Bundestag

Anhörung zur Sterbehilfe im Parlament

BERLIN. (hpd) Bei der gestrigen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Thema Sterbebegleitung kamen verschiedene Sachverständige zu Wort. Ein Kommentar von Rolf Schwanitz. 

Anhörungen im Deutschen Bundestag haben bei der Bevölkerung einen schlechten Ruf, denn sie folgen in der Regel einem festen Ritual. Sowohl die Unterstützer eines Gesetzes – meistens sind dies die Koalitionsfraktionen – als auch dessen Kritiker sehen die Anhörung als einen interessengeleiteten Teil der Beratungen zum Gesetz. Die Abgeordneten sind dabei nicht auf der Suche nach neuen Ideen und Anregungen, sondern laden zur Stellungnahme und Befragung regelmäßig nur solche Experten ein, die die jeweils eigene Meinung zum Beratungsgegenstand teilen, vertreten und unterstützen. Übermäßige Kritik an dieser Praxis kann aber nur üben, wer übersieht, dass sowohl das Parlament als auch die dortige Gesetzesberatung seinem Wesen nach die Entscheidung über unterschiedliche, ja sich in der Regel widersprechende Interessenslagen ist. Die Spiegelung von Haltungen, Interessen und Meinungen ist deshalb nichts falsches, störendes, sondern geradezu eine Notwendigkeit im parlamentarischen Betrieb. Das gilt generell und folglich für eine Anhörung ebenso, wie für eine Beratung im Ausschuss oder die Debatte im Plenum des Parlaments. 

Dennoch hatte man erwarten können, dass die Anhörung zu den Gesetzentwürfen über die Sterbehilfe etwas Besonderes war, dass sie noch etwas anders ausfallen würde als der gesetzgeberische Normalbetrieb. Schließlich waren diesmal Anhörungsgegenstand keine klassischen Regierungs-, Koalitions- oder Oppositionsvorlagen. Hier ging es – und geht es bis zur Schlussabstimmung im November – jeweils um widerstreitende Gesetzentwürfe einzelner Abgeordnetengruppen. Der sogenannte Fraktionszwang – sich mit dieser inhaltlich überzogenen Wortschöpfung kritisch auseinanderzusetzen, ist hier nicht der Ort – wurde zu den Gruppenanträgen ausdrücklich außerkraftgesetzt. Auch der Umstand, dass sich beim bisher am stärksten unterstützten Antrag der Abgeordneten Brand/Griese über ein Sterbehilfeverbot fast die gesamte CDU/CSU-Prominenz (Merkel, Kauder, Hasselfeld, de Maizière, Müller, Grosse-Bröhmer, Gröhe, Böhmer, Grütters - um nur einige zu nennen) als Miteinbringer eingereiht hat, soll mit seiner allerdings unbestreitbaren Signalwirkung in die eigene Fraktion hier einmal vernachlässigt werden. Denn rein formal sind und bleiben alle Gesetzentwürfe Gruppenanträge, auch wenn eine koalitionäre Schlagseite beim Antrag Brand/Griese nur schwer übersehen werden kann.

Eine klare Mehrheit aber – und das ist das Entscheidende - kann bis jetzt noch kein Gruppenantrag für sich verbuchen. Gerade deshalb war die Anhörung im Bundestag diesmal ganz offensichtlich auch ein Informations- und Orientierungsort für die nicht wenigen Abgeordneten, die sich bisher noch nicht eindeutig für einen der Gruppenanträge entschieden haben. Dass dies so war, zeigte sich bereits an dem ganz außergewöhnlichen Interesse, mit dem diese Anhörung heute abgelaufen ist. Sowohl bei den Abgeordneten als auch bei der Besuchertribüne gab es lange Anmeldungslisten und auch das Medieninteresse war enorm und außergewöhnlich. Eine unrühmliche Ausnahme machten dabei nur die CDU/CSU-Mitglieder im Rechtsausschuss – diese Gruppe war über weite Strecken der Anhörung nur gering, längere Zeit sogar nur mit zwei Abgeordneten vertreten. Außergewöhnlich stark war demgegenüber das Interesse bei den Zuschauern auf der Besuchertribüne.

Was wäre eigentlich so furchtbar daran gewesen, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder zumindest der Politik-Verbannungskanal „Phönix“ diese Anhörung heute live übertragen hätte? Vielleicht wären die Zuschauerzahlen der ARD etwas geringer als die Fangemeinde von „Rote Rosen“ oder beim „Sturm der Liebe“ gewesen. Die von der geplanten Neukriminalisierung der Sterbehilfe bedrohten Menschen hätte es aber sicher interessiert und sie hätten es für wichtiger empfunden, wie im Parlament zu dieser existenziellen Frage Experten befragt werden und was sie dazu sagen. Einmal mehr wurde diese Chance der Öffentlich-Rechtlichen vertan. 

Der Ablauf der Anhörung selbst kann hier natürlich nicht adäquat wiedergegeben werden. Außerdem bin ich als Autor und gleichzeitiger Gegner eines strafrechtlichen Verbots der Sterbehilfe nicht neutral, sondern in der Sache Partei. Deshalb hier nur soviel: Die Meinungen und die Antworten der Experten waren in der Anhörung ebenso vielschichtig und gegensätzlich, wie die verschiedenen Positionen aus den Gruppenanträgen selbst. Es überrascht kaum, dass in der Anhörung die von den Befürwortern einer Neukriminalisierung der Sterbehilfe eingeladenen Experten diese Position ebenso unterstützten, wie die anderen Experten die Gesetzentwürfe ohne ein solches strafrechtliches Verbot.

Am meisten beindruckt haben mich die Argumente von drei Experten, die sich vehement gegen die Neueinführung einer seit dem Jahre 1871 in Deutschland abgeschafften Kriminalisierung der Sterbehilfe gewandt haben. Das waren Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf (Alte Universität Würzburg, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik), Prof. Dr. Reinhard Merkel (Universität Hamburg, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie) und Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert (Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Lehrstuhl für Medizinethik, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin).

Während Prof. Merkel die geplanten strafrechtlichen Verbote der Sterbehilfe sowohl aus rechtssystematischer als auch aus strafrechtlicher Sicht zerpflückte machte Prof. Hilgendorf an konkreten Einzelfällen klar, dass die geplante Kriminalisierung die gesamte Ärzteschaft bis hinein in die Palliativmedizin mit Strafe bedroht. Außerdem verwies er noch einmal darauf, dass 150 Professorinnen und Professoren der Strafrechtswissenschaft und damit bis zu dreiviertel der in Deutschland existierenden Fakultäten eine solche Kriminalisierung der Sterbehilfe ablehnen. Frau Prof. Schöne-Seifert verwies schließlich aus ethischer Sicht darauf, dass die ärztliche Assistenz der Selbsttötung nicht unmoralisch, sondern sehr wohl vertretbar ist und deshalb eine Neukriminalisierung abgelehnt werden muss. Gerade dies unterschied sich wohltuend von den Ausführungen von Prof. Huber, der noch aus seiner Zeit als Bischof und EKD-Ratsvorsitzender bestens bekannt ist. Huber, der ganz bewusst auf die Bezeichnung einer „sogenannten Freiverantwortlichkeit“ des Suizidenten abstellte, reklamierte einmal mehr für sich ein Ethikmonopol und sprach Suizidwilligen unisono die Fähigkeit zur freiverantwortlichen Entscheidung ab. Solche Entscheidungen sind für Huber ganz offensichtlich immer Ergebnis einer (psychischen) Erkrankung, weshalb man die Entscheidung eher nicht berücksichtigen, sondern die Krankheit therapieren muss.

Dies ist ganz offensichtlich eine Auffassung, die von vielen Abgeordneten, die sich für die Kriminalisierung der Sterbehilfe einsetzen, geteilt wird. Man kann nur hoffen, dass die gestrige Anhörung solche von Ignoranz wie von Anmaßung geprägte Meinungen wenigstens partiell erschüttert hat und nun eine gewisse Nachdenklichkeit Einzug hält.