idee selbst, ist in Gefahr, das müssen wir uns eingestehen. Mit Ungarn gibt es einen Mitgliedsstaat, den das Europaparlament nicht einmal mehr als Demokratie bezeichnen mag, nur noch als "Wahlautokratie". So unterschiedlich die europäischen Länder sein mögen, ihre Ultrarechten haben eines gemeinsam: Ihr "Narrativ", so es diesen Namen noch verdient, ist ein wildes Potpourri aus zusammenhanglosen Fetzen, die letztendlich doch nur auf Antisemitismus, Misogynie und Verachtung für das Prinzip universeller Menschenrechte hinauslaufen.

In all diesen Wahlen korreliert der Erfolg rechter Parteien mit sinkender Wahlbeteiligung. Es ist dieselbe Strategie, die Brandstifter wie Steve Bannon und Donald Trump nutzen. Eines der primären Ziele ist, eine kritische Masse politisch apathisch zu machen und so von der Stimmabgabe abzuhalten. Die eigenen radikalisierten Anhänger*innen erscheinen dann in der öffentlichen Wahrnehmung und im Wahlproporz als weitaus wichtiger, als sie eigentlich wären.

Ausblick: Putins Krieg in der Ukraine wird die Verhältnisse massiv verändern

Doch es ist nicht alles verloren in Europa. Nach Putins brutaler Invasion der Ukraine ist die europäische Rechte nämlich in heller Aufregung. Jüngst ergab eine Umfrage des Pew Research Center, dass sich die bisherige Loyalität gegenüber dem russischen Machthaber in Luft aufgelöst zu haben scheint. Diese Loyalität jedoch war Teil des Rückgrats der ultrarechten Parteienlandschaft, die – wie das für paranoide Machtmenschen üblich ist – notorisch miteinander im Clinch liegt, so wie Le Pen und Meloni.

Den Melonis, Salvinis, Le Pens und Höckes bleiben nun primär zwei Möglichkeiten. Sie könnten sich einer anderen autoritären Macht anbiedern, China zum Beispiel. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich die chinesische Regierung mit den Befindlichkeiten europäischer Sandkastenautokraten befassen wird, während ihr gleichzeitig der Immobiliensektor und das Bankensystem um die Ohren fliegen.

Giorgia Meloni hält eine Rede bei CPAC
Giorgia Meloni hält eine Rede bei CPAC, 2022, Foto: © Vox España, Wikipedia

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Oder aber wir erleben eine erneute Verschiebung des Overton-Fensters, hin zu einer oberflächlich den USA und dem Liberalismus zugeneigten Rhetorik. Gerade die gern hochgerühmten "christlichen Werte", die "Kernfamilie" und die "judäo-christliche Tradition" könnten wieder mehr in den rhetorischen Vordergrund treten, so, wie wir es im republikanischen Spektrum der USA aktuell beobachten können. Meloni etwa hielt Anfang des Jahres eine Rede auf der in Texas stattfindenden CPAC, einer ultrakonservativen Tagung unter dem Motto "awake, not woke". Sollte dieser Fall eintreten, dürfen wir nicht den Fehler machen, uns davon einlullen zu lassen. Wer Mussolini im 21. Jahrhundert noch für einen großen Staatsmann hält, führt nichts Gutes im Schilde.

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