ZÜRICH. (hpd) Die GBS-Regionalgruppe Schweiz wurde unlängst zur "Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS)". In der Folge kamen wiederholt die Fragen auf, ob diese Umbenennung notwendig gewesen sei, was sie genau bedeute und ob sie nicht zu einer weiteren Spaltung der säkularen Kräfte führe. Ideell stellt sich zudem die Frage, in welchem Verhältnis der Effektive Altruismus (EA) zum Evolutionären Humanismus (EH) – dem Leitkonzept der GBS – steht.
Der EH ist eine umfassende Weltanschauung. Er beinhaltet eine Erkenntnistheorie: insbesondere den Kritischen Rationalismus; ein empirisch fundiertes Weltbild: den Evolutionismus; und eine humanistische Ethik: die Menschenrechte bzw. deren Grundlagen, etwa Mitgefühl und Fairness.
Der EA hat einen engeren Fokus: Er ist der Teilbereich des EH, der resultiert, wenn man kritische Rationalität konsequent auf die Ethik anwendet. Im "Manifest des EH" entwickelt Michael Schmidt-Salomon "Zehn Angebote des EH" – als Kontrast zu den Zehn Geboten der Bibel. Die ersten beiden Angebote lauten:
- Diene weder fremden noch heimischen "Göttern", sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!
- Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!
Diese Prinzipien gehören in den Bereich der Ethik – und sie drücken das Anliegen des EA im Kern hervorragend aus. Dem EA geht es um den wissenschaftlich fundierten, rational-sorgfältigen Versuch, die Welt für alle leidensfähigen Wesen möglichst umfassend zu verbessern (oder, pessimistischer formuliert, Verschlechterungen mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern). Dazu ist 1) unser Interesse entscheidend, das Leid in der Welt überhaupt zu mindern (rationale EA-Argumente dazu finden sich hier) und 2) die Erkenntnis, dass die räumliche Distanz bzw. der Geburtsort eines Individuums ethisch irrelevant ist: Gleiches Leid wird nicht dadurch weniger schlimm, dass es sich in der Ferne ereignet. Und wenn wir selbst in der Position der Leidenden sind, wünschen wir uns auch effektive Hilfe – unabhängig von der räumlichen Distanz derjenigen, die über Hilfskapazitäten verfügen.
Ein EH-Slogan lautet: "Heidenspaß statt Höllenqual (für alle im Diesseits)". Er drückt das Ziel des EA auch sehr treffend aus. Effektiven Altruisten/innen geht es darum, dieses Ziel wirklich ernst zu nehmen und logisch konsequent umzusetzen. Zwei Implikationen des EA-Ansatzes bestehen darin, >10% des Einkommens an möglichst effektive Hilfsorganisationen zu spenden und sich systematisch zu überlegen, wie man den leidmindernden Impact der eigenen Berufskarriere (die einer Zeitinvestition von rund 80’000 Stunden gleichkommt) maximieren kann. Argumentatives Material zu Zeit- und Geldspenden im EA-Sinne findet sich hier. Eine umfassende Einführung gibt die folgende Vorlesung:
Das Verhältnis von EA und EH ist demnach wie folgt zu bestimmen: Der EA deckt einen zentralen Teilbereich des EH ab, nämlich die kritisch-rationale Ethik. Er leistet damit einen Beitrag zur kulturellen Evolution einer "positiven säkularen Alternative", die sich nicht mit der – für unser Handeln wenig aussagekräftigen – Negierung der Religion zufrieden gibt.
Warum braucht es die Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS)?
Die Mitglieder der GBS-Regionalgruppe Schweiz hatten sich bereits vor drei Jahren entschieden, ihren spezifischen Beitrag im Bereich der Weiterentwicklung der säkularen Ethik zu leisten – dort haben sie ihren komparativen Vorteil. In internationaler Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten wurde daraus die Philosophie und soziale Bewegung des "Effektiven Altruismus". Alleine im deutschen Sprachraum existieren mittlerweile über zwei Dutzend EA-Lokalgruppen.
Aufgrund des starken EA-Fokus der GBS-Regionalgruppe Schweiz stand eine Namensänderung schon länger zur Diskussion: "EA" drückt direkter aus, was wir tun, und ist als Bezeichnung auch im internationalen Kontext verständlicher und zugänglicher. Problematisch war auch, dass wir mit dem GBS-Label das Wort "Stiftung" im Namen führten, rechtlich aber als Verein verfasst waren. Weiterhin haben uns auch die Banken, bei denen wir Konti unterhalten, dazu angehalten, zu einer Stiftung zu werden: Im vergangenen Jahr haben wir über eine Million Dollar an Spendengeldern generiert und weitergeleitet, so dass seitens der Banken ein erheblicher administrativer Prüfaufwand resultierte. Dieser Aufwand entfällt nun, da wir zur staatlich anerkannten gemeinnützigen Stiftung geworden sind. Es entfällt zudem (bald) auch der Aufwand, den wir der Administration der GBS Deutschland verursacht haben (Spenden-Weiterleitungen).
Zur Förderung der EA-Bewegung im deutschen Sprachraum ist es sinnvoll, eine spezifische EA-Anlaufstelle, eine EA-Denkfabrik und -Projektschmiede zu gründen. Unser Stiftungsgefäß leistet dies und bietet allen Interessierten unentgeltlich Spenden- und Karriereberatung an – aus der Perspektive der ethischen Outputmaximierung.
Die Umbenennung der GBS-Regionalgruppe Schweiz kommt keiner Distanzierung von der GBS Deutschland gleich – im Gegenteil. Wir verstehen uns als Spin-off und Partnerstiftung der GBS, die einen Teilbereich des EH professionell umsetzt. Für das “Great Ape Project (GAP)” der GBS beispielsweise wurde auch ein eigenständiger Brand geschaffen: Das ist sinnvoll und bedeutet keine "Spaltung" oder "Zersplitterung" der säkularen Kräfte. (Der EA-Stiftung ist es im Übrigen gerade gelungen, für das GAP Spendengelder in der Höhe von EUR 12,000 zu generieren!) Analog ist es aufgrund der inhaltlichen Spezifizität und des Umfangs des EA sinnvoll, für ihn ein eigenes Gefäß zu schaffen. Das ändert nichts an der Zugehörigkeit des EA zum EH.
Diese zeigt sich auch personell: Der Philosoph und GBS-Beirat Thomas Metzinger etwa ist Mitgründer und Stiftungsrat der EAS. Er hat das politische Diskussionspapier "Künstliche Intelligenz: Chancen und Risiken" mitverfasst, das die EAS unlängst publiziert hat. In Bälde folgen zusätzliche Diskussionspapiere in den Themenbereichen evidenzbasierte und kosteneffektive Entwicklungszusammenarbeit, Tierleid und Tierrechte sowie progressive Bioethik (etwa: Stammzellenforschung, PID, psychoaktive Substanzen und kognitives Enhancement). Zu diesen und weiteren Themen planen wir auch Konferenzen und politische Vorstöße. Wer sich als Einzelperson oder Organisation daran beteiligen möchte, kann uns jederzeit gerne kontaktieren.
Wir freuen uns auf die enge Zusammenarbeit mit allen Kräften, die engagiert an der Umsetzung einer humanistischen Ethik arbeiten!
24 Kommentare
Kommentare
Georg Slawe am Permanenter Link
Ich halte das Konzept des effektiven Altruismus für ausgesprochen wichtig.
Michael Paschko am Permanenter Link
"Der EA deckt einen zentralen Teilbereich des EH ab, nämlich die kritisch-rationale Ethik."
Wenn das so gemeint ist, dann denke ich, ist der Begriff "Effektiver Altruismus" verfehlt. Denn Ethik ist etwas völlig anderes als Altruismus.
Ethik zielt auf den Ausgleich. Leitbild ist, dass die Interessen von jedem Berücksichtigung finden, auch die eigenen.
Altruismus bezeichnet dagegen eine Haltung, die die Interessen der anderen bevorzugt (im Gegensatz zum Egoismus, der die eigenen Interessen bevorzugt).
Versteht man nun Ethik als Altruismus, so begeht man den selben Fehler wie die christliche Ethik, die auch immer als Altruismus daher kommt.
Nun gibt es mit Sicherheit wichtige und notwendige Aufgabenfelder, in denen Hilfeleistungen für andere im Vordergrund stehen. Und sicherlich ist es auch sinnvoll diese effektiv zu gestalten. Und wer daran Interesse hat, sollte sich auch aus vollem Herzen dort engagieren. Und er kann daraus durchaus auch Befriedigung für sich selbst ziehen.
Aber man sollte das meiner Ansicht nach nicht als "kritisch-rationale Ethik" missdeuten.
Gerade wenn man das Manifest des Evolutionären Humanismus zitiert, sollte man doch wissen, dass es damit beginnt, die Bedeutung des Eigennutzes herauszustellen. Wenn man diesem Gedanken zustimmt, dann verbietet es sich doch eigentlich von vornherein, den Begriff "Altruismus" als Kernbegriff einer Ethik zu verwenden.
Aber vielleicht geht es dem Effektiven Altruismus ja auch gar nicht um die Formulierung einer Ethik, sondern nur um eine Philosophie altruistischer Verhaltensweisen. Die Fragestellung wäre dann: Wenn wir etwas für andere tun, wie sollten wir das dann am sinnvollsten tun? Bei der Behandlung dieser Frage würde als Teilaspekt natürlich auch die Frage der Berücksichtung des Eigennutzes eine Rolle spielen - allerdings nur in ihrer Relation zum Hauptanliegen als Bedingung für die Möglichkeit altrustischer Verhaltensweisen.
Wenn das so gemeint ist, könnte man Altruismus als Begriff akzeptieren, müsste sich dann aber davon verabschieden, eine "rational-kritische Ethik" sein zu wollen.
Als evangelisch aufgewachsener Mensch schätze ich es sehr, dass der evolutionäre Humanismus das Loblied des Eigennutzes singt. Ich bin in einem familiären wie ideologischen Umfeld aufgewachsen, in dem die Aktivität der Spiegelneuronen auf Höchstleistung trainiert wurden. Ich weiß daher, dass man an einem Übermaß an Empathie leiden kann. Etwas, was im Christentum völlig übersehen wird. Aus der Not habe ich damals mit 16 Jahren ein allererstes Gebot erfunden, welches höchst ketzerisch lautete: "Du sollst zu allererst an dich selbst denken!" Hausieren bin ich damit damals nicht gegangen, denn ich kannte niemanden, der das nicht unanständig gefunden hätte.
Hieraus mag sich meine Sensibilität dafür erklären, dass Ethik etwas grundsätzlich anderes ist als Altruismus und man beides nicht verwechseln sollte.
Es mag Menschen geben, die, wenn sie sich mit Ethik befassen, am besten das Augenmerk ersteinmal auf Fremdnützliches richten, weil sie an einer Unterfunktion der Spiegelneuronen leiden. Es gibt aber auch Menschen, die sich zuallerst einmal auf den Wert des Eigennutzes einlassen sollten. Und womöglich ist das im christlichen Abendland sogar die weitaus größere Gruppe (es würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen hier den interessanten Gedanken weiter zu verfolgen, dass Egoismus auch eine sekundäre Reaktion auf das Trommelfeuer übersensibilisierter Spiegelneuronen sein kann).
Angela Martin am Permanenter Link
"Altruismus" bedeutet nicht, dass die eigenen Interessen nicht zählen, sondern nur, dass die gleichen Interessen bzw. das gleiche Leid anderer nicht per se weniger zählt.
Und in der Tat ist es völlig offensichtlich, dass Altruisten auch zu sich selbst Sorge tragen sollten bzw. müssen: http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq/#19 Wer sich überfordert, wird ausbrennen und dann nicht mehr effektiv altruistisch tätig sein können. Und wer die eigene Gesellschaft überfordert, schafft eine Gesellschaft, die auch keine Hilfsressourcen mehr bereitstellen könnte: http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq/#15
Man sollte nicht an einem "Übermaß an Empathie" zu leiden haben – effektiver Altruismus macht den meisten Spass! Aber selbst wenn Empathie Leid erzeugen würde: Haben sie auch das derjenigen Leid bedacht, das anderswo in größerer Menge resultiert, wenn Sie weniger empathisch sind? (Zu "denjenigen" könnten auch Sie gehören.) Welches Leid ist größer: Ihr Leid, wenn sie empathischer sind und mehr Leid verhindern? Oder das Leid, das Sie nicht verhindern, weil sie weniger empathisch sind?
Aber in der Praxis gibt es diesen Widerspruch nicht: Wenn Ihnen Ihr Altruismusgrad Leid bereitet, ist es auch altruistisch sinnvoll, ihn etwas zu senken. Denn was sich leidvoll anfühlt, werden Sie nicht über Jahre durchziehen. Besser etwas weniger altruistisch sein, dafür über die Jahre stabil.
Michael Paschko am Permanenter Link
Meine Kritik zielt auf die Begriffsbildung. Diese Kritik bleibt dieselbe auch dann, wenn der Inhalt des Effektiven Altruismus tatsächlich den Eigennutz genauso stark gewichten sollte.
Es ist ein verfehlter, irreführender und zu Missverständnissen einladender Begriff, wenn man die Sache "Eigennutz + Altruismus" einfach nur "Altruismus" nennt. Altruismus kommt von lateinisch alter, was "der andere" bedeutet. Ein Selbst kommt da nicht vor.
Diese verfehlte Begriffsbildung kann aber sehr leicht auch inhaltlich eine Schieflage befördern. So schreiben Sie: "Wer sich überfordert, wird ausbrennen und dann nicht mehr effektiv altruistisch tätig sein können."
Beachtung des Eigennutzes ist bei diesem Argument eine Instrumentalisierung des Eigennutzes zum Zwecke des Altruismus.
Das ist das Problem, auf das ich aufmerksam machen möchte. Wenn man, wie die Autoren des Artikels, den Effektiven Altruismus als "rational-kritische Ethik" verstanden haben möchte, dann ist Ethik Altruismus (zu dessen effektiver Verwirklich die Beachtung des Eigennutzes förderlich ist).
Das ist übrigens auch das christliche Missverständnis von Ethik.
Das ist aber das Gegenteil von dem, was Michael Schmidt-Salomon im Manifest des evolutionären Humanismus schreibt, auf das die Autoren sich berufen. Dort ist es doch genau umgekehrt. Michael Schmidt-Salomon stellt den Eigennutz als primäres Prinzip vor und kommt im Verlauf seines Textes zu der Erkenntnis, dass Altruismus dem Eigennutz nützen kann. Das ist doch gerade das evolutionäre am evolutionären Humanismus: Zu Begreifen, dass Ethik nicht eine Sache des Prinzips im luftleeren Raum ist, sondern dass wir die evolutionären Wurzeln unserer menschlichen Existenz verstehen und beachten müssen.
Ich kenne die Texte und Vertreter des Effektiven Altruismus nicht gut genug um es entscheiden zu können: Es gibt hier zwei Möglichkeiten: Entweder ist es tatsächlich so, dass man meint, der Eigennutz diene dem Altruismus. Dann muss man sich vom evolutionären Humanismus abgrenzen und kann nicht behaupten, der Effektive Altruismus sei ein Teil von ihm. Oder man meint tatsächlich, dass der Eigennutz primär ist. Dann ist der Begriff Effektiver Altruismus aber so missverständlich, dass man davon ausgehen muss, dass er von vielen tatsächlich auch missverstanden wird.
Wenn der zweite Fall der Wirklichkeit entspricht, plädiere ich für eine Reflektion des Begriffs. Da muss etwa her, was die Sache auch tatsächlich bezeichnet, die bezeichnet werden soll.
Dann schreiben Sie noch: "Aber selbst wenn Empathie Leid erzeugen würde: Haben sie auch das derjenigen Leid bedacht, das anderswo in größerer Menge resultiert, wenn Sie weniger empathisch sind? (Zu "denjenigen" könnten auch Sie gehören.) Welches Leid ist größer: Ihr Leid, wenn sie empathischer sind und mehr Leid verhindern? Oder das Leid, das Sie nicht verhindern, weil sie weniger empathisch sind?"
Auch in diesen Gedanken wird das Prinzip des Eigennutzes nicht verstanden. Es geht bei der Wahrnehmung fremder Interessen und der Wahrnehmung eigener Interessen nicht um Mathematik. Der Mensch ist auch kein Computer, der Interessen verrechnet und dann das mathematisch optimale Ergebnis ausspuckt. Als Lebewesen ist der Mensch ein Organismus, der nach dem Prinzip Eigennutz funktioniert. Wenn der Mensch psychisch gesund ist, verrechnet er nicht in seinem Gehirn die Mengen fremden und eigenen Nutzens und entscheidet sich für die größere Menge. Menschliche Entscheidungsprozesse zielen auf den optimalen Eigennutz. Weil der Mensch nun aber ein soziales Wesen ist, spielen dabei auch die Interessen anderer eine Rolle (Altruismus dient dem Eigennutz, siehe oben). Dieser Prozess wird gestört, wenn die Empathiefähigkeit hypertrophiert ist. Das ist keine Frage der eigenen Entscheidung oder des freien Willens, den es ja auch gar nicht gibt. Wie stark die Empathiefähigkeit ausgebildet wird, entscheidet sich vor allem in der Kindheit. Durch Erfahrungen von Vernachlässigung und Gewalt, kann sie verkümmern. Das sehen wir später bei Kriminellen und Psychopathen. Die Empathiefähigkeit kann aber auch übermäßig gesteigert werden. Die Folge ist dann unzureichende Selbstsorge, weil fremde Interessen stärker wahrgenommen werden als eigene. Es geht hierbei überhaupt nicht um Ethik, sondern um die psychologischen Voraussetzungen, die wir verstehen und berücksichtigen müssen, bevor wir uns mit ethischen Fragestellungen beschäftigen.
Wenn Sie also jemandem raten, er solle doch ruhig unter zuviel Empathie leiden, weil er ja damit mehr Leid bei anderen verhindere, so ist das - ich denke, ungewollt - ziemlich zynisch. Hier wird Psychologie mit Ethik und Ethik dann nochmal mit Mathematik verwechselt.
Diese ständige Verrechnung beim Effektiven Altruismus ist übrigens etwas, was mich ziemlich verwirrt, weil so die menschliche Biologie, Neurologie und Pyschologie einfach nicht funktioniert. Kann es sein, dass Effektive Altruisten das Evolutionäre am evolutinären Humanismus nicht verstanden haben?
Michael Wolfram am Permanenter Link
Es stimmt nicht, dass Schmidt-Salomon den Eigennutz als primäres Prinzip der Ethik vorstellt.
Es ist daher sinnvoll, den Altruismus als Kernprinzip der Ethik zu betrachten. Im Übrigen ist es natürlich auch sinnvoll und wichtig, einen "Altruismus gegenüber sich selbst" (!) zu kultivieren. (Ich_Heute bin ein anderer als Ich_2050 und streng genommen auch schon als Ich_Morgen: https://en.wikipedia.org/wiki/Derek_Parfit#Personal_identity.)
Zur "Verrechnung im Effektiven Altruismus": In einer (konstanten) ethischen Problemlage ist Verrechnung schlicht eine ethische Notwendigkeit, s. https://en.wikipedia.org/wiki/Triage Wenn wir z.B. zwischen zwei Gesundheitssystemen oder zwei Verkehrsgesetzen wählen können, welches ist ethisch vorzuziehen? Natürlich dasjenige, das letztlich einer größeren Anzahl Menschen hilft bzw. eine geringer Anzahl Opfer erzeugt. Analog etwa beim Spenden: Wir sollten an diejenigen Organisationen spenden, die mit dem Geld die meisten Individuen retten kann.
Aus der Tatsache, dass die menschliche Biopsychologie (aus evolutionären Gründen) egoistisch ist, abzuleiten, dass Egoismus ein ethisches Leitprinzip sein sollte, wäre ein naturalistischer Fehlschluss. So liesse sich z.B. auch Vergewaltigung rechtfertigen: https://en.wikipedia.org/wiki/A_Natural_History_of_Rape Der Egoismus in der menschlichen Biopsychologie ist unser Problem – und ein Argument für den Transhumanismus. Unsere Zivilisation und die Welt wäre eine massiv bessere, wenn wir als (glückliche und motivierte) Altruisten zur Welt kämen. Man sollte den bisherigen (biologischen wie kulturellen) Evolutionsprozess nicht glorifizieren bzw. den evolutionären Status quo einfrieren, sondern zu verbessern versuchen. Das ist der Kern des Humanismus.
Michael Paschko am Permanenter Link
Sie haben mich missverstanden, wenn Sie meinen, ich würde den Egoismus als ethisches Leitprinzip progagieren. Das ist Ihr naturalistischer Fehlschluss.
Das, was Sie sich als Ergebnis des Transhumanismus herbeiwünschen, ist allerdings ein alter Hut. Dieses Experiment hat schon längst stattgefunden und findet immer noch statt. Es heißt nicht Transhumanismus, sondern Christentum. In diesem Experiment, werden Menschen gezüchtet, deren Spiegelneuronen zu Vermehrung, stärkerer Vernetzung und erhöhter Aktivität angeregt werden. Glauben Sie mir, es macht keinen Spaß, als Versuchskaninchen eines solchen Experiments durchs Leben zu gehen und Fremdinteressen stärker wahrzunehmen als die eigenen. Es führt im übrigen auch überhaupt nicht zu mehr Nutzen für andere, weil ein Mensch mit aufgeblähtem empathischen System sich stärker von anderen isolieren muss, um sich zu schützen. Die natürliche biologische Ausstattung wie sie die Menscheit bis heute durch Evolutionsprozesse erworben hat, ermöglicht grundsätzlich ein ausgewogenes Verhältnis von Fremd- und Eigenwahrnehmung. Dieses Verhältnis ist aber nur dann ausgewogen, wenn die Eigenwahrnehmung überwiegt. Das ist notwendig, weil die Sorge für einen Organismus überwiegend diesem Organismus selbst obliegt. Dazu ist es notwendig, dass er die eigenen Interessen stärker wahrnimmt als die anderer. Mit unserer derzeitigen biologischen Ausstattung ist das möglich, und wir sollten nicht fahrlässig künstlich daran herumpfuschen, weder durch Christentum noch durch Transhumanismus.
Bei Ethik geht es nicht darum zu bestimmen, was andere tun sollen, damit es gut für die Allgemeinheit ist. Das sind Angelegenheiten der Politik und des Rechts. Ethik fragt dagegen: Woran orientiere ich mich selbst? Und bei dieser Fragestellung kann man nicht den Altruismus vor den Eigennutz stellen. Damit würde man sich überfordern. Und das sollte schon in der Begriffsbildung zum Ausdruck kommen. Sonst wird man missverstanden.
Natürlich ist es völlig richtig, dass fernes Leid nicht unwichtiger ist als nahes Leid. Aber dieses Problem können wir nicht einfach den Leuten auf ihre individuellen Schultern laden. Durch Spenden wird die Welt nicht gut. Diese Probleme müssen politisch angegangen werden. Und manches muss auch von den Betroffenen selbst erkämpft werden.
Und der reiche Europäer nützt dem armen Afrikaner nicht dadurch, dass er sich durch Konsumverzicht Leid zufügt, weil in der mathematisch korrekten Leidverrechnung das ferne Leid stärker wiegt. Ein solches Projekt wäre sowieso von vornherein zum Scheitern verurteilt. Hoffnung für eine bessere Welt liegt nur darin begründet, dass der reiche Europäer sich bewusst wird, dass seinem Eignnutz durch bestimmte Konsumhandlungen, politische oder wirtschaftliche Entscheidungen gar nicht so sehr gedient ist, wie er meint, sondern dass alternative Lebensweisen viel eigennützer oder zumindest genauso eigennützig oder nur ein bisschen weniger eigennützig sein können.
Der Appell sollte daher nicht sein: Lasst uns alle viel altruistischer sein!
Sondern: Last uns klug sein und unsere Lebenswelt so gestalten, dass es uns darin selbst gut geht - und den anderen auch. Denn uns kann es nicht gut gehen, wenn es den andern nicht auch gut geht.
Angesichts der aktuellen Flüchtlingsproblematik sollte diese Erkenntnis eigentlich leicht zu vermitteln sein.
Eine Ethik, die sich Altruismus nennt, sendet das falsche Signal. Wer sowieso altruistisch aktiv ist, weil es auch ihm selbst gut tut und er Freude daran hat (= weil er damit seinem Eigennutz dient), braucht so einen Appell nicht. Auf alle anderen wirkt er kontraproduktiv, weil sie Angst bekommen auf etwas Wichtiges verzichten zu müssen. Auch das könnten wir eigentlich aus den Erfahrungen mit dem Christentum lernen.
Michael Wolfram am Permanenter Link
Herr Paschko, leider zeichnet sich Ihr Beitrag vor allem durch empirische und normative Falschbehauptungen aus:
Es trifft nicht zu, dass das Christentum besonders altruistisch war (oder ist) bzw. besonders altruistische Menschen "gezüchtet" hat. (Nach dieser Definition wird jede Erziehung und jedes Gesellschaftssystem – was auch immer Sie vorschlagen – die Menschen in bestimmter Weise "heranzüchten".) Im Gegenteil: Das Christentum war gewalttätig, insbesondere gegen Fremdgruppen. (Das gilt auch für den Gott der Bibel.)
Es trifft in keiner Weise zu, dass sich effektive Altruisten/innen, die meist 10-50% ihres Einkommens spenden, "isolieren" müssen.
Es trifft nicht zu, dass evolutionsbiologisch zu erwarten ist, dass wir mit einer "ausgewogenen" Eigen- bzw. Fremdwahrnehmung ausgestattet sind. Wir laufen – in einer globalisiert-hochtechnologisierten Welt – nach wie vor mit Steinzeitgehirnen herum, die implizit meinen, die moralisch relevante Welt Ende an der Grenze der eigenen Sippe, s. dazu z.B. die Reaktion auf die Pariser Terrorattacken vs. das Ausbleiben einer Reaktion auf zig Katastrophen, denen global um Größenordnungen mehr Menschen zum Opfer fallen.
Es trifft nicht zu, dass zwischen Recht und Ethik die Kluft besteht, die Sie behaupten. Eine – rational-objektiv betrachtet – sinnvolle Antwort auf die Frage "Woran orientiere ich mich selbst?" besteht zentral auch darin, sich danach zu orientieren, was man selbst zum Allgemeinwohl beitragen kann (und wie man möglichst viele andere auch dazu motivieren kann).
Es trifft nicht zu, dass es uns überfordert, altruistisch viel mehr zu tun, als wir heute tun. Die wachsende Bewegung effektiver Altruisten/innen macht es vor (und diese Menschen zeichnen sich nicht etwa durch anomale Psychologien aus).
Es trifft nicht zu, dass Spenden die Welt nicht massiv verbessern können. Ihr Argument zeigt, dass Sie sich nicht mit der effektiv-altruistischen Thematik des strategischen Spendens befasst haben: Wenn es empirisch der Fall ist, dass politische Aktivität am meisten bewirkt, dann sollten die (Groß-)Spenden eben an politische Organisationen fließen, s. http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq/#10. Spenden können zudem politisches Empowerment in den ärmsten Ländern fördern.
Es stimmt schlicht und ergreifend nicht, dass es uns nur gut gehen kann, wenn es den andern auch gut geht. Vielen historischen Sklavenhaltern und Menschenschlächtern z.B. ging es bis zu ihrem natürlichen Tod wunderbar. (Die Vorstellung einer gerecht eingerichteten Welt, in der es uns nur gut gehen kann, wenn es den anderen auch gut geht, ist infantil – und, freilich, theologisch.) Uns kann es grundsätzlich wunderbar gehen, wenn wir nichts gegen den Welthunger tun bzw. den Welthunger strukturell mitverursachen. Oder wenn wir Milliarden Tiere in Tierfabriken leiden lassen – Kühe vielleicht nicht (die verpesten das Klima), aber Hühner durchaus. Zudem: Warum sollte uns, eigennützig, das Klima kümmern? "In the long run we are all dead", und uns kann es sehr gut gehen, auch wenn es allen künftigen Generationen mies geht. Und angesichts all dieser Tatsachen behaupten Sie tatsächlich, die Ethik solle von altruistischen Appellen absehen.
Nicht zuletzt trifft es empirisch nicht zu, dass altruistische Appelle nichts bringen. Die ganze Bewegung des Effektiven Altruismus ist wesentlich durch ebensolche Appelle entstanden.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Ich begrüße es, dass sich die Bewegung des effektiven Altruismus von der gbs abgespalten hat, da mir persönlich diese Ideologie doch sehr suspekt ist. Meine Gründe den effektiven Altruismus abzulehnen sind:
a) Übernahme der aus dem amerikanischen stammenden charity Ideologie, der nach es schon ok ist zuerst Auszubeuten und Schäden anzurichten, wenn man nur im Gegenzug auch spende.
Mich erinnert dies etwa an die Fugger die nach dem Fall des christlichen Zinsverbots ihr Vermögen immens vermehrten. Dass dabei durch Zinsen, weit über jenen die heute für Kredite fällig werden, ausgebeutet wurde und Leid verursacht wurde dürfte nachvollziehbar sein. Dass in illegitimer Weise vermittels deren finanzieller Abhängigkeit auf die Herrschenden von den Fuggern Einfluss genommen wurde, muss selbst damals schon klar gewesen sein. Um dann doch in den Himmel zu kommen und auf Dauer auch posthum Andere zum Gebet für die Fugger zu Instrumentalisieren wurde nach meiner Lesart die Sozialsiedlung Fuggerei gegründet.
Ähnliche Motive finden sich wohl auch beim Bau des Stadtteils Margarethenhöhe in Essen der mit Mitteln der Familie Krupp, die als Produzent von Rüstungsgütern sicherlich an der Förderung von Leid beteiligt war, nach meiner Lesart ebenfalls zur Beruhigung des eigenen Gewissens vermittels Zurschaustellung von Philanthropie geschaffen wurde.
In beiden historischen Fällen, dürfte die vorangegangene Ausbeutung und Schaden den Nutzen durch Spenden bei weitem übersteigen.
Auf heute übertragen verstehe ich Effektiven Altruismus, nach Lektüre anderer Texte und Diskussion mit anderen Menschen, als ein Alibi um Egoismus und Gier mit einem guten Gewissen zu veredeln. -- Als plakatives Beispiel sie die Arbeit bei einer Bank im Bereich Spekulation mit Lebensmitteln erwähnt. Es dürfte klar sein, dass der Arbeitgeber nicht den gesamten damit erzielten Profit an seine Mitarbeiter die daran beteiligt waren ausschüttet. Daher können die Mitarbeiter selbst wenn sie theoretisch 100% ihres Einkommens spendeten den so durch Preistreiberei angerichtet Schaden und Leid nicht ausgleichen. Es liegt also allein schon im Prinzip des Kapitalismus nach Einbehalt des Mehrwerts begründet, dass effektiver Altruismus durch die Werktätige Bevölkerung scheitern muss. Denn selbst wenn die ausgebübte Tätigkeit für einen Selbst nur existenzsichernd ist , trägt Sie immer auch Früchte die sich in anderer Menschen Gewalt befinden und über die nicht zur Reduzierung von Leid verfügt werden kann.
Damit entlarvt sich der Effektive Altruismus letztlich als eine Form des ungebremsten Egoismus der vermittels Spenden die Illusion effektiv Gutes zu tun schafft.
b) Auflösung der persönlichen sozialen Bezüge, da die Hilfe für einen nahestehenden Menschen rein rational abzulehnen ist, wenn mit dem selben Aufwand andernorts fremden Menschen viel effektiver (im Sinne von mehr Hilfe für diesen oder Hilfe für mehr Menschen) geholfen werden kann.
Die damit in Kauf genommene Nachrangigkeit des Leids der einem selbst räumlich oder sozial nahestehenden Personen zu Gunsten von effektiverer Hilfe für Fernstehende ist meiner Ansicht nach eine Soziopathie, die soziales Handeln in einem Gemeinwesen durch technokratisch optimiertes Spenden zu ersetzen sucht. Effektiver Altruismus ist, da den Fernen meist zu geringeren Kosten geholfen werden kann als den Nächsten, Arbeit gegen die Kohäsion des einen selbst umgebenden Gemeinwesens. Dieser Technokratische Ansatz der es sich herausnimmt das Leid von Menschen das stets auch ein subjektives ist zu quantifizieren und dessen Beseitigung zu den jeweiligen Kosten gegeneinander aufzurechnen vollzieht einen Dammbruch der der Barbarei Tür und Tor öffnet.
Er macht sich das Leben leicht indem man eigenes Handeln nicht mehr vor sich selbst und Dritten rechtfertigen muss. Wer die Überweisung an eine Organisation die sich den Prinzipien des effektiven Altruismus verschrieben hat in ausreichender Höhe tätigt handelt per Definition gut. Das erinnert doch sehr an vergangenen Ablasshandel der Kirchen.
Ist das Fortschritt? Ist das Humanismus?
Manni am Permanenter Link
Leider gilt auch für Ihren Kommentar: Viel zu lang um gut zu sein. Bringen Sie Ihre Argumente auf den Punkt - ansonsten kommt nur der Verdacht auf, Sie verstecken fehlende gute Argumente hinter vielen Worten.
Wie sieht es überhaupt mit Ihren Argumenten aus?
"Übernahme der aus dem amerikanischen stammenden charity Ideologie, der nach es schon ok ist zuerst Auszubeuten und Schäden anzurichten, wenn man nur im Gegenzug auch spende."
Das wäre in der Tat verwerflich, aber wie kommen Sie darauf? Ihre diesbezüglichen Quellen: "...nach Lektüre anderer Texte und Diskussion mit anderen Menschen" hauen mich ehrlich gesagt nicht gerade um. Da hätten Sie schon etwas tiefer schürfen können.
Zumindest hätten Sie einfach mal den entsprechenden Wikipedia-Eintrag zu Rate ziehen sollen: https://de.wikipedia.org/wiki/Effektiver_Altruismus. Und das hat nun mit Ihrer persönlichen Deutung wirklich nicht mehr viel gemeinsam.
Damit wird Ihr gesamter Kommentar obsolet. Aber er war eh viel zu lang.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Ist nicht der in seinen Äußerung immer wieder umstrittene Philosoph Peter Singer einer der Vordenker des Effektiven Altruismus? Gerne nenne ich eine Quelle für Kritik am effektiven Altruismus.
http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/0001873
Was Ihre Kritik an meiner Kritik angeht sie sei zu lang, so Räume ich ein, dass ich ob des noch größeren Textumfangs wohl besser gleich diesen Artikel hätte verlinken sollen.
Allenfalls halte ich die Publikation des Artikels auf hpd für seitens der Redaktion unüberlegt und einseitg, da bei einem solche einseitgen Loblied auf den Effektiven Altruismus die daran geäußerte Kritik nicht unerwähnt bleiben sollte.
Michael Wolfram am Permanenter Link
Singer unterstützt den Effektiven Altruismus zwar, hat ihn aber keineswegs selbst entwickelt.
Die EA-Stiftung hat sich explizit von Singer distanziert, der "Novo Argumente"-Artikel greift nicht und zielt ins Leere (Strohmann-Fehlschluss):
http://ea-stiftung.org/blog/singer-vs-schmidt-salomon-stellungnahme-aus-effektiv-altruistischer-sicht
Manni am Permanenter Link
Peter Singer? Natürlich! Deswegen habe ich doch auf den Wikipedia-Artikel verwiesen - jetzt wirds aber Zeit, dass Sie den mal anklicken!
novo-argumente...seufz, was soll ich da sagen? 1992 war offensichtlich geworden, dass Freie Marktwirtschaft, Globalisierung und Neoliberalismus das non-plus-ultra darstellen. Die Mauer war gefallen, der Ostblock zusammengebrochen und Deutschland war Fussball-Weltmeister geworden. Was lag da näher, als ein neoliberalistisches Magazin zu gründen?
Zentrales Credo von NovoArgumente: Es gibt keine Grenzen des Wachstums.
Konsequenz: Gut ist alles, was die freie Entfaltung der Märkte ermöglicht, weil dies den Wohlstand aller mehrt. Uneingeschränkt gut sind also z.B. TTip und überhaupt Freihandelsabkommen jeglicher Art. Schlecht ist dagegen Greenpeace und überhaupt alles, was Nachhaltigkeit und Beschränkung fordert.
Wissenschaft ist grundsätzlich gut, wenn sie das Wachstum fördert (z.B. Gentechnik!). Schlecht ist Wissenschaft, wenn sie nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt. Deshalb werden ausschließlich Artikel mit klimaskeptischem Inhalt veröffentlicht, während die etablierte Klimaforschung diskreditiert wird.
Von daher ist natürlich auch die Position zu Peter Singer vorhersehbar. Allein schon Tierrechte zu fordern...
Also mir sind NovoArgumente ehrlich gesagt zu borniert. Da wird nur veröffentlicht, was zum schon religiös anmutenden neoliberalen Glaubensbekenntnis passt. Ansonsten verweise ich wieder auf Wikipedia.
Angela Martin am Permanenter Link
Herr Steinbrenner, habe Sie sich mit dem effektiven Altruismus überhaupt befasst? Es stimmt nicht, dass die Bewegung vorschlägt, in schädlichen Berufen zu arbeiten und sich dann reinzuwaschen.
Was den Ablasshandel angeht: Es stimmt nicht, dass die Verursachung von Schäden gutgeheissen wird. Aber mehr noch: Sie gehen ohne Begründung davon aus, dass man sich nur von direkt verursachten Schäden reinwaschen muss, nicht aber von nicht verhinderten. Unterlassene Hilfeleistung ist ethisch aber auch problematisch. Alleine schon deswegen können Spenden nicht als "Ablass" bezeichnet werden.
Es stimmt auch nicht, dass der soziale Nahbereich vernachlässigt wird. Es wird nur festgestellt, dass der soziale Fernbereich – und letztlich sitzen wir in der Weltgesellschaft alle im selben Boot – aktuell enorm vernachlässigt wird. Würde sich abzeichnen, dass der Nahbereich stark vernachlässigt wird, so würde der effektive Altruismus sofort empfehlen, sich viel stärker um ihn zu kümmern: http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq/#15
Lutzikas Beltzemann am Permanenter Link
Also ich wünsche der Stiftung viel Erfolg dabei, möglichst viel Leid für alle empfindungsfähigen Wesen zu reduzieren, wobei ich bezüglich der Erfolgsaussichten aber einigermaßen skeptisch bin.
Was die politische Dimension angeht, sehe ich Organisationen mit explizit humanistisch-säkularem Fokus jedoch eher in der Lage, den Amtskirchen und ihrer menschenverachtenden Lobbyarbeit ein Gegengewicht entgegenzusetzen.
Der Effektive Altruismus ist halt doch auch zu einer Marke für selbsternannte Gutmenschen geworden, die völlig unterschiedliche Ziele verfolgen, welche sich teilweise auch widersprechen (viel Spaß bei der Konsensfindung einer Populationsethik, oder einer Austauschrate für Tier-Leidreduktion vs. geretteten Menschenleben!) und bei denen heute schon Konflikte in der Zielsetzung erkennbar sind.
Dies wird vorhersehbar auch mit der Zielsetzung kollidieren, kirchliche Angriffe auf Freiheitsrechte zu kontern, da man z.B. religiöse Bürger nicht vom Effektiven Altruismus wird abschrecken wollen.
Peter Niekamp am Permanenter Link
Was heisst "Pessimismus"? Die Studien von Hilfswerkevaluatoren wie GiveWell oder Animal Charity Evaluators zeigen auf, dass man mit Zeit- bzw.
Ja, aber die Frage ist, ob von den Amtskirchen – im Vergleich mit anderen Leidquellen da draussen – auch das meiste Leid bzw. die aktuell größten und dringlichsten ausgeht. Eine empirisch sehr unplausible These. Wenn das so ist, dann müssen sich Leute kritische Nachfragen gefallen lassen, die sich primär um die Amtskirchen kümmern – nicht die effektiven Altruisten.
Ach so, und der "Humanismus" ist etwa nicht zu einer Marke selbsternannter Gut-und-Klugmenschen geworden, die sehr unterschiedliche Ziele verfolgen, viel unterschiedlicher als die effektiven Altruisten? Der EA-Konsens ist, dass unfreiwilliges Leid zu minimieren ist, und das erlaubt bereits eine Vielzahl sehr klarer praktischer Schlussfolgerungen. (Daran ändern Unsicherheiten im Bereich Populationsethik oder Austauschraten – die jede Ethik übrigens auch für Babys vs. Erwachsene bestimmen muss, etwa bei der Priorisierung im Gesundheitssystem – nicht das Geringste.)
Man wird antiliberale und damit religiöse Bürger sicher vom EA abschrecken wollen. Was liberale angeht, ist die Sache aber in der Tat unklar: Die GBS hat gerade den "Cradle to Cradle"-Umweltkongress mitorganisiert. Dort engagieren sich u.a. auch liberale Protestanten. Diejenigen Atheisten, die mit liberalen Protestanten lieber über die Gottesfrage streiten, statt z.B. zu versuchen, in derselben Zeit mit ihnen zusammen etwas gegen den Klimawandel zu tun, haben ein ethisches Rechtfertigungsproblem.
Lutzikas Beltzemann am Permanenter Link
"Die Studien von Hilfswerkevaluatoren wie GiveWell oder Animal Charity Evaluators zeigen auf, dass man mit Zeit- bzw.
Oberflächliche Studien mit oberflächlichen Metriken. Sekundäreffekte werden kaum modelliert, was auch kaum realistisch möglich ist. Daher mein Pessimismus.
"Der EA-Konsens ist, dass unfreiwilliges Leid zu minimieren ist, und das erlaubt bereits eine Vielzahl sehr klarer praktischer Schlussfolgerungen. (Daran ändern Unsicherheiten im Bereich Populationsethik oder Austauschraten – die jede Ethik übrigens auch für Babys vs. Erwachsene bestimmen muss, etwa bei der Priorisierung im Gesundheitssystem – nicht das Geringste.)"
Oh doch. Je nach Festlegung der Austauschraten dreht sich da so einiges um.
Peter Niekamp am Permanenter Link
Die Studien sind keineswegs oberflächlich – davon kann man sich selbst überzeugen, wenn man den obigen Links nachgeht.
Selbst wenn dem so wäre: Ihre Feststellung würde uns nicht weiterhelfen. Denn wir können nicht nicht-handeln. Die Frage wäre dann also: Was ist, vergleichsweise, der am wenigsten oberflächliche Ansatz? Und hier schneiden die effektiv-altruistischen Projekte ausgezeichnet ab.
Sekundäreffekte: Stimmt nicht. Auf GiveWell.org beispielsweise findet man sehr viel dazu. In randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesene Sekundäreffekte von Malarianetzen oder Entwurmungsbehandlungen z.B. sind bedeutend mehr besuchte Schultage und ein höheres Einkommen nach dem Schulabschluss. Die Sekundäreffekte etwa von GiveDirectly (direkter, bedingungsloser Cash-Transfer) wurden auch eingehend untersucht.
Natürlich ändert sich je nach Festlegung einiges. So what? Das liefert überhaupt kein Argument dagegen, dann das eine oder andere zu tun oder einen Mittelweg zu gehen, statt nichts zu tun. In der Praxis ist es aus diversen Gründen auch sehr wünschenswert, dass nicht alle effektiven Altruisten dasselbe tun, sondern ihre Ressourcen diversifizieren. (Viele "Argumente" gegen den Effektiven Altruismus scheinen nichts weiter als bequeme Rationalisierungen des Nichtstuns zu sein. Statistisch ist es natürlich aber enorm unwahrscheinlich, dass von allen möglichen Optionen ausgerechnet die allerbequemste am besten wäre.) Zudem: Der Effektive Altruismus befasst sich – als historisch erste und bisher einzige soziale Bewegung – mit der Frage nach vernünftigem Entscheidverhalten unter ethischer Unsicherheit. Es gibt viel Literatur zur Frage, wie bei ethischer Unsicherheit die besten "Mittelwege" bzw. die sichersten "Kompromisslösungen" gefunden werden können.
Björn Decker am Permanenter Link
Ich beobachte den Web-Auftritt dieser jungen Leute schon seit Längerem und habe einiges an Respekt und Sympathie für ihren Einsatz und Idealismus.
Leider gehen sie die Sache mit der Armutsbekämpfung mit großer Naivität an. In der ganzen Zeit habe ich sie kein einziges Mal auch nur die Frage nach den Ursachen der Armut stellen sehen.
Hansjörg Schneider am Permanenter Link
Naivität können Sie einer Bewegung nicht vorwerfen, die gut über die historischen, soziokulturellen und v.a. ökonomischen Aspekte der Weltarmut informiert ist.
Die Frage nach den Ursachen wird oft auch auf naive Weise gestellt: Was sind die Ursachen der Armut? Beseitige diese Ursachen - fertig!
So einfach ist es natürlich nicht: Bad governance, Korruption, politische Instabilität etc. sind nicht einfach zu bekämpfen, ich empfehle dazu u.a. die oft in EA-Blogs empfohlene Lektüre "Why Nations Fail" von William Easterly.
Oft besteht die Lösung des Problems eben nicht darin, die Ursachen zu bekämpfen, sondern stattdessen graduelle Schritte in die richtige Richtung vorzunehmen und die Grundlagen für nachhaltige, langfristige Entwicklung zu schaffen (Lektüreempfehlung: "Poor Economics" von Abhijit Banerjee und Esther Duflo, insb. Kapitel 10 zu "Political Economy").
Ich beobachte die Inhalte auch: Die EAS schreibt auf ihrer Website über politische Ursachen der Armut, siehe dazu http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq#6 und http://ea-stiftung.org/blog/globale-probleme-wo-kann-ich-am-meisten-bewirken
Manni am Permanenter Link
Ein Grund könnte sein, dass das, was Sie unter Ursachen verstehen, in Wahrheit nur Folgeerscheinungen sind.
Ohne den massiven Einsatz von Düngemitteln würden die Nahrungsmittel laut Experten der Welternährungsorganisation nur für 1,5 Milliarden Menschen reichen. Auf diesem Planeten leben also gegenwärtig vermutlich 5,5 Milliarden Menschen zuviel. Und es werden immer mehr.
Da haben Sie Ihre Ursache. Alles andere sind nur Folgeerscheinungen.
Michael Wolfram am Permanenter Link
Vielleicht liegt das daran, dass eine viel klügere Frage darin besteht, was die Ursachen des Reichtums sind. Armut ist der Default-Zustand, Reichtum weicht davon ab.
Man kann empirisch studieren, was Reichtum ermöglicht. Naiv wäre, wer behauptete, eine vollständige Theorie über die Bedingungen/Ursachen materiellen Reichtums vorlegen zu können. Der Effektive Altruismus ist klüger: Er behauptet nur, Teilursachen gefunden zu haben und mit Studien belegen zu können. Und diese Teilursachen lassen sich dann mit geeigneten Maßnahmen fördern.
Manni am Permanenter Link
Ich wünschte, ich hätte es so ebenso gut ausdrücken können wie Sie!!
Gibli am Permanenter Link
Und wer bestimmt diese "effektiven" Hilfsorganisationen, eine Liste davon würde ich gern sehen. Oder muss ich hier einem "Klub" beitreten um ein Altruist zu sein?
FS am Permanenter Link
Durch googeln ist das sehr schnell herauszufinden: Die aktuellen Empfehlungen und Gründe dahinter geben z.B. GiveWell und Animal Charity Evaluators. Alles extrem transparent.