UNICEF gibt Empfehlungen für Deutschlands neuen Bundestag

Politik für Kinder

children-763128_1920.jpg

Zum Beginn der neuen Legislaturperiode hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF Empfehlungen für eine "Politik für Kinder" ausgesprochen. Denn die "kommende Legislaturperiode wird entscheidende Weichenstellungen für Deutschland bringen – und Kinder sollten dabei im Mittelpunkt stehen."

UNICEF erinnert daran, dass sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention dazu bekannt hat, die Rechte der Kinder anzuerkennen. Das bedeutet: Jedes Kind hat ein Recht auf Förderung, Schutz und bestmögliche Chancen, in Deutschland ebenso wie in den Entwicklungsländern und in den Krisenregionen der Welt. "Mit der Verabschiedung der neuen Nachhaltigkeitsziele, der Agenda 2030, im Jahre 2015 hat sich Deutschland nicht nur dazu verpflichtet, den globalen Herausforderungen nachhaltig zu begegnen, sondern auch seine internationale Verantwortung zu stärkerem Engagement für Kinderrechte weltweit bekräftigt" heißt es in einer Pressemitteilung von UNICEF.

Danach sei es Aufgabe der gesamten Gesellschaft, Strukturen bereitzuhalten, um Kindern ein freies, chancenreiches und selbstbestimmtes Erwachsenwerden zu ermöglichen. Dabei ist insbesondere die Politik in der Verantwortung, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Kinderrechte ins Grundgesetz

Nur mit einer Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz könne ein rechtlich bindender Rahmen für die Einhaltung der Kinderrechte für alle staatlichen Stellen gewährleistet werden. Deshalb empfiehlt UNICEF "in der 19. Legislaturperiode einen Vorschlag für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz vorzulegen und zu beschließen, dessen Formulierung den genannten Eckpunkten Rechnung trägt."

Auch die Einrichtung von Anlauf- und Beschwerdestellen für Kinder würde der Gleichstellung der Rechte für und von Kindern besser als bisher gewährleisten. Dazu heißt es: "Das deutsche Rechtssystem ist zu wesentlichen Teilen für Erwachsene gemacht. Kinder haben selten selbst direkte Ansprüche auf Leistungen oder Angebote. Sie haben es nicht nur grundsätzlich schwerer als Erwachsene, ihre Interessen geltend zu machen, es ist für sie auch ungleich komplizierter, zu ihrem Recht zu kommen. Für die allermeisten Kinder ist es kaum denkbar, einen Prozess zu führen, sich auch nur mit einem Anwalt oder der Polizei in Verbindung zu setzen oder sich anderswo über Dinge wie unsichere Schulwege oder Luftverschmutzung zu beschweren." Um hier den Kindern Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen sollten kindgerechte Anlauf- und Beschwerdestellen eingerichtet werden.

Die Einrichtung einer (staatlichen) Monitoringsstelle, die die Einhaltung der Kinderrechte auf allen Ebenen überwacht, wird ebenfalls angeregt.

Investitions- und sozialpolitische Maßnahmen

Flankiert werden müssen diese Maßnahmen jedoch unbedingt von investitions- und sozialpolitischen Maßnahmen für Kinder. Damit deren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gewährleistet werden kann, bedarf es großer Anstrengungen des Staates.

UNICEF-Studien zum kindlichen Wohlbefinden zeigen, dass es Deutschland bisher trotz vieler Investitionen und einer vergleichsweise hervorragenden Wirtschaftslage nach der europäischen Finanzkrise nicht gelungen ist, wesentliche Indikatoren für das kindliche Wohlbefinden entscheidend zu verbessern. So ist auch die relative Kinderarmut in Deutschland weiterhin nicht verringert worden.

Wie es Kindern tatsächlich geht, hängt vom unmittelbaren Lebensumfeld ab. Eltern, die Zeit für ihre Kinder haben, gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer, Freizeit, Freunde – dies sind einige zentrale Faktoren für das kindliche Wohlbefinden. Eltern haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung sowie die Teilhabechancen ihrer Kinder. Dafür benötigen Eltern mit wenigen Ressourcen Unterstützung in ihren Erziehungs- und Bildungskompetenzen durch präventive Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

In Deutschland zeigen Analysen, dass Kinder aus prekären Familien kaum eine Chance auf gute Bildung und Teilhabe eingeräumt wird. Hier fordert UNICEF die Bundesregierung auf, zu investieren. So soll für eine deutliche personelle und finanzielle Stärkung der Jugendhilfe (öffentliche wie freie Träger) bezüglich der Beratungs- und Angebotsstruktur gesorgt werden. "Dadurch können Kinder und Jugendliche durch präventive Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Entwicklung gefördert, Benachteiligungen abgebaut und positive Lebensbedingungen für Familien mit ihren Kindern geschaffen werden."

Einen besonderen Schutz sollten Kinder und Jugendliche genießen, die nach Deutschland geflüchtet sind; davon rund 50.000 auch ohne ihre Eltern. Diese Kinder und deren Eltern sind traumatisiert und benötigen psychosoziale Hilfe. Die Unterbringungssituation geflüchteter Menschen in Deutschland ist trotz zahlreicher Bemühungen oftmals nicht familien- oder kindgerecht.

Dafür empfiehlt UNICEF der neuen Bundesregierung und dem Bundestag

  • Die derzeit geltende Aussetzung des Familiennachzuges für Personen mit subsidiärem Schutz ist im Sinne der Kinderrechtskonvention aufzuheben. Die Umsetzung des Rechts auf Familiennachzug soll durch einfache und flexible Verfahren ermöglicht werden. Dabei ist auch der Familienbegriff großzügiger zu fassen, der engste soziale Bindungen auch im erweiterten familiären Umfeld berücksichtigt.
  • Geflüchtete Kinder, Jugendliche und ihre Eltern sollten grundsätzlich so kurz wie möglich in Flüchtlingsunterkünften untergebracht werden. In Unterkünften, in denen Kinder leben, sollen deutschlandweit verbindliche familien- und kindgerechte Standards erfüllt und regelmäßig von den Aufsichtsbehörden überwacht werden. Dafür ist eine verpflichtende bundesgesetzliche Regelung notwendig, die sich an den von UNICEF und dem Bundesfamilienministerium mit Partnern entwickelten Mindeststandards der "Initiative zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften" orientiert. Sie soll dem Schutz von geflüchteten Menschen und der Gewaltprävention in Flüchtlingsunterkünften dienen.
  • In Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie sollte der Bund dafür sorgen, dass alle nach Deutschland geflüchteten Kinder spätestens drei Monate nach ihrer Ankunft in eine Schule gehen können. Auch für geflüchtete Jugendliche über 16 Jahren sowie junge Volljährige müssen flächendeckend Beschulungsmöglichkeiten geschaffen werden, die ihnen erlauben, einen Schulabschluss zu erwerben und eine Ausbildung zu beginnen. Das aufenthaltsrechtliche Verbot einer betrieblichen Berufsausbildung muss aufgehoben werden.

UNICEF weist darauf hin, dass Kinder häufig eine Brücke für die Integration der ganzen Familie sind, da sie sehr schnell die deutsche Sprache erlernen und motiviert sind, sich mehr zu erarbeiten, wenn man ihnen die Möglichkeiten dazu bietet und sie dabei unterstützt.

Denn "unabhängig von ihrem Aufenthaltsort oder -status sind sie in erster Linie Kinder, die ein Recht auf Schutz, auf Zugang zu Bildung und auf Teilhabe an der Gesellschaft haben."