Arbeitsgericht Erfurt verbietet Warnstreik in kirchlich getragenem Krankenhaus

Tarifverhandlungen im "geschwisterlichen Gespräch"

Dass rund 1,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kirchlicher Träger wie Caritas oder Diakonie arbeitsrechtlich schlechter dastehen als ihre Kollegen in anderen Bereichen, kann wohl nur der Gesetzgeber ändern. Von der Justiz jedenfalls ist bislang keine entsprechende Rechtsprechung zu erwarten. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt, das den Arbeitnehmern eines Krankenhauses in kirchlicher Trägerschaft das Streikrecht verweigert.

Das Arbeitsgericht Erfurt hat der Gewerkschaft Verdi Streik-Aktionen in einem evangelischen Krankenhaus untersagt. Die Richter gaben der Diakonie Mitteldeutschland recht. Diese hatte gegen geplante Arbeitskämpfe am Sophien- und Hufeland Klinikum in Weimar geklagt. Schon im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz hatte das Gericht einen Warnstreik der Gewerkschaft Verdi für bessere Arbeitsbedingungen verboten. Diese Eilentscheidung (siehe dazu unsere Berichterstattung) wurde nun durch dasselbe Gericht auch im Hauptsacheverfahren (Arbeitsgericht Erfurt, Urteil vom 13.11.2025 Aktenzeichen 5 Ca 1304/24) bestätigt. Es gibt allerdings die Möglichkeit für Rechtsmittel zum Landesarbeitsgericht bis gegebenenfalls zum Bundesarbeitsgericht. Die im Verfahren unterlegene Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will diesen Weg auch gehen.

Die Gewerkschaft hatte ihre nun gerichtlich verbotenen Arbeitskampfmaßnahmen (Warnstreik) damit begründet, dass die Arbeitnehmerseite über die Arbeitsbedingungen so mitbestimmen wolle, wie es auch in weltlichen Betrieben möglich ist. Ein Gewerkschaftsvertreter erklärte: Dass Diakonie und Kirche darauf mit Ablehnung reagierten, finde er als Beschäftigter, aber auch als Christ, sehr irritierend. Schließlich stehe die Kirche sonst für Dialog und Teilhabe. Gegenüber ihren eigenen Beschäftigten werde sie diesem Anspruch jedoch nicht gerecht. Ein Beschäftigter aus dem Bereich sagte im Zuge des Verfahrens, dass Mitarbeiter in den unteren Entgeltgruppen in den kircheneigenen Regelungen der Diakonie Mitteldeutschland deutlich schlechter gestellt seien als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). So verdiene beispielsweise eine einjährig ausgebildete Pflegehilfskraft mit langjähriger Erfahrung bis zu 900 Euro monatlich weniger. Es gehe aber auch grundsätzlich um demokratische Mitbestimmung. Nämlich, dass über die Arbeitsbedingungen nicht länger in Kommissionen hinter verschlossenen Türen entschieden werde, sondern dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst Einfluss nehmen können.

Dass die arbeitsrechtliche Lage der Arbeitnehmer in Unternehmen kirchlicher Trägerschaft schlechter ist als nach normalem "weltlichen" Arbeitsrecht, liegt an der Privilegierung der Kirchen durch Artikel 140 Grundgesetz und dem darauf beruhenden sogenannten Dritten Weg: Der von den Kirchen für sich reklamierte "Dritte Weg" bedeutet, dass die Arbeitsrechts- und Tarifregelungen weder durch einseitige Arbeitgeberbeschlüsse ("Erster Weg") noch durch mit Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge ("Zweiter Weg") geregelt werden, sondern eben auf einem "Dritten Weg". Danach beraten und entscheiden Kommissionen, in denen Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sitzen, unter Beteiligung von kirchlichen Vertretern über die Arbeitsbedingungen. Rechtlich berufen sich die Kirchen dabei auf ihr durch Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung garantiertes sogenanntes "Selbstbestimmungsrecht". Danach kann jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten.

In den genannten Kommissionen dürfen die Gewerkschaften nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht komplett ausgeschlossen werden. In dem Klinikum in Weimar hatte die Gewerkschaft aber nur einen Sitz. In dem arbeitsgerichtlichen Streit hatte die Gewerkschaft argumentiert, dass sie mit diesem einen Sitz in der Kommission mit den insgesamt zehn Kommissionsmitgliedern nichts bewirken könne. Die Kirchen hingegen betonen, dass die gemeinsam durch die Kommission gefundenen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen im Konsens der bessere Weg seien im Vergleich zu Tarifverhandlungen mit Arbeitskämpfen.

Die juristische Onlineplattform Legal Tribune fasste den aktuellen Richterspruch so zusammen: "Dem Arbeitsgericht Erfurt reichte dieser eine Sitz aus. In der Urteilsfindung bezog sich der Vorsitzende Richter auf die Grundsätze aus der Bundesarbeitsgerichts-Rechtsprechung aus dem Jahr 2011 und entschied: Das Klinikum halte eine Arbeitsrechtliche Kommission vor, in der die Gewerkschaft vertreten ist, damit sei den Anforderungen an die Sonderrechte der Kirchen und an die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft Genüge getan. Die Vorgaben zum Dritten Weg seien demnach ordnungsgemäß eingehalten und ein Streik damit unzulässig."

Die kirchlich getragene Arbeitgeberseite freut sich natürlich. Den Ausschluss des Streikrechts in den von ihr bestimmten Bereichen, die bundesweit für rund 1,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten, hat die Deutsche Bischofskonferenz schon früher so gerechtfertigt: "Streik und Aussperrung sind mit den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes unvereinbar, weil Dienst in der Kirche dem Konsensprinzip und dem Versöhnungsauftrag verpflichtet ist. Streitigkeiten werden idealtypischer Weise im geschwisterlichen Gespräch gelöst. Arbeitskampfmaßnahmen, die die andere Seite zu überwältigen suchen, sind mit diesem Prinzip unvereinbar. Die Kirche gäbe ihren Sendungsauftrag preis, wollte sie die Glaubensverkündigung und ihr karitatives Wirken unter den Vorbehalt der wechselseitigen Druckausübung zur Wahrung der eigenen Vermögensinteressen stellen."

Das Arbeitsgericht Erfurt festigt nun mit seiner Entscheidung die Position der Kirchen und der von diesen getragenen Unternehmen. Es bleibt bei der Privilegierung der Arbeitgeber und damit gleichzeitig bei der strukturellen Schlechterstellung der Arbeitnehmer. Um dies zu ändern, gäbe es zwei Wege: Zum einen den, dass höhere Gerichtsinstanzen wie das Landesarbeitsgericht Thüringen und gegebenenfalls das Bundesarbeitsgericht diese Privilegierung in diesem Fall in den Rechtsmittelinstanzen anders entscheiden und das (Warn)-Streikverbot doch noch als rechtswidrig ansehen. Eben das versucht die Gewerkschaft Verdi zu erreichen. Eine zweite Möglichkeit wäre, dass der Gesetzgeber für Gleichheit im Arbeitsrecht sorgt und die kirchlichen Privilegien abschafft. Doch danach sieht es bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nicht aus. Es bleibt weiter dabei, dass man den Kirchen in ihrer Argumentation folgt, dass arbeitsrechtliche Konflikte im "geschwisterlichen Gespräch" gelöst werden. Und so sind die genannten 1,8 Millionen Beschäftigten in dem Bereich weiterhin Bürger mit reduzierten Grundrechten. Ihnen wird ein Streikrecht verweigert und ihre arbeitsrechtlichen Forderungen können sie, wie es die Gewerkschaften formulieren, kaum mehr als durch ein "kollektives Betteln" zur Sprache bringen. „

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