Neues Buch von Kirchenrechtler Thomas Schüller

Unheilige Allianzen

Thomas Schüller, Professor für kanonisches Recht (Münster), hat ein für einen lehrenden aktiven Katholiken bemerkenswertes Buch geschrieben. Es trägt den Titel "Unheilige Allianz". Der Untertitel "Warum sich Staat und Kirche trennen müssen" erläutert, um welche Verbindung es sich handelt.

Es ist die Verpartnerung von Republik und Religion, die, beginnend mit den Konkordaten zwischen dem Vatikan und dem nationalsozialistischen Deutschland sowie dem faschistischen Österreich, dem Katholismus und in seinem Windschatten anderen Religionsgesellschaften eine besonders privilegierte Rolle im Staat zugestanden haben.

Schüller kritisiert diesen Zustand und unterscheidet sich in seinen wesentlichen Aussagen kaum von den aufklärerischen Kräften, die seit Jahren zu verdeutlichen versuchen, dass das kooperative Modell aus Republik und Religion sein Haltbarkeitsdatum weit überschritten hat.

Was kommt nach der epochalen Zäsur im Verhältnis Kirche und Staat?

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Österreich und Deutschland mehr als 90 Prozent der Menschen Mitglied einer der beiden christlichen Volkskirchen. Trotz aller Verwicklungen in der NS-Zeit wurde ihr Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts festgeschrieben und als schwergewichtige zivilgesellschaftliche Akteure bilden sie mit dem Staat nach wie vor ein kooperatives Modell aus Republik und Religion. Im Abtausch für einen geringen Kontrollverlust bei weitreichender Eigenständigkeit erhalten die Religionsgesellschaften nicht nur Subventionen und Steuererleichterungen, sondern auch einen fixen Platz im Bildungssystem und andere Privilegien.

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Doch der Rückhalt dieser Vereinbarung erodiert. Über 30 Prozent der Menschen in Österreich gelten als konfessionsfrei, in Deutschland sind es über 40 Prozent. Zudem diversifiziert sich das weltanschauliche Spektrum durch Migration. Nur mehr knapp die Hälfte der Bevölkerung in beiden Ländern ist heute noch evangelisch oder katholisch, sodass viele Bevorzugungen der Kirchen und die Duldung überholter gesellschaftlicher Haltungen heute anachronistisch und unproportional wirken. Dazu kommen Verfehlungen in der Aufarbeitung der Fälle von sexuellem Missbrauch, die von der Kirche vertuscht wurden, bis sie verjährten.

Zusammengenommen wirft dieser – auch moralische – Bedeutungsabfall die Frage auf, ob sich der Staat im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht doch vielleicht endlich weltanschaulich-neutral verhalten und sein Verhältnis mit der Kirche beenden sollte.

Unheilige Allianz

"Wir sind in einer Übergangssituation von einer ehemals unhinterfragt frei agierenden Volkskirche, der man ungemein viel Handlungsspielraum gegeben hat von Seiten des Staates, und einer Situation, in der heute die religiöse Landschaft pluraler wird", stellt Thomas Schüller fest. Der Professor für kanonisches Recht an der Universität Münster nennt die Verdrillung von Staat und Kirche in seinem aktuellen Buch eine "Unheilige Allianz". Es handelt sich nicht um eine Abrechnung, sondern um eine Analyse eines praktizierenden, gläubigen Christen, der den Abbau der Glaubwürdigkeit seiner Institution im kirchlichen Dienst hautnah mitbekommen hat. Schüller war lange Jahre auch der Vorsitzende der Schlichtungsstelle bei arbeitsrechtlichen Streitfällen. Deutschland erlaubt – im Gegensatz zu Österreich – den Kirchen ein eigenes Arbeitsrecht, das den Beschäftigten einen frommen Lebensstil abverlangt, den viele Kleriker selbst nicht einhalten: "Am Ende bestimmt allein die Kirche, ob ein bestimmtes, aus ihrer Sicht defizitäres moralisches Fehlverhalten die Institution selbst gefährdet. Damit hat man der Kirche einen Freifahrtschein ausgestellt, willkürlich mit ihren Mitarbeitern umzugehen."

Epochale Zäsur

Während auf der einen Seite geschiedene Kindergärtnerinnen, arbeitsrechtlich sauber, aber letztendlich gnadenlos entlassen werden, werden Priester als Missbrauchstäter nicht der staatlichen Gewalt ausgeliefert, sondern versetzt.

Schüller kritisiert das heftig: "Die deutsche Justiz war auf dem linken Auge des kirchlichen Arbeitsrechts und auf dem rechten Auge des staatlichen Sexualstrafrechts blind und hat den Kirchen Spielräume gegeben, die sie keiner anderen Institution so ermöglicht hätte." Selbst wenn die Behörden von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung erfuhren, ließ man die Kirche die Situation selbst bereinigen. Hausdurchsuchungen wurden gar nicht erst durchgeführt, Akten in den Vatikan verräumt, Beweise vernichtet.

"Die katholische Kirche hat Wein gepredigt und drakonisch über die Herzen und Betten ihrer Gläubigen gewacht. Sie hat selbst die schlimmsten Sexualstraftaten ihrer Kleriker vertuscht, gedeckt und sich damit auf Dauer unglaubwürdig gemacht. Dieser Vertrauensverlust ist nicht mehr zu restituieren." Für Schüller führte alleine dieses Verhalten schon zu einer "epochalen Zäsur" im kooperativen Modell mit dem Staat.

Ausweitung der Privilegien

Diese Allianz wird aber nicht hinterfragt. Im Gegenteil: Trotz abnehmender Verankerung des Christentums in der Bevölkerung wird ihre Rolle im Staat durch die Integration anderer Religionsgesellschaften in den körperschaftsrechtlichen Status noch gestützt und gefestigt. Das Islamgesetz aus 1912 wurde erst vor kurzem in Österreich in der Version von 2015 neu gefasst, um die vielgestaltige Religion über eine monolithische Organisationsstruktur, wie der Staat sie von den Kirchen kennt – Schüller nennt das "Christianisierung" – insbesondere im Bildungsbereich zu kontrollieren. Den islamischen Religionsunterricht in staatliche Schulen zu übersiedeln ist aber eher dazu geeignet, Perspektiven auf die Gesellschaft zu normalisieren, die in einer modernen liberalen Demokratie keinen Platz mehr haben. Allen voran Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und sexuellen Orientierung. Gerade die katholische Kirche kann hier nicht als Vorbild dienen: "Wenn wir schon meinen, die islamische Religion über den Religionsunterricht zähmen zu wollen, dann sage ich ganz klar: Die Stellung der Frau in der katholischen Kirche ist noch defizitärer als im Islam. Wir haben eine reine Männerkirche, in der nur Männer, wegen dem Verzicht auf Sexualität, mit Leitung, Ehren, Titeln und Klerikerrang belohnt werden."

Privilegien sind tatsächlich kein Werkzeug, um grundrechtlich problematische Ansichten in den Griff zu bekommen, sie wirken eher wie eine ungerechtfertigte Belohnung.

Ist das kooperative Modell aus Republik und Religion am Ende?

Als letzter Rückzugsort zur Rechtfertigung der bevorzugten Stellung der Kirchen im Staat bleibt oft nur der karitative Bereich, der entgegen landläufiger Meinung nicht über die Kirchenbeiträge finanziert wird. Zur Erbringung gesellschaftlich erwünschter Leistungen wäre der privilegierte Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts auch gar nicht notwendig.

Die Skepsis gegenüber dem Fortbestand der Allianz aus Kirche und Staat bei Schüller ist hoch: "Was wäre, wenn wir heute verfassungsrechtlich nochmal auf Null gehen könnten und uns angesichts der Pluralisierung der religiösen Landschaft überlegen, wie wir die Öffentlichkeit religiösen Tuns ermöglichen?" – Indem wir die unschöne Umklammerung von Religion und Republik lösen.

Die Trennung von Kirche und Staat, wie sie auch Thomas Schüller fordert, ist keine Schlechterstellung oder Bestrafung. Die Befreiung der Religionsgesellschaften aus dem Status der Körperschaft öffentlichen Rechts und von ihren Privilegien würde zumindest gleiche Bedingungen für den weltanschaulichen Mitbewerb schaffen und damit in Summe ein höheres Maß an Religionsfreiheit. Ein Begriff, der heute vor allem deswegen in eine Schieflage geraten ist, weil sich unter diesem Titel die organisierte Religion einen Überschuss an Freiheit gönnt, der ihr nicht mehr zusteht.

Die Zitate im Text stammen aus einem Gespräch mit Thomas Schüller.

Thomas Schüller, Unheilige Allianz, Carl Hanser Verlag, München 2023, 208 Seiten, 22 Euro. ISBN 978-3-446-27766-3

Der Artikeltext stammt aus dem "Newsletter Nr. 79" des Autors. Übernahme unter geringfügigen Änderungen mit freundlicher Genehmigung.

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