ODERNHEIM. (hpd) Dieses Buch wird vor allem für jene Gläubigen interessant sein, die sich in einem Dilemma befinden, weil sie einerseits sich immer noch an die Kirche gebunden fühlen, andererseits mit dem Verurteilungs-, Verbannungs- und Verdammungsgott, dem Kontroll- und Überwachungsgott, dem letztlich alles Geschehen determinierenden Gott nichts mehr zu tun haben wollen.
Ihnen wird das neueste Buch Horst Herrmanns Trost, Bestärkung und Hilfe bieten, ja, in gewisser Weise eine Revolution bedeuten, weil er das ganze negativ besetzte Gottesbild der Kirche abschaffen will und es durch ein ganz neues, von totaler und universaler Liebe und Freundschaft geprägtes Gottesbild ersetzten möchte.
Herrmann tritt damit in die Fußstapfen einiger modernisierender Theologen wie schon vor mehreren Jahrzehnten der Benediktiner Thomas Sartory, der den Katholiken einhämmerte: "In der Hölle brennt kein Feuer" oder der Theologieprofessor Eugen Biser, der, vom Theodizee-Problem völlig unbelastet, ständig wiederholte, Gott sei die schrankenlose, über allen Zweifel erhabene absolute Liebe.
Also, so ganz neu ist der Ansatz von Herrmanns Buch nicht. Selbst die "Herren der Kirche" wissen inzwischen ganz genau: Es würde, wo doch eben ein Massen-Exodus von Gläubigen wegen des Prunkgehabes des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst passierte, eine neue Austrittswelle aus der Kirche einsetzen, wenn die Kirche das mysterium tremendum Gottes weiterhin verkündete. Deshalb gibt es ja einen Papst Franziskus, der die Liebenswürdigkeit Gottes und der Kirche ununterbrochen in seiner Person zu verkörpern hat (siehe dazu mein Buch "Papst Franziskus. Die kritische Biografie").
Trotzdem ist Herrmanns Buch, von diesen Vorläufern abgesehen, die wahrscheinlich umfassendste und systematischste Hymne auf Gott als Freund, indem er wie kaum ein anderer alle Aspekte, Nuancen, Facetten dieser Freundschaft gesammelt, analysiert, zum Teil sogar zum ersten Mal entdeckt hat. Insofern ist Herrmanns Publikation auch eine sehr mutige. Um das zu verdeutlichen, muss ich ein wenig ausholen. Es gehört ja einiger Mut dazu, als Universitätsprofessor der katholischen Theologie aus der kirchlichen Zwangsanstalt auszutreten. Nachdem ich 1972 als erster im zwanzigsten Jahrhundert diesen Schritt vollzogen hatte, sah ich mich, von der Theologenclique wie vom Teufel das Weihwasser gemieden, nach Gesinnungsgenossen um und fand einen solchen in Horst Herrmann. Dieser war zwar zu diesem Zeitpunkt aus der Kirche noch nicht ausgetreten, aber seine scharfen kirchenkritischen Äußerungen führten mit der Zeit zwangsläufig zum Abschied von ihr.
Nicht nur damit bewies Horst Herrmann Mut, sondern auch mit dem jetzigen Buch. Denn nach seinem Kirchenaustritt fand er viele Freunde und Sympathisanten in Kreisen, die sich die Aufklärung breiter Volksschichten zum Programm gemacht hatten, also unter Atheisten, Pantheisten, Agnostikern, Evolutionisten, Naturalisten usw., denen das Gottesbild der Kirche nichts mehr sagte, egal ob es sich nun um ein freundliches, freundschaftliches Gottesbild oder um ein diktatorisches handelte.
Die übliche schematische, fast schon klischeehafte Vermutung ist doch die: Ein Priester oder ein Theologe, der die Kirche verlässt und sie noch dazu so harsch kritisiert, kann doch in weltanschaulicher Hinsicht eigentlich nur noch Atheist werden. Das ist bei Herrmann eben nicht der Fall. Aber er hat seine Sonderstellung zwischen Atheismus und Katholizismus so gut wie nie an die große Glocke gehängt, und auch ich habe ihn nie danach gefragt, weil ich überzeugt war, dass er nunmehr Atheist oder zumindest totaler Agnostiker geworden sei. Und nun kommt diese Liebeserklärung an Gott (siehe Untertitel seines Buches), die auch für mich eine echte Überraschung, in gewisser Weise eine Sensation ist. Dass dieser kritische, nüchterne Analytiker der Kirche und der Gesellschaft in ihren diversen Bereichen hier in diesem neuen Buch einen ganz neuen Ton feinsinnigster Güte und Zärtlichkeit zu Gott als Freund anschlägt und in meditativ empfänglichen Seelen bestimmt auch zum Klingen bringen wird, hat mich, wie gesagt, echt überrascht. Der scharfe Kritiker und Analytiker als herzerwärmend Liebender! Das werden ihm so manche in der Öffentlichkeit übelnehmen. Aber Herrmanns Problembewusstsein, wie es sich in all seinen Publikationen zeigt, deutet auch darauf hin, dass er sich über diese Konsequenzen seines neuesten Buches im Klaren gewesen sein muss und trotzdem mutig diese Konsequenzen auf sich nehmen will.
Mit seinem neuesten Buch könnte Horst Herrmann an die Seite der "Confessiones" des großen Augustinus an der Wende von der Antike zum kirchlichen Mittelalter rücken, nur dass er den brutalen Schritt des Letzteren, nämlich die Aufspaltung der menschlichen Gesellschaft in eine auserwählte Elite und eine massa damnata natürlich nicht mitmacht. Herrmanns Buch enthält tiefschürfende Analysen nicht nur der Freundschaft, sondern zum Beispiel auch der Gelassenheit, des souveränen Umgangs mit der Zeit, der Demut, der Wahrhaftigkeit, der Geduld, der Zivilcourage usw., also alles dessen, was zu einer wertvollen Freundschaft und auch zu einer gelungenen Lebenskunst konstitutiv dazugehört. Im Vergleich zu meinem Buch "Die Kunst zu sein. Philosophie, Ethik und Ästhetik sinnerfüllten Lebens" hat Herrmann alle Facetten und Nuancen der eben genannten und zahlreiche weitere Aspekte noch konkreter und lebensnäher ausgestaltet.
Trotzdem bleiben Fragen und Bedenken. Kritiker werden fragen, woher Herrmann denn wisse, dass Gott alle patriarchalischer Herrschaft entnommenen und auf Gott übertragenen Hoheitstitel der Majestät, der Weltherrschaft, der Allmacht und Allwissenheit, der absoluten, keine Einschränkungen duldenden Souveränität abgelegt habe und wieso nun ausgerechnet Horst Herrmann genau wisse, dass Gott einzig und allein pure Freundschaft und Liebe ist. Professor Herrmann kennt das Theodizee-Problem durchaus, weiß um die unüberwindbar erscheinenden Klippen der Harmonisierung des Übels in der Welt mit einem uneingeschränkt gütigen Gott. Er spricht auch in allgemeinerer Form im hier besprochenen Buch über diese Problematik, aber der meines Erachtens wichtigsten Aufgabe, hier eine Harmonie zwischen seinem Freundschaftsgott und dem Übel in der Welt herzustellen, unterzieht er sich nicht. Diese irrationale Lücke wird ihm so mancher nicht verzeihen. Herrmann beruft sich einfach auf die Kategorie des Erlebens, der Erfahrung. Er habe sein ganzes Leben lang Gott als Freund, als freundschaftlichen Begleiter erlebt. Punkt. Schluss!
Und tatsächlich: Wenn einer ein tiefgreifendes religiöses Erlebnis hatte, zweifelt er in den meisten Fällen nicht mehr daran, kann dieses Erlebnis von rationalen Einwänden, psychologischen und psychoanalytischen Bedenken kaum erschüttert werden. Eine religiöse Erfahrung mag dem Erlebenden Gewissheit bringen. Intersubjektiv ist sie aber nicht kommunikabel. Der andere kann ihm glauben oder auch nicht.
Außerdem: Fast jeder kann zahlreiche Belege für unfassbares Elend und Unglück auf diesem unseren Planeten finden. Er muss nur die Zeitung aufschlagen oder auch nur an ein einziges Beispiel von vielen denken, an die Katastrophe, die darin bestand, dass ein wahnsinniger Pilot ein Flugzeug auf eine Felswand lenkt und damit 150 Menschen umbringt, darunter 16 Schüler eines Halterner Gymnasiums, die noch das ganze Leben vor sich hatten. Wie sollen die Eltern dieser Jugendlichen Gott mit Horst Herrmann als den in allen Situationen des Lebens freundschaftlichen Begleiter erleben oder glauben? Sicher, ein frommer Theologe wird tausend Antworten finden, um seinen Gott trotzdem als das unergründliche Geheimnis der Liebe und Freundschaft pseudo-argumentativ zu retten. Die wirklich Betroffenen wird es nicht überzeugen.
Wie gesagt, in der unmittelbaren Gegenwartsliteratur gibt es vielleicht keinen Autor, der Gott so exklusiv und engagiert in seinem Buch als Freund herausarbeitet wie Professor Herrmann. Es ist ein sympathisches Buch, aber nicht genügend deutlich gemacht hat er, dass Gott als Freund und uneingeschränkter Liebhaber des Menschen ebenso eine Projektion der menschlichen Psyche und Vorstellungskraft ist wie Gott als absoluter Herrscher und Souverän.
Sicherlich beweist eine Projektion nicht, dass es Gott nicht geben kann. Sollte es ihn geben, dann wäre er jedenfalls von dem, was ein Mensch über ihn denkt oder imaginiert, völlig unabhängig. Insofern sind beide Gottesbilder, das der Kirche wie das Herrmanns für die Existenzfrage Gottes irrelevant. Es werden aber nicht bloß Rationalisten, Skeptiker und Pessimisten von außerhalb der Kirche sein, die für die Annahme Gottes als exklusivem Freund wenigstens ein paar gute Argumente verlangen, auch so mancher wenigstens zu denken versuchende Kirchengläubige wird Herrmanns Vision nicht ohne weiteres akzeptieren.
Ich wünsche diesem Buch trotzdem eine weite Verbreitung, weil es anstößig im weitesten Sinne des Wortes ist.
Horst Herrmann, "Befreit Gott von den Gläubigen! Eine Liebeserklärung an Gott", Marburg 2015, Tectum Verlag, ISBN: 978–3–8288–3638–9; 328 S., 18,95 Euro
7 Kommentare
Kommentare
Walter Otte am Permanenter Link
Anerkennung für Horst Hermann, dass er mit der von Herrn Mynarek erwähnten verbreiteten Vorstellung aufräumt, er sei Atheist bzw. Agnostiker und sich stattdessen als Anhänger eines Gottes outet.
David am Permanenter Link
Warum sollte das hardcore atheisten stören? Es gibt nunmal menschen, die setzten sich gerne AluHūtchen auf den kopf und sind glūcklich dabei.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Was sind denn Hardcore-Atheisten? Kein Atheist, der sich als Humanist versteht, kann diese Bezeichnung verdienen.
Gibt es "Hardcore-Atheisten", die Hermanns Buch als "Schlag ins Kontor" empfinden und daraufhin zu Verleumdung und Entmenschlichung seiner Person schreiten, so haben diese im Umfeld des Humanismus, wie ihn die überwiegende Mehrheit der gesellschaftlich aktiven Humanisten in diesem Lande verstehen, nichts zu suchen. Man wird sie dort auch nicht finden.
Insofern muss ich auch Sie, Herr Otte, in Ihrer Gespanntheit enttäuschen.
Thomas B. Reich... am Permanenter Link
@Walter Otte
Ein Gott ist ein Ding (Kraft) welches man Gefühlen und Gedanken verleiht.
Alte Monogötter waren z.B. Ahura Mazda oder Aton, also Licht und alles was das Licht erschaffen hat, incl. den Herrscher. Jede Religion ist ein Macht- und Herrschaftsinstrument.
itna am Permanenter Link
Frei nach dem Motto:
Hätten Pferde einen Gott, so wäre er ein Pferd.
Und darüber ein Buch?
Wischiwaschi potenziert-das Alte passt nicht mehr, machen wir es neu.
Könnt ihr gerne, ihr Christen, nur müßt ihr Euch dann mal einen neue Bedienungsanleitung schreiben und die alte verbrennen( da habt ihr ja Übung, wie das geht).
C.Scherg am Permanenter Link
Schon Titel und Untertitel stoßen mich ab! Richtig müsste es heißen:
"Befreit die Gläubigen von Gott. Eine Liebeserklärung an den Menschen, wie er ist und werden kann".
Ganz undogmatisch.
Peter Friedrich am Permanenter Link
Es gibt zur christlichen Idee noch einen existentiellen Zugang, "vom Menschen her" wie es Eugen Drewermann nennt.
Wir können uns mit Eugen Drewermann, einen Besseren kenne ich nicht, in Ruhe ansehen, warum Haplorrhini im Laufe der Jahrtausende seine allfälligen religiösen Bücher geschrieben hat.
Gott entstand demnach im Gehirn des Menschen. Warum entstand Gott im Gehirn?
Wir sehen seit Urzeiten Menschen, die einem unsichtbaren Gott quasi über seine Schulter hinweg lauernd auf die Finger schauen, auf daß er verdammt nochmal nun endlich das jeweils Gewünschte tue, ihn dabei unaufhörlich betend bestürmend. Also eine Perspektive von "Gott" her, das eine Ende des Stocks.
'Was dabei notorisch übergangen wird ist die Frage, was in
Menschen vor sich geht, die sich in ihren Sehnsüchten auf "Gott" hin ausrichten. Das wäre die Perspektive vom Menschen her, das andere Ende des Stocks.
So könnte sich irgendwann eine Brücke zwischen religiös
Verobjektivierenden und aufgeklärteren Menschen auftun: Religiöse Aussagen als menschliche Selbstaussagen wahrnehmen und daraus die Frage: Wozu dann der transzendentale Bezug; was will ich als Mensch eigentlich ins Absolute gesetzt wissen und warum?
Schaut man sich uns Menschen, unsere Frage, wie wir Menschen wurden und werden und unsere Geschichte an, so bliebe neben der Erfüllung gewisser Grundbedürfnisse eigentlich nicht viel mehr an wesentlichen, essentiellen Wünschen aller Menschen, als daß es personhaft jemanden gibt, der mich einfach dafür mag, daß es mich gibt, und mir das zeigt, "...können es nicht zwei Hände sein und ein geneigtes Gesicht...", so etwa Erich - Maria Remarque. Diese zugeneigte Gegenüberhaftigkeit als solche suchen letztlich alle Menschen, die von "Gott" sprechen, und es läge ein großer Segen darauf, würden sie es dabei bewenden lassen, im Wissen um ihre tiefste Sehnsucht den Schlüssel zur Erfüllung selbiger schon in sich tragend, dieser ihrer Herzenssuche nachgehend und nur noch das ihnen zugängliche Ende des Stocks ergreifend. Die Person Gottes ist demnach orientierender Maßstab der menschlichen Person vom anderen Ufer her.
In der kosmologischen Realität gibt es "Gott" nicht, Religion ist Setzung, offenbart sich im Prozess des Handelns. Der "Glaube" bedeutet jene überwältigende Sicherheit und Kraft aus der tiefen Überzeugung heraus, daß jeder Mensch in all seinem verwirrenden Treiben irgendwo ein empfindsames Kind geblieben ist, das sich nach Zärtlichkeit, Menschlichkeit und Liebe sehnt.