Verfahren des Bürgerrechtlers Rolf Gössner wird neu verhandelt

Zehn Jahre ohne Rechtssicherheit

goessner_fsa14.jpg

Dr. Rolf Gössner bei der "Freiheit statt Angst"-Demo 2014
Dr. Rolf Gössner bei der FSA 14

BERLIN. (hpd) Nach fast fünf Jahren hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen die Berufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen ein Urteil aus dem Januar 2011 zugelassen. Damals wurde die geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für unverhältnismäßig und von Anfang an rechtswidrig erklärt.

Wie der Anwalt von Dr. Gössner mitteilte, hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 24.10.2015 die Berufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20.01.2011 zugelassen - "wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten".

In einer Erklärung teilt Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß mit: "Im Januar 2011 hatte das Verwaltungsgericht (VG) Köln nach einem fünfjährigen Prozess die vier Jahrzehnte währende geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für unverhältnismäßig und von Anfang an rechtswidrig erklärt. Die Sammlung von Daten zu seiner Person im Hinblick auf seine journalistische Arbeit, aber auch seine rechtsberatende Tätigkeit im parlamentarischen Raum sei 'als schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zu bewerten'." Als erschwerend käme hinzu, "dass vor allem bei Recherchen in seinem Haupttätigkeitsfeld 'Innere Sicherheit' eine 'besondere Vertrauensbasis zu Auskunftspersonen nötig ist, die durch eine Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes erheblich tangiert wird'". Das Gericht billigte Dr. Rolf Gössner daher ein "Rehabilitierungsinteresse" zu.

Dieses zugunsten Gössners ausgefallene Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (Köln), die Zulassung der Berufung gegen das Urteil beantragt hatte. "Nach über viereinhalb Jahren der Prüfung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen nun entschieden, die Berufung zuzulassen. Begründung: Die zugrunde liegende Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf, was ein Grund für die lange Bearbeitungsdauer sein könnte. Das bedeutet, dass die Berufung nur aus diesem Grunde zugelassen wurde und nicht etwa, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des VG-Urteils bestünden oder ein Verfahrensmangel vorliege."

Nach Zulassung der Berufung wird es vor dem OVG Münster zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Wieder mit ungewisser Dauer des Berufungsverfahrens und mit ungewissem Ausgang. Nach insgesamt zehn Jahren Verfahrensdauer seit Klageerhebung kann von Rechtssicherheit nicht mehr die Rede sein.

Zum Hintergrund des Verfahrens

Dr. Rolf Gössner ist seit dem Jahr 1970 vier Jahrzehnte lang ununterbrochen vom Bundesamt für Verfassungsschutz geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden. Bereits als Jurastudent, dann als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 zudem als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Damit dürfte es sich um die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen, parteilosen Einzelperson durch den Inlandsgeheimdienst handeln, die bislang dokumentiert werden konnte.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz legt dem Bürgerrechtler zur Last, berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich "linksextremistischen" und "linksextremistisch beeinflussten" Gruppen und Veranstaltern unterhalten zu haben, bei denen er referierte und diskutierte, aber auch zu bestimmten Presseorganen, in denen er - neben vielen anderen Medien - veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Bürgerrechtsaktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen und Vorträgen soll er, so die Unterstellung, besagte - nicht verbotene, aber als "linksextremistisch" geltende - Gruppen und Organe "nachdrücklich unterstützt" haben; er soll sie - so das Bundesamt wörtlich - als "prominenter Jurist" aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten hat der "Verfassungsschutz" also eine Art von "Kontaktschuld" konstruiert.

Im Laufe des Klageverfahrens schob der Verfassungsschutz dann neue Vorwürfe gegen Gössner nach - Vorwürfe, die zuvor keinerlei Rolle gespielt hatten, die nachträglich die unglaubliche Überwachungsgeschichte zusätzlich rechtfertigen sollten: Jetzt zog der Verfassungsschutz auch seine Schriften und Bücher in Misskredit und setzte seine inhaltliche und begründete Kritik an bundesdeutscher Sicherheits- und Antiterrorpolitik sowie an den Sicherheitsorganen, insbesondere den Geheimdiensten, einem Extremismusverdacht aus. Wie sich nach den NSU- sowie den NSA- & BND-Skandalen deutlich zeigte, war und ist die Kritik Dr. Gössners mehr als berechtigt.

Das Verwaltungsgericht Köln hatte das Bundesamt gerichtlich dazu verpflichtet, die gesamte Personenakte über Dr. Gössner vorzulegen. Das Bundesamt legte dem VG Köln daraufhin eine Akte zu seiner Person von über 2.000 Seiten vor - zum größten Teil jedoch, aufgrund einer Sperrerklärung des Bundesinnenministers, mit entnommenen Seiten oder geschwärzten Textstellen. Ein Parallelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, ein sog. In-Camera-Verfahren ohne jede Beteiligung des Betroffenen und dessen Rechtsvertreters, auf Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Akte an das VG, blieb dementsprechend erfolglos: Alle gesperrten Aktenteile konnte der Verfassungsschutz dem Verwaltungsgericht weiterhin vorenthalten - aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls.

Die gesamte Überwachungsgeschichte und der Prozess haben über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung - besonders auch für andere Publizisten, Anwälte und Menschenrechtler: Denn Berufsgeheimnisse wie Mandatsgeheimnis und Informantenschutz sind unter den Bedingungen der Überwachung nicht mehr zu gewährleisten. Die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant sowie zwischen Journalist und Informant sind erschüttert. Berufsfreiheit und berufliche Praxis sind damit ganz erheblich verletzt. Diesem uferlosen geheimdienstlichen Treiben sollte im Interesse von Demokratie und Bürgerrechten ein rechtsstaatlich wirksamer Riegel vorgeschoben werden.