Kommentar

Die grausame Realität US-amerikanischer Abtreibungsverbote

Nach dem Ende von Roe v. Wade sollte es nur Stunden dauern, bis die ersten Abtreibungsverbote in Kraft getreten waren. Lediglich fünf der insgesamt 14 US-Bundesstaaten, die Abtreibungen mittlerweile weitreichend kriminalisieren, machen eine Ausnahme im Falle einer vergewaltigungsbedingten Schwangerschaft. Eine neue Studie zeigt das erschreckende Ausmaß dieses Verbots: Zehntausende Menschen sind gezwungen, solche Föten auszutragen. Ein Kommentar.

Seit nunmehr eineinhalb Jahren ist das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch und auf medizinische Privatsphäre in den Vereinigten Staaten Geschichte. Seitdem haben 14 Bundesstaaten Abtreibungen unter Strafe gestellt, nur fünf davon sehen Ausnahmeregelungen im Falle einer Vergewaltigung vor. Diese kann allerdings nur in Anspruch nehmen, wer die Vergewaltigung auch polizeilich zur Anzeige bringt. Texas hat "Kopfgelder" ausgesetzt: Die Denunziation von Mediziner*innen und Privatpersonen, die bei Abtreibungen unterstützen, wird vom Staat mit bis zu einigen Tausend US-Dollar honoriert.

In diesem Klima drängt sich schnell eine überaus unangenehme Frage auf: Wie viele vergewaltigungsbedingte Schwangerschaften gibt es in diesen Bundesstaaten eigentlich? Und wie viele der Personen, denen dieses entsetzliche Schicksal widerfährt, können die entsprechenden Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen?

Eine Statistik des Grauens

Ende Januar veröffentlichte Dr. Samuel Dickman, Chief Medical Officer bei Planned Parenthood Montana, zusammen mit seinem Team eine quantitative Analyse, basierend auf Daten des Center for Disease Control, der Statistikabteilung des Justizministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FBI. Der Bericht schätzt die Gesamtanzahl vaginaler Vergewaltigungen (angezeigt und nicht angezeigt) von Mädchen und Frauen zwischen 15 und 45 zwischen 1. Juli 2022 und 1. Januar 2024 in den 14 Bundesstaaten mit Abtreibungsverboten auf insgesamt 519.981. Davon sollen 12,4 Prozent, also knapp 65.000 Übergriffe, eine Schwangerschaft herbeigeführt haben.

Nur neun Prozent (5.586) dieser Schwangerschaften passieren wiederum in den fünf Bundesstaaten, die eine Ausnahmeregelung etabliert haben, 91 Prozent (58.979) der Betroffenen leben in Bundesstaaten ohne Ausnahme für vergewaltigungsbedingte Schwangerschaften. Selbst in den Bundesstaaten mit Ausnahmeregelung ist die Anzahl derjenigen Frauen, die sie in Anspruch nehmen können, marginal, schreiben die Autor*innen: "[D]ie hohe Anzahl der geschätzten vergewaltigungsbedingten Schwangerschaften in Bundesstaaten mit Abtreibungsverbot im Vergleich mit den zehn oder weniger legalen Abtreibungen pro Monat in jedem einzelnen dieser Bundesstaaten zeigt, dass Personen, die vergewaltigt wurden und schwanger werden, selbst in Bundesstaaten mit Ausnahmen für Vergewaltigungen keinen Zugang zu legalen Abtreibungen haben."

Abtreibungsverbot nach texanischer Art

Den unrühmlichen ersten Platz belegt, mit atemberaubendem Abstand, Texas. Etwas weniger als die Hälfte der im 16-monatigen Bezugszeitraum geschätzten vergewaltigungsbedingten Schwangerschaften fanden in Texas statt, circa 26.000 an der Zahl. Insgesamt wurden in Texas in diesem Zeitraum über 211.000 Frauen zwischen 15 und 45 Jahren vergewaltigt. Besonders perfide hieran ist die Tatsache, dass Gouverneur Abbott vor einigen Jahren verkündete, das neue texanische Abtreibungsverbot brauche überhaupt keine Ausnahmen für Vergewaltigungen, weil seine Regierung diese vollständig "eliminieren" würde.

Diese Zahlen sind mehr als schockierend. Und dabei ist die Schätzung insofern noch konservativ, als dass der Bericht versuchte Vergewaltigungen gar nicht in den Blick nimmt und Personen unter 15 und über 45 von vornherein herausrechnet, um eine belastbare statistische Basis für den Proporz der Übergriffe, die in einer Schwangerschaft enden, zu schaffen.

Es ist an dieser Stelle lohnenswert, darauf einzugehen, warum gerade Texas derart einsam an der Spitze dieser beschämenden Statistik steht: Einerseits spielen demographische Faktoren eine große Rolle: Texas ist nach Kalifornien der zahlenmäßig größte US-Bundesstaat, mehr als 30 Millionen Menschen leben dort. Keiner der 13 anderen Bundesstaaten mit Abtreibungsverbot erreicht auch nur annähernd diese Populationsgröße. Andererseits ist es aber nur schwer vorstellbar, dass der ungezügelte Furor radikaler Abtreibungsgegner wie Generalstaatsanwalt Ken Paxton hier nicht auch seinen Teil beigetragen haben sollte.

So ist das Abtreibungsverbot nach texanischer Art, das Schwangerschaftsabbrüche unter anderem über den Weg des Zivilrechts und der Denunziation kriminalisiert und damit die Möglichkeit aushebelt, auf Bundesebene dagegen zu klagen, mittlerweile zur Blaupause für andere Bundesstaaten avanciert. Unter anderem, weil in Texas nicht eins, nicht zwei, sondern drei verschiedene Gesetze existieren, die Schwangerschaftsabbrüche auf unterschiedliche Weise kriminalisieren. Ausnahmen im Falle der Gefährdung des Lebens der Schwangeren haben sich ebenfalls als bloßes Feigenblatt ohne jegliche reale Relevanz für die Betroffenen herausgestellt, wie jüngst die Leidensgeschichte der 31-jährigen texanischen Mutter Kate Cox bewies.

Letztlich ist es sowieso nicht verwunderlich, dass gerade Texas ohne jede Berücksichtigung medizinischer Expertise zum Kreuzzug gegen die selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung bläst. Schließlich war es – Überraschung! – ein texanisches Abtreibungsgesetz, das 1973 vom Supreme Court im Fall "Roe v. Wade" als verfassungswidrig einkassiert wurde, weil es das Grundrecht auf medizinische Privatsphäre verletzt. Die Tragweite dieser Entscheidung ging weit über Schwangerschaftsabbrüche hinaus, das Urteil ist die Grundlage für den 1996 vom Kongress erlassenen Health Insurance Portability and Accountability Act ("Gesetz zur Sicherung der Übertragbarkeit und Überprüfbarkeit von Krankenversicherungsleistungen"), der den Umgang mit vertraulichen Gesundheitsinformationen regelt. Abbott und Paxton setzen lediglich dort an, wo der Supreme Court ihre Vorgänger vor gut 50 Jahren ausgebremst hatte.

Das Ende von "Roe v. Wade" ist nicht nur das Ende einer vernünftigen, selbstbestimmten und evidenzbasierten Reproduktionsmedizin. De jure ist es das Ende der medizinischen Privatsphäre, de facto das Ende der Mitmenschlichkeit. Einen Menschen zu vergewaltigen, ist unendlich grausam. Einen Menschen qua Gesetz zu zwingen, ein durch eine Vergewaltigung gezeugtes Kind auszutragen, ist noch mehr als das. Es ist staatlich verordneter Sadismus und eine krasse Verletzung elementarster Rechte.

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