WEIMAR. (hpd) Da eine zusammenfassende Darstellung von europäischen religiös bedingten Weltuntergangsphantasien auf wissenschaftlichem Niveau bis dato nicht vorzuliegen scheint, hat sich der Historiker Peter Dinzelbacher diesem Thema mit der nun vorliegenden Studie zugewandt. Und er will das Thema eben nicht aus der Sicht der Theologie betrachten, sondern aus der von Geistes- und Mentalitätsgeschichte. Für ihn ist es ganz wichtig, auch danach zu fragen (was die Theologie bewusst unterlässt), warum und zu wessen Vorteil apokalyptische (= Weltuntergangs-) Szenarien entworfen und verbreitet wurden. Und immer noch werden.
Der Autor weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei diesem Thema und ihren jeweiligen Deutungen nicht zuletzt auch um "einen kleinen Ausschnitt aus dem Streit zwischen religiösem und wissenschaftlichem Weltverständnis" handele. Also dem Konflikt, der das "Hauptthema der jüngeren Geschichte der (sogenannten) westlichen Kultur" darstelle.
Dabei allerdings schießt er mitunter leider sehr übers Ziel hinaus, z.B. in seiner Fehldeutung der deutschen Bauernaufstände zu Beginn des 16. Jahrhunderts und ganz besonders Thomas Müntzers oder der Behauptung, dass es sich bei Karl Marx’ Werk "Das Kapital" um eine Heilige Schrift wie die Bibel handele. Das ist einfach nur ärgerlich.
Im ersten Teil seines Buches vermittelt er auf rund 140 Seiten einen komprimierten Überblick in die Vorstellungswelten diverser Weltuntergangspropheten. Diese habe es schon vor der jüdisch-christlichen Apokalyptik gegeben. Und so führt sein Streifzug vom Altertum und die Kelten über Naturphilosophien im Mittelmeerraum und die nordgermanischen Mythologien über das "christliche" Mittelalter und die Zeit der Renaissance/Reformation bis in die Frühe Neuzeit und Gegenwart. Er weist auch darauf hin, dass viele jüdisch-christliche Vorstellungen auf noch älteren orientalischen Motiven beruhen. Ja selbst ein Jesus habe sich nur als Endzeit-Prediger verstanden. Aber schon damals hätte sich gezeigt, dass das behauptete nahende Weltenende nicht wie von ihm verkündet, schon zu seinen und seiner Apostel Lebzeiten eingetreten ist. Ähnliche Prophezeiungen hätten sich stets immer wieder als falsch herausgestellt. Bis heute…
Christliches Mittelalter
Dinzelbacher wendet sich in diesem Zusammenhang besonders der neutestamentlichen "Offenbarung des Johannes" zu, die für alle Endzeitpropheten und Weltuntergangsphantasien die wichtigste Quelle darstelle. Danach gibt er anhand von Textbeispielen einen Einblick in nordgermanische Mythologien (Ragnarök) und weist auf Unterschiede und Verbindungen zwischen diesen hin. Es folgen diverse Textstellen aus christlichen Quellen seit der Spätantike. Er schreibt dazu, dass endzeitliche Erwartungen das gesamte Mittelalter über existiert hätten, auch wenn deren biblische Grundlagen nur den sehr, sehr wenigen Frommen und Gebildeten vertraut gewesen sein dürften. Auch das verdeutlicht er anhand vieler Quellen-Zitate und macht auf die Bedeutung des Mediums Bild in jener Zeit des fast vollständigen Analphabetentums aufmerksam. Und schon damals hätten Predigten und Bilder vor allem nur den einen Zweck gehabt, das einfache Volk in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie sich kirchlichen Normen widerstandslos unterwerfen sollten. Also, um damit die Macht des Klerus und des weltlichen Feudaladels noch besser, noch eindrucksvoller abzusichern.
Im Spätmittelalter dann hätte es eine neue Qualität gegeben. Häresien gegen das Papsttum und dessen totalen Machtanspruch hätten sich nun ebenfalls apokalyptischer Phantasien/Prophezeiungen bedient. Häretikern, den ketzerischen Gruppen innerhalb des Christentums, sei es darum gegangen, mit dem Gedanken an das Jüngste Gericht, die verderbte Obrigkeit göttlicher Gerechtigkeit zuzuführen und für die aufrechten Gläubigen (die "Auserwählten") paradiesische Zustände sogar schon auf Erden zu erreichen…
Interessant zu lesen ist auch, wie bereits damals Kleriker, Astrologen und sogar Mathematiker das Ende der Welt mathematisch-wissenschaftlich berechnen wollten. Und wie damals und heute mit den nicht eingetroffenen Berechnungen umgegangen wurde bzw. wird…
Dinzelbacher führt des weiteren aus, dass solche Phantasien in der europäischen Geschichte immer dann aufgetreten sind, wenn ganze Generationen Zeiten schlimmster kollektiver Angst erlebt hätten. So zu Zeiten von Hungersnöten, klimatischer Katastrophen, Seuchen oder von verheerenden Kriegen.
Er benennt für diese und auch nachfolgende Epochen wesentliche Endzeit-Propheten, die wichtigsten religiösen Gruppen (Sekten) und macht mit deren jeweiligen Kernaussagen bekannt. Auf eine Aufzählung all jener soll hier aber verzichtet werden.
Reformation und Apokalypse
Was die Zeit seit Luther und des Vorliegens der Bibel in deutscher Sprache sowie ihrer größeren Verbreitung dank des Buchdrucks angeht, so schreibt der Autor mit Blick z.B. auf die sogenannten Wiedertäufer:
"Die religiöse Erneuerung des 16. Jahrhunderts implizierte also keinesfalls das Verschwinden endzeitlicher Träume, zunächst schien sich diese Phantasie fast noch weiter zu verbreiten, und zwar mehr als Hoffnung, denn als Befürchtung." (S. 86)
Und die so genährten Hoffnungen "stießen auf heftigste Ablehnung der Großkirchen [egal ob katholisch oder lutherisch; SRK], die erkannten, welcher Machtverlust ihnen bevorstand, sollten ihre Mitglieder bloß aus jenen bestehen, die freiwillig im Alter der Unterscheidung [also erst ab Volljährigkeit; SRK] einer Gemeinde beitreten wollten." (S. 87)
Ein Problem, dass auch unseren Zeitgenossen nicht ganz unbekannt sein dürfte… Denn warum wohl bestehen die Großkirchen derart vehement auf frühkindlicher Indoktrinierung per immer mehr Kindergärten in "freier" kirchlicher Trägerschaft und möglichst pflichtigem konfessionellen Religionsunterricht an staatlichen Schulen ab der ersten Schulklasse?
1 Kommentar
Kommentare
Sven am Permanenter Link
Ich kenne das Buch leider nicht, aber diesen Kommentar des Reszensenten kann ich so nicht stehen lassen:
"Und wie Peter Dinzelbacher ironisch anmerkt, sind auch grüne Prophezeiungen wie z.B. das Waldsterben bis dato nicht eingetroffen…"
Selbst Wikipedia (Artikel zum Waldsterben) argumentiert hier deutlich differenzierter, als einfach nur Politiker ökologischer Parteien zu verunglimpfen! Dies zeigt schon ein kurzer Ausschnitt des Artikels: "Infolge der Waldsterbensdebatte wurden politische Maßnahmen ergriffen, die eine deutliche Verringerung der Emissionen bewirkten. Es lässt sich nicht sagen, wie sich der Zustand des Waldes ohne Einführung dieser Maßnahmen entwickelt hätte."