Sterbehilfedebatte

Das Recht auf die eigene Entscheidung

Im Zuge des Ende 2015 verschärften Strafrechts (§ 217) sowie der Verbotsnorm § 16 Satz 3 der Musterberufsordnung (MBO) kommt das umfassende Kompendium der straf- und standesrechtlichen Regelung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid passend. Die mit Summa cum laude ausgezeichnete Promotionsarbeit stellt eine umfassende Faktensammlung dar und bietet eine wertvolle Argumentationshilfe für die komplizierte Materie.

Die Autorin war Doktorandin von Professor Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht in Würzburg, der zu den Mitunterzeichnern einer Erklärung von 140 Strafrechtlern gegen die Verabschiedung des § 217 StGB gehört. Ausführlich werden alle relevanten Grundgesetze, das Europäischen Menschenrecht und die Berufsordnung der Ärztekammern erläutert und ihre Beziehungen zum ärztlich assistierten Suizid diskutiert. Das Strafrecht stehe vor neuen Herausforderungen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die gesamte Betrachtung die Verfassungswidrigkeit des beschlossenen Gesetzes; gleiches gilt für das Verbot durch die MBO der Ärztekammern.

Das kategorische Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe greift nicht nur in die Grundrechte der Berufsausübungsfreiheit und nach Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Gewissensfreiheit ein, sondern auch in die Verwirklichung des Grundrechts auf ein selbstbestimmtes Sterben des Suizidenten. Ein solcher Eingriff müsse verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies genau wird das Verfassungsgericht anhand der 13 vorliegenden Beschwerden gegen das Gesetz zu prüfen haben (Anmerkung des Rezensenten).

Die Ärztekammer habe zwar das Recht, eigene Regelungen in internen Angelegenheiten zu erlassen, müsse dabei die Gefahr des Übergewichts von Verbandsinteressen und verengtes Standesdenken vermeiden. Der Gesetzgeber habe die Kammern als Körperschaften öffentlichen Rechts nicht mit einer schrankenlosen Satzungsautonomie ausgestattet und trage zudem eine Verantwortung für die Wahrung der Interessen der sich innerhalb des Berufsstandes entfaltenden Einzelpersonen. Dies gelte insbesondere, wenn berufsinterne Minderheiten bevormundet und unterdrückt werden. Minderheiten seien vor Fremdbestimmung zu schützen (Ärzte und Grundrechtsträger/Patienten).

Innerhalb der Ärzteschaft würden verschiedene Fallkonstruktionen der Suizidbeihilfe kontrovers diskutiert. Auch Fälle von Bilanzsuiziden sind umstritten. In den letzten Jahren ist die Zahl der Befürworter der ärztl. Suizidbeihilfe deutlich angestiegen und läge derzeit bei 85 %. Die Bereitschaft oder Ablehnung der Suizidbeihilfe bestimmen die persönliche Identität des Arztes. In Grenzsituationen, in denen der Arzt eine Gewissensentscheidung treffen muss, könne eine diffizile Güterabwägung nicht allein auf der Grundlage einer weit gefassten Generalklausel verbindlich getroffen werden (BGHSt, 367; VG Berlin, Zfl 2012, 80, 88 f). Jede Einschränkung der bis Ende 2015 geltenden Straflosigkeit der Suizidbeihilfe müsse vor dem Hintergrund der Grundrechte des Suizidenten sowie des Teilnehmers verhältnismäßig sein. An diesem Punkt ende die stattliche Schutzpflicht. In einem freiheitlich, säkularen Staat kann der Einzelne weder zum Weiterleben wider Willen verpflichtet werden, noch kann der Schutz abstrakter Menschenbilder oder bloßer Moralvorstellungen ein strafrechtliches Verbot des ÄAS rechtfertigen. In einem freiheitlichen Verfassungsstaat gibt es keine Verpflichtung zum Weiterleben. Die Verfassungsmäßigkeit der Grundrechte des Suizidenten sowie der Eingriff in die Berufsfreiheit des Arztes müsse gerechtfertigt sein. Ein Verbot mit Ausnahmevorbehalt in die freie Berufsausübung des Arztes greife nicht.

Das Buch ist eine wichtige Bereicherung für Anwälte, Staatsanwälte und Richter, aber auch für Ärzte, medizinisches Hilfspersonal und interessierte Laien. 290 Seiten (davon 260 Textseiten) lassen sich leicht lesen. Der tieferen Beschäftigung mit der Materie dienen über 1.600 weitere Kommentare und Quellenangaben. Für mich ein sehr zu empfehlendes Buch.

Friederike von Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe im Straf- und Standesrecht, Berlin 2016, Logos Verlag, Dissertation an der Universität Würzburg, 303 Seiten, 44,00 Euro