Das Turiner Grabtuch: Stoff für Legenden

Einige Christen verehren das Turiner Grabtuch als Leichentuch Christi. Doch eine überwältigende Anzahl von wissenschaftlichen Befunden spricht dafür, dass es sich bei dem Stoffstreifen mit dem Umriss einer menschlichen Gestalt um das Werk eines mittelalterlichen Künstlers handelt. Ein spanischer Forscher liefert nun eine weitere Bestätigung.

Das Turiner Grabtuch, aufbewahrt im Dom von Turin, ist etwa 4,5 Meter lang, gut einen Meter breit und zeigt die Gestalt eines nackten bärtigen Mannes. Der Legende nach handelt es sich um das Abbild von Jesus Christus, das sich auf wundersame Weise in das Leinen eingeprägt haben soll. Spuren einer rötlichen Substanz, die ebenfalls auf dem Stoff zu finden sind, deuten Gläubige als Blut des Gekreuzigten.

Doch die Abbildung zeigt Ungereimtheiten. Der linke Arm und die Hand der Figur sind erheblich länger als die rechten Gliedmaßen, schreibt der Regisseur und Filmwissenschaftler Elio Quiroga Rodríguez von der Universidad del Atlántico Medio (Las Palmas, Spanien) in seinem kürzlich veröffentlichten Aufsatz im Fachjournal Archaeometry. Dass dieser Unterschied von 7 bis 10 Zentimetern auch nicht durch eine so grausame Hinrichtungsart wie eine Kreuzigung zu erklären ist, haben auch frühere Forscher bereits betont.

Der Befund spricht also dafür, dass das Bild kein Abdruck eines tatsächlichen Leichnams ist, sondern von Menschenhand aufgetragen wurde. Aber warum diese Abweichung? Quiroga Rodríguez vermutet, dass der Künstler den Arm verlängert dargestellt hat, um den Genitalbereich der Figur zu bedecken – damit folgte er einer Konvention der mittelalterlichen christlichen Kunst, schreibt der Forscher weiter. Zudem sei die Haltung der Hände auf dem Tuch unüblich für eine exhumierte Leiche. Die Hände blieben nicht gekreuzt auf dem Körper liegen, sondern würden seitlich daneben herabfallen. Wären die Hände vor dem Körper fixiert gewesen, hätte man davon Spuren finden müssen, etwa von einem Bindeband.

Sein Argument fügt sich wie ein Mosaikstein in den Befund, den zahlreiche Forscher unterschiedlicher Fächer in den letzten Jahrzehnten ermittelt haben. Verlässliche Berichte reichen nur bis ins Mittelalter zurück, und Altersbestimmungen des Leinens mit der Radiokarbon-Methode weisen auf eine Entstehungszeit im 14. Jahrhundert hin. Zudem war die dafür verwendete Webtechnik im mittelalterlichen Europa verbreitet, nicht aber in der Region um Jerusalem des 1. Jahrhunderts, wo Jesus gestorben sein soll.

Die ersten überlieferten Zweifel an der Echtheit des Tuches stammen ausgerechnet von einem Kirchenmann. Das Bild sei "auf listige Art und Weise gemalt", schrieb Bischof Pierre d'Arcis im Jahr 1389. In den 1970er und 1980er Jahren wies der Chemiker Walter McCrone an den Stoffstellen mit Abbild den Farbstoff Eisenoxid und ein Bindemittel nach. Beide Substanzen wurden im Mittelalter von Künstlern verwendet.

Dass sich vergleichbare Abbilder mit Mitteln herstellen lassen, die bereits im 14. Jahrhundert verfügbar waren, zeigten Versuche des bekannten US-Skeptikers Joe Nickell. In Kooperation mit dem Maler Walter Sandford erzielte er mit einer Flachrelief-Technik Resultate, die dem Turiner Tuch ähneln. In einem anderen Experiment erzeugte der italienische Skeptiker und Chemiker Luigi Garlaschelli mit Pigmentpaste den Gesichts-Abdruck einer Versuchsperson.

Die katholische Kirche dürften all diese Ergebnisse wenig berühren. Offiziell wertet sie das Turiner Grabtuch nicht als Reliquie, also als "echtes" Leichentuch Christi. Es gilt vielmehr als Ikone. Ikonen sind nach christlicher Lesart künstlerische Abbildungen, die den Gläubigen eine besondere Verbindung zu Gott vermitteln sollen. Die nächste öffentliche Ausstellung des Tuches ist für 2025 geplant. Dann feiert die katholische Kirche ein "Heiliges Jahr".

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Ausgewählte Literatur:

McCrone, W. C. (1999): Judgment day for the Shroud of Turin. Prometheus Books, Amherst NY.

Nickell, J. (1983): Inquest On The Shroud Of Turin. Prometheus Books, Amherst, NY.

Sarma, A. (2000): Ein Tuch mit sieben Siegeln? Das Turiner Grabtuch als Forschungsgegentand. Skeptiker 1/2000, S. 76 – 85.