Kommentar

Habecks Abschied und die Lücke in der gesellschaftlichen Mitte

Beim Lesen von Habecks Interview mit der taz wurde unserem Autor klar, was mit ihm geht: eine wichtige Stimme der Vernunft. Habecks Rückzug ist mehr als ein persönlicher Schritt. Er macht deutlich, wie angeschlagen die politische Mitte inzwischen ist.

Ich erinnere mich noch gut an 2021, als die Ampelkoalition ihr Amt antrat. Damals war ich optimistisch und gespannt, ob sich eine andere Art von Politik zeigen würde. Viele Themen, die mir am Herzen liegen, standen auf der politischen Agenda: stärkere Freiheitsrechte, ernsthafte soziale Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft, nicht nur gegenüber kleinen Gruppen, mehr Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, eine Politik, die auf Vernunft und breiten Diskurs setzt.

Die Ernüchterung kam allerdings schnell. Spätestens als die ersten großen Streitigkeiten offen ausgetragen wurden, wurde deutlich, dass es nicht um die Sache ging, sondern ums parteipolitische Kalkül und um Ämter. An die Stelle einer neuen gemeinsamen Mitte trat ein aufreibendes Gegeneinander, das am Ende wertvolles Vertrauen kostete.

Für mich war das die zentrale Erkenntnis: Eine starke Mitte ist notwendig, aber sie darf nicht durch parteipolitische Interessen gespalten werden. Stattdessen braucht es eine progressive Mitte, die sich aus gemeinsamen Prinzipien heraus bildet und die auch über Parteigrenzen hinweg getragen wird.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie sehr unserer Gesellschaft eine stabile Mitte fehlt. Anstatt Orientierung zu bieten, hangelt sich die Politik von einer Krise zur nächsten. Öffentliche Debatten, etwa über Identitätspolitik oder gesellschaftliche Werte, werden oft polarisierend geführt. Dabei geht jede gemeinsame Grundlage verloren.

Es war ein ehrenwertes Motiv von Robert Habeck, die Grünen näher in die politische Mitte zu führen. Sein Versuch, ökologische Verantwortung mit gesellschaftlicher Vernunft zu verbinden, verdient Respekt. Doch die Entwicklung der Partei zeigt heute in eine andere Richtung: Sie orientiert sich zunehmend nach links und verliert dabei die politische Mitte aus den Augen. Damit spielt sie ungewollt genau jenem Kulturkampf in die Hände, den die AfD in ihrem Fraktionsstrategiepapier so ausdrücklich anzustreben plant – eine Polarisierung, die am Ende nur den Extremen nutzt und die demokratische Mitte weiter schwächt.

Was wir brauchen, ist genau eine solche Mitte: eine Mitte, die Freiheit und Verantwortung verbindet. Eine Mitte, die die Würde und Selbstbestimmung jedes Einzelnen achtet und zugleich das Gemeinwohl im Blick behält. Eine Mitte, die ihre Entscheidungen nicht auf Schlagworte, sondern auf Vernunft und faktenbasierte Argumente stützt.

Mich treibt die Sorge um, dass unsere Demokratie und unsere Gesellschaft zunehmend zwischen populistischen Extremen aufgerieben werden. Anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, prallen Lager aufeinander und verlieren das große Ganze aus den Augen. Gerade als politisch engagierter Mensch nehme ich diese Entwicklung seit einigen Jahren immer stärker wahr: Wir dürfen uns diesen Bruch in der Mitte nicht gefallen lassen.

Eine neue starke, geeinte sozialliberale Mitte ist heute mehr denn je gefragt. Wir sollten sie nicht als theoretisches Gedankenspiel, sondern als konkrete Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ernsthaft in Erwägung ziehen. Sie kann nur entstehen, wenn wir alle bereit sind, über Grenzen hinweg nach dem Richtigen zu suchen und Räume für neue Lösungen zu öffnen. Politik ist dazu da, Probleme zu lösen, nicht sie durch dogmatische Gräben zu vergrößern.

Die Freiheit des Einzelnen zu achten, soziale Verantwortung ernst zu nehmen und Entscheidungen auf Vernunft und Fakten zu gründen: ob Parteien, Zivilgesellschaft oder wir als Bürgerinnen und Bürger – wir alle können dazu beitragen, dass eine solche Mitte erstarkt.

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