Humanistischer Verband ruft Abgeordnete auf: "Sagen Sie viermal nein!"

Falsche Töne und Behauptungen

BERLIN. (hpd/hvd) Auf den "letzten Metern" der Debatte vor der Gesetzesabstimmung über den attestierten Suizid deutet sich ein scharfer Konflikt an: Die VertreterInnen der verschiedenen Gesetzesentwürfe attackieren sich gegenseitig. Bundesärztekammerpräsident zeigt sich weiterhin unbelehrbar.

Wie die Berliner Zeitung berichtet, warnt die Gruppe um die Parlamentarier Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) in einem Rundschreiben an alle Bundestagsabgeordnete, dass der Zeitung vorliegt, davor, den derzeit chancenreichsten Gesetzentwurf der Gruppe um Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) zu unterstützen. "Er berge die große Gefahr, dass Ärzte, die einem qualvoll Sterbenden auf dessen Bitte Suizidhilfe leisteten, künftig mit Gefängnis bedroht würden."

Weiter heißt es: "'Wir sollten die warnenden Stimmen aus Wissenschaft und Praxis hören und auf eine Neukriminalisierung im Bereich der Sterbehilfe verzichten, die Ärzte mit dem Strafrecht bedroht und todkranke Menschen bedrängt', schreiben sie in dem Brief. Dies sei der Wunsch der großen Mehrheit in der Bevölkerung."

Giftige Töne und Behauptungen fern der Realität durch Bundesärztekammerpräsident Montgomery

Wie in den genannten USA-Staaten, geht es auch in Deutschland nicht um "Euthanasie" bzw. Fremdtötung durch einen Arzt. Doch eben dies behauptet steif und fest der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Entgegen jeder Faktenlage, wie der Palliativprofessor Gian Domenico Borasio kontert.

Montgomery gibt zwar an, er könne "auch gut ohne gesetzliche Regelung leben" - auch ohne einen neuen Strafrechtsparagraphen ginge "die Welt nicht unter". Schlimm wären nur zwei Konstellationen: Wenn "die Sterbehilfeorganisationen das dann als Ermunterung verstehen würden. Oder wenn der Antrag von Karl Lauterbach und Peter Hintze durchkäme, der ganz klar auf Euthanasie abzielt. Anders ist deren Satz, Suizidbeihilfe solle unter ärztlicher Begleitung geschehen, nicht zu verstehen."

Interessanterweise ist diese Aussage von Montgomery haargenau – bis in die Wortwahl – die Position der SPD-Abgeordneten Eva Högl. Sie steht für den Gesetzentwurf Brand/Griese, der im November wahrscheinlich im Bundestag verabschiedet werden wird. Dieser will nur einmalige, dilettantische Suizidhilfe straffrei belassen, "organisiert" und ärztlich fachgerechte Suizidhilfe aber zukünftig bestrafen. Auf einer Veranstaltung am 15. Februar in Berlin warf Högl ihren SPD-Kolleg/innen Karl Lauterbach und Carola Reimann vor, diese träten mit dem CDU-Politiker Peter Hintze in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf letztendlich für die Tötung auf Verlangen ein. Auch gegen Klarstellungsversuche einer Vertreterin des Humanistischen Verbandes auf dieser Veranstaltung zeigte sich Högl diesbezüglich völlig unbelehrbar.

Dabei wirkt Högl stets bemüht (erneut auf einer sehr einseitigen Veranstaltung am 22.9.) den Eindruck einer Eifernden gegen die Suizidhilfe zu vermeiden und betont – genau wie hier Montgomery – auch damit leben zu können, wenn alles bliebe wie bisher. Doch wie wird die Behauptung, die ausdrückliche Zulassung/ Legitimierung ärztlicher Suizidhilfe würde zwangsläufig zur Freigabe der Tötung auf Verlangen führen, begründet? Auf der o. g. Sterbehilfe-Veranstaltung mit Högl im Februar wurde mehrfach eine so bisher nicht gehörte Logik dargeboten: Es wäre ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, wenn ein körperlich schwer behinderter Mensch nicht wunschgemäß aus dem Leben scheiden könne, ein zum Suizid fähiger Patient aber wohl. Dies müsse dann zwangsläufig dazu führen, dass z. B. einem völlig gelähmten Menschen doch ein Tötungsangebot gemacht werden müsse – was eben als pervers abzulehnen sei und damit zwangsläufig auch jegliche Anfänge einer organisierten ärztlichen Suizidhilfe.

Montgomery bemüht ebenfalls eine abstruse Logik, wenn er dem Einwand des Interviewers "Wie bitte? Assistierte Beihilfe ist doch etwas völlig anderes als aktive Sterbehilfe …" wie folgt entgegentritt: "Ein guter Arzt", so der Bundesärztekammerpräsident, würde seinem Patienten "niemals ein nur für Tiere zugelassenes Medikament, nämlich Pentobarbital, geben. Wenn Sterbehilfe zur Aufgabe von Ärzten würde, müssten sie beim Patienten bleiben und es auch richtig machen. Sie dürften ihm nicht den Schierlingsbecher reichen, sondern müssten ihm das Gift intravenös verabreichen. Dafür müssten sie dann auch ausgebildet sein, sie müssten eine Haftpflichtversicherung haben für den Fall, dass etwas schiefgeht." An alldem würde man doch sehen, "wie pervers das Ganze wäre".

Dass es in den US-Bundestaaten und auch in der Schweiz durchaus teils seit Jahrzehnten anders zugeht und eine Ausweitung zur Tötung auf Verlangen (durch ärztliche Infusion) nicht zur Debatte steht, wird von Montgomery ebenso abgestritten wie die empirische Datenlage in Oregon.

Wie zuvor Eva Högl betont im Tagesspiegel-Interview auch Montgomery "die hochwertige, intellektuell anspruchsvolle Debatte der vergangenen Monate". Beide sind sich einig, man könne eigentlich recht entspannt bleiben - wenn da eben nicht der Entwurf von Hintze/ Reimann/ Lauterbach wäre. Dieser will als einziger der vorliegenden Entwürfe auf einen neuen Strafrechtsparagraphen verzichten, sondern vielmehr die ärztliche Suizidhilfe ausdrücklich legitimieren, allerdings nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen – Hintze spricht immer wieder vom "Qualtod", der doch nicht gottgewollt sein könne.

Bundesrichter Fischer und Humanistischer Verband rufen Abgeordnete auf: Sagen Sie viermal nein!

Der Karlsruher Bundesrichter Thomas Fischer hält aber auch nichts vom Hintze/ Reimann/Lauterbach-Entwurf (obwohl dieser als einziger von insgesamt vier Entwürfen keinen neuen Strafrechtsparagraphen vorsieht, sondern einen neuen Paragraphen 1921a im BGB) und bewertet ihn auf seine ganz spezielle Art so: "Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs um eine Regelung (Paragraf 1921a), die Ärzten erlaubt, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten. Ja! Bravo! Endlich, nach 115 Jahren, Regelung dessen, was seit 140 Jahren geltendes Recht ist! … Ging es nicht noch unterwürfiger?"

Dem Bundestag liegen zwei weitere Gesetzentwürfe vor: Die Gruppe um Renate Künast (Grüne) will Sterbehilfevereine erlauben, sieht aber sogar zwei neue Strafrechtsparagraphen bei Regelverstößen vor. Der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg und andere wollen die Beihilfe zur Selbsttötung hingegen ganz verbieten.

Bundesrichter Fischer lehnt in seiner Kolumne in der ZEIT alle vier vorliegenden Regelungsentwürfe ab. "Diese fünfte mögliche Variante, die Rechtslage unverändert zu lassen, entspricht der Position unserer Verbandes", erklärt der für diesen Bereich zuständige Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), Erwin Kress. Er stimme deshalb dem Aufruf von Bundesrichter Fischer an den Gesetzgeber zu. Im Artikel, der sich an die Bundestagsabgeordneten richtet, heißt es: "Alles, was Sie (angeblich) regeln sollen, ist schlechter als der bestehende Zustand. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht für ihre Angst mit Strafe bedroht werden. Sie wollen Ihre Hilfe, Ihr Verständnis und Ihren Respekt. Sagen Sie viermal: Nein."

Unbelehrbare Unterstützer/innen des Brand/ Griese/Högl-Entwurfs

Doch die Chance, die festgelegten Verbotsbefürworter/innen “organisierter”/ ärztlicher Suizidhilfe noch mit Argumenten zu erreichen, stehen wohl eher schlecht.

Erwin Kress berichtet von einer Veranstaltung, bei der er am 10.10. in Bochum auf dem Podium saß, u.a. zusammen mit Kathrin Vogler von den LINKEN. Diese ist ebenfalls Unterstützerin des Entwurfs von Brand/Griese/Högl und sei völlig vom Lebensschutzgedanken durchdrungen, hasse die Suizidhilfevereine und hätte sich vom Buch des Arztes und Sterbehlfers Christian Arnold zutiefst abgestoßen gezeigt. Dergestalt stark emotionalisert dringen natürlich keine Argumente durch.

Vogler sei unfähig, so Kress, die einzelnen juristischen Implikationen des Brand/Griese/Högl-Entwurfs zu verstehen. So habe sie bereits in ihrer Bundestagsrede in deren Verkennung gesagt: "Die Vereine könnten selbstverständlich weiter beraten, informieren und aufklären." Auch den Hinweis, dass es absurd sei, ausgerechnet Angehörigen die Hilfe beim Suizid zu gestatten, wenn man Druck auf ältere kranke Menschen fürchtet, habe sie nicht an sich herangelassen. Sie meine stattdessen, es gehe dabei ja nur darum, dass ein Angehöriger nicht bestraft werden soll, wenn er z. B. jemanden in die Schweiz begleitet. Zudem hätten die 140 Strafrechtsprofessoren, die sich gegen einen neuen Verbotsparagraphen der Suizidhilfe gewandt haben, ja den von ihr unterstützten Entwurf, der ja ein Weg der Mitte sei, zu diesem Zeitpunkt noch garnicht gekannt.

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