Muslimisches Forum - Berliner Thesen

Islamisches Bekenntnis zu Menschenrechten und Selbstbestimmung

BERLIN. (hpd) Von dem im April gegründeten Muslimischen Forum Deutschland war in den letzten Monaten wenig zu hören. Wer jedoch angenommen hat, es habe sich vielleicht nur um eine medial aufgeblasene "Eintagsfliege" gehandelt oder die Gruppe sei an ihrer Heterogenität gescheitert, hat sich gründlich geirrt.

Anfang Oktober ist eine Grundsatzerklärung vorgelegt worden, die die Aussagen der Gründungserklärung in wichtigen Bereichen präzisiert und sich auch auf die aktuelle Flüchtlingssituation bezieht. In den (insgesamt siebzehn) Berliner Thesen werden Kernpunkte eines humanistischen Islams vorgestellt. Die Erläuterungen reichen vom Islam-Begriff, über die Koranexegese, das Verhältnis von Religion(en) und Staat, die "Kopftuchfrage", die ausführliche Betonung der Rechte von Kindern auf Bildung und Inklusion, zum Salafismus bis hin zur Flüchtlingspolitik.

Die Berliner Thesen enthalten ein klares Bekenntnis zu einem humanistischen, die Menschenrechte achtenden Islam sowie eine eindeutige Absage an Salafismus, aber auch an einen traditionell-orthodoxen Islam, der Einschränkungen eines selbstbestimmten Lebens aus religiösen Gründen verlangt.

In den letzten Monaten hat es seitens der islamisch-konservativ-orthodoxen Strömungen in Deutschland Kritik an der Gründung des Muslimischen Forums gegeben. Das konnte natürlich nicht anders sein, denn diese neue Organisation ist unerwünschte Konkurrenz auf dem Feld der Religionsbetätigung (als Stichworte seien nur genannt: Zugriff auf Religionsunterricht, Alleinvertretungsansprüche bezüglich der Muslime, Deutungshoheit über den Islam). Den Kritikern dämmert wohl die aus ihrer Sicht unheilvolle Ahnung herauf, dass eine humanistische islamische Vereinigung den Mainstream aller MuslimInnen in Deutschland repräsentieren könnte und nicht ihr eigener rückwärts gewandter Islam.

Zu den Mitgliedern des Muslimischen Forums zählen so namhafte Personen wie Prof. Mouhanad Khorchide (Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster), Prof. Erdal Toprakyaran (Direktor des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Tübingen), Prof. Handan Aksünger (erste Professorin für Alevitentum, Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg), Lamya Kaddor (Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Autorin und Vorsitzende des Liberalislamischen Bundes), Ahmad Mansour (Diplom-Psychologe, Autor und Träger des Moses-Mendelssohn-Preises des Berliner Senats), Abdul-Ahmad Rashid (Journalist (ZDF)), Güner Yasemin Balci (Journalistin und Autorin), Cigdem Toprak (Journalistin) und verschiedene mehr.

"Wir sind für die Trennung von Religion und Politik", heißt es in den Berliner Thesen, denn nur dadurch könne sich eine Diskussionskultur manifestieren, die das demokratische Bewusstsein stärke und zugleich die Religion vor Missbrauch durch die Politik schütze - eine auf leidvoller Erfahrung beruhende Folgerung aus der Situation in den sog. islamischen Ländern, in denen keine Religionsfreiheit herrscht und in denen die politische Macht die Religion als Unterdrückungsideologie (be)nutzt. Deutlich wird zum Ausdruck gebracht, dass "menschenverachtende Islamverständnisse", genannt wird als Beispiel der Salafismus, "mit der Werteordnung einer säkularisierten Gesellschaft nicht vereinbar" seien und es keine Toleranz gegenüber gewalttätigen Fanatikern geben dürfe.

Das Muslimische Forum bekennt sich zu einem Islam, der einem ständigen Entwicklungsprozess unterliegt. Der Koran könne nur in seinem historischen Kontext gelesen und - diskursiv - verstanden werden. Religiöse "Wahrheit" anderen Menschen aufzuzwingen, widerspreche dem "Geist eines humanistischen Islams".

Eine deutliche Gegenpositionierung zu konservativ-orthodoxen Islamvorstellungen, wie sie von den entsprechenden Islamverbänden in Deutschland vertreten wird, zeigt sich in den Ausführungen zu Kindern und Jugendlichen: verlangt wird eine Erziehung zum selbstbestimmten Leben (und zwar auch hinsichtlich der Sexualität), abgelehnt werden patriarchalischen Strukturen. Auch die bekannten "heißen Eisen" werden in einem menschenrechtlichen Sinne angepackt: Schwimmunterricht, Klassenfahrten und Sexualkunde seien Teil des schulischen Bildungsauftrages und damit zu akzeptieren. Punkt. Eine eindeutige Positionierung, die wohl beim Zentralrat der Muslime, bei Ditib, Milli Görüs u.a. auf stärksten Widerstand stoßen wird. Die konservativ-orthodoxe Verbände nehmen bekanntlich gegen diesen Bildungsauftrag Stellung und versuchen ihn, gemeinsam mit strenggläubigen Eltern auszuhöhlen.

Zu den Grundsätzen der liberalen humanistisch orientierten Muslime gehört auch die Förderung einer kritischen Diskussions- und Streitkultur unter muslimischen Jugendlichen. Darüber hinaus wird ein Konzept zur "nachhaltigen Vermittlung von Normen, die auf dem gesamtgesellschaftlichen Konsens basieren und das Grundgesetz zur Grundlage haben" verlangt. Inklusion statt Exklusion. "Im Exklusivismus liegt einem Grundlage für Gewalt" heißt es in den Berliner Thesen.

Zur "Kopftuch-Frage" wird auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen Bezug genommen und auf das geltende Recht orientiert, was das Kopftuchtragen im Rahmen beruflicher Tätigkeit angeht. Hierzu scheint es im Muslimischen Forum unterschiedliche Auffassungen zu geben. Ausdrücklich wird jedoch erklärt, dass das Ablegen des Kopftuches ein Ausdruck von Selbstbestimmung der Frau sei. Damit wird - und das ist die wichtige Botschaft in die muslimische Community - deutlich Position bezogen gegen islamische Gruppen, die Frauen, die das Kopftuch ablegen, diskriminieren und ausgrenzen. [1]

Einzigartig aber unter den islamischen Vereinigungen in Deutschland - menschenrechtlich positioniert und am Kindeswohl orientiert - steht das Muslimische Forum dar, wenn in These 4 die Ablehnung des Kopftuchtragens von Mädchen – ohne Wenn und Aber - zum Ausdruck gebracht wird. Das Kopftuch ist nicht bloß Folklore oder Accessoire, sondern im Falle von Mädchen Ausdruck einer religiösen Prägung, ja Zurichtung (im Sinne von ehrbar, keusch, züchtig und gottgefällig) – bereits im Kindesalter.

Hiergegen wenden sich die Berliner Thesen, die auf Freiheit und Selbstbestimmung (und die hierauf bezogene Ausbildung von Kindern) orientieren.

Das Muslimische Forum lehnt menschenverachtende Hassideologien jeglicher Art (antimuslimische, antisemitische, rassistische, homophobe) ab. Das Forum vermeidet – orientiert an den tatsächlichen Problemen in der Gesellschaft - aber die übliche und insbesondere in Multi-Kulti-Kreisen verbreitete Einseitigkeit, in dem es zudem auch deutschenfeindliche Stereotypen ablehnt. In These 10 heißt es u.a.: "Sowohl Drangsalierung als auch der Hass auf den 'Westen', bzw. jede Form religiös oder ideologisch motivierter Gewalt müssen friedlich bekämpft werden. Weiterhin sollen Klischees, Zuschreibungen und Feindbilder aus den Herkunftsländern aufgearbeitet werden."

Mit dem Muslimischen Forum Deutschland ist eine neue "Stimme des Islam" auf die politische Bühne getreten, die von Gesellschaft und Politik nicht ignoriert werden darf. Aufgegriffen werden die drängenden Probleme der Zeit, auf die die konservativ-orthodoxen Verbände keine (oder zumindest keine hinreichende) Antwort geben können. Neben dem Liberal-Islamischen Bund ist nun ein zweiter islamischer Verband vorhanden, für den Religion und Menschenrechte keine Gegensätze darstellen, der Traditionen kritisch zu hinterfragen auffordert, und der aus der Religion humanistische Reflexionen für das friedliche gesellschaftliche Miteinander aber auch die Spiritualität eines jeden einzelnen zur Gestaltung seines Lebens entwickeln möchte.

Damit wird sich die Frage danach, ob nicht nur Muslime, sondern auch der Islam zu Deutschland gehört, möglicherweise neu stellen. Warum sollte ein humanistischer Islam, der auf individuellen und universellen Menschenrechten basiert, in Zukunft nicht zu Deutschland gehören. Dagegen spricht eigentlich nichts, aber vieles dafür.

[1] Siehe hierzu auch “Erwachsen wird man nur im Diesseits” - Ausführungen der Muslimin Emel Zeynelabidin, die vor zehn Jahren das Kopftuch abgelegt hat.