Zweiter Teil:
Schweigen und Ver-Schweigen
Im zweiten Teil, wird auf die schwierige Situation der Opfer eingegangen und auf den Umgang der Institutionen mit den Betroffenen. Deutliche Kritik übt Manfred Kappeler an der Sexualmoral der katholischen Kirche. Aber auch die Sexualmoral der evangelischen Kirche, die sich immerhin einem Wandel unterzogen habe, wird unter die Lupe genommen. Auch kritisiert er die christliche Erziehung zur Autoritätshörigkeit und die Unterdrückung der wissenschaftlichen Theologie, die in Deutschland aufgrund der Konkordatslehrstühle möglich sei und so die Vermittlung wissenschaftlicher theologischer Forschungserkenntnisse im Religionsunterricht und auch in weiteren geisteswissenschaftlichen Fächern verhindere. Als selbst reformpädagogisch orientierter Erziehungswissenschaftler setzt er sich ausführlich mit der Theorie und Ideologie der Reformpädagogik und der sexuellen Gewalt in deren Einrichtungen auseinander. Er entlarvt die Abwehrstrategien der engsten Vertrauten um den charismatischen Gerold Becker, um dessen sexuelle Gewalttätigkeit nicht wahrzunehmen. Die Idee der sexuellen Selbstbestimmung sei als Zwang zu sexueller Freizügigkeit ins Gegenteil gekippt. Die Frauenbewegung habe schon früh das „Macho-Gehabe“ der die „freie Liebe“ propagierenden Männer angeprangert. Er benennt die jeweiligen Gelegenheitsstrukturen für sexuelle Gewalt und die Potenziale für Betriebsblindheit vor dem Hintergrund der Weltanschauungen. Hauptursache seien generell „geschlossene Systeme“ . Außerdem reflektiert er seinen eigenen persönlichen Entwicklungsprozess als Sozialpädagoge und Heimleiter, gibt Einblicke in das Innenleben pädagogischer Einrichtungen und lässt seine Leserschaft teilhaben an den Anstrengungen und Herausforderungen, die pädagogische Arbeit bedeuten kann.
Dritter Teil:
Was tun? - Nachdenken über den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter und sexueller Gewalt in pädagogischen Einrichtungen
Im dritten Teil lädt Manfred Kappeler zum Nachdenken darüber, wie Kinderrechte nicht nur besser geschützt, sondern überhaupt verwirklicht werden können, ein. Er plädiert für eine Pädagogik, die sich nicht an einen einseitigen, an Gefahr orientierten Präventionsbegriff bindet, sondern die sich an positiven entwicklungsfördernden Lebensbedingungen orientiert. Darüber hinaus macht er konkrete „Vorschläge für einen Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt.“ Hierbei geht er auf die Unterschiede zwischen christlichen und reformpädagogischen Konzepten mit ihren jeweiligen Gelegenheitsstrukturen differenziert ein, weist Schwachstellen auf und gibt Anregungen zur Verbesserung. Beispielhaft sei hier die Installation eines wirklich unabhängigen Beschwerdemanagements genannt, das nicht darauf verkürzt werden dürfe, dass am „schwarzen Brett“ Name und Telefonnummer eines „Ansprechpartners von außen“ hänge. Vielmehr müssten diese von der Institution unabhängigen Vertrauenspersonen beiderlei Geschlechts die Einrichtungen regelmäßig aufsuchen. Eine gute Voraussetzung seien „Ombudschaften“ durch ehemalige Heimkinder oder InternatsschülerInnen, denen regelmäßigiger Fachaustausch und Supervision zustehen müsste.
Einige Zitate aus einer Leseprobe des Verlages:
„Wenn die Forderung des Caritasverbandes, dass in den Einrichtungen „über Sexualität und die Gefahr des sexuellen Missbrauchs“ offen gesprochen werden muss, nicht nur ein formales Prinzip ist, sondern den Bruch mit der katholischen Kirche anstrebt, sollten Priester sowie männliche und weibliche Ordensleute nicht mehr im Erziehungsdienst beschäftigt werden. Auf keinen Fall sollten sie sozialpädagogische Aufgaben übernehmen dürfen, die eine größere Nähe verlangen als das auf den Unterricht in Schulen beschränkte Lehren.“
„Für die ganze außerschulische Erziehung, von der Kinder- und Jugendarbeit bis zur Führung eines Internates, sollten nur „weltliche sozialpädagogische Fachkräfte eingestellt und das „geistige“ Personal sollte auf den Unterricht in der Schule beschränkt werden. Keine Priester, Nonnen, Ordensbrüder und Diakonissen, keine zwangsweise zölibatär lebenden und dem Keuschheitsgebot verpflichteten ErzieherInnen mehr! Der Staat sollte, wenn dies nicht im Wege der Selbstverpflichtung zu erreichen ist, die Betriebserlaubnis und die Subventionierung davon abhängig machen.“
Daniela Gerstner
Manfred Kappeler: Anvertraut und ausgeliefert. Sexuelle Gewalt in pädagogischen Einrichtungen, Nicolai Verlag, Berlin 2011, 272 Seiten, ISBN 978-3-89479-626-6, 19,95 EUR
Bericht und Video von der Buchvorstellung
Deutschland Deine Kinder (1) (17.12.2010)
Deutschland Deine Kinder (2) (23.12.2010)
Deutschland Deine Kinder (3) (24.1.2011)
Deutschland Deine Kinder (4) (19.2.2011)
Deutschland Deine Kinder (5) (23.3.2011)
Deutschland Deine Kinder (6) (25.3.2011)
Deutschland Deine Kinder (7) (7.4.2011)