Evangelischer Kirchentag Berlin 2017

Das Kreuz mit dem Dialog

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Michael Schmidt-Salomon, Christina Aus der Au, Armin Pfahl-Traughber, Ulrich Lilie
Kirchentag 2017 Dialog

Kirchentage verstehen sich selbst als Veranstaltungen, die dem Dialog zugewandt sind. Dem Dialog innerhalb der eigenen religiösen Gemeinschaft, dem Dialog mit anderen religiösen Gemeinschaften – und neuerdings auch dem Dialog mit Nichtreligiösen. Doch mit Letzterem tun sich Kirchenvertreter schwer.

Bereits zum zweiten Mal in Folge begab sich mit dem gestern beendeten DEKT 2017 ein Kirchentag auf 'feindliches' Terrain. Im vergangenen Jahr hatte die andere christliche Großkirche Deutschlands ihren Katholikentag in Leipzig veranstaltet, wo über 80% der Bevölkerung keiner Konfession angehören. Und nun in diesem Jahr der Evangelische Kirchentag im atheistischen Berlin.

Kein Wunder, dass man da ins Kirchentagsprogramm auch den Dialog mit Ungläubigen aller Art aufnimmt. Beim Katholikentag im Vorjahr lief dieser Dialog noch etwas holperig: In der Hauptveranstaltung über den Unglauben diskutierte man auf dem Podium nicht mit Menschen, die nicht glauben, sondern mit einem leeren Stuhl, der diese Nichtreligiösen symbolisieren sollte. Der diesjährige Evangelische Kirchentag bewies etwas mehr Mut und sprach mit gefüllten Stühlen.

Wer das Kirchentagsprogramm nach Dialogen mit Nichtreligiösen durchsuchte, fand unter den – laut Kirchentag – insgesamt 2.500 Veranstaltungen genau drei. Eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Werden nichtreligiöse Menschen diskriminiert?", eine Podiumsdiskussion zur Frage der Selbstbestimmung am Lebensende und eine weitere mit dem Titel "Offene Gesellschaft: Wo sind die Grenzen der Toleranz?".

Die letztgenannte Podiumsdiskussion erklärte Kirchentagspräsidentin Prof. Dr. Christina Aus der Au zur Chefsache, indem sie selbst daran teilnahm, um zusammen mit Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, auf dem Podium das Gegenwicht zu den nicht minder namhaften Vertretern der Nichtreligiösen zu bilden: Dr. Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, und Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber.

Beispielbild
Podiumsdiskussion mit humanistischen Gemeinschaften (Foto: © Evelin Frerk)

Schmidt-Salomon und Pfahl-Traughber legten dar, dass für den Erhalt einer offenen Gesellschaft die Säkularität eine wichtige Voraussetzung ist. Da man sich in einer Gesellschaft über allgemeinverbindliche Werte verständige, müssten die Begründungen für diese Werte auch allgemein nachvollziehbar sein und dürften nicht den Glauben an einen bestimmten Gott oder an ein bestimmtes religiöses Regelwerk voraussetzen. Dies bedeute nicht, dass Menschen ihren Glauben ablegen müssten, nur im Bereich der staatlichen Gemeinschaft, die sich Nichtreligiöse mit Menschen unterschiedlichen Glaubens teilen, müsse der Konsens eben ohne Glauben erzielt werden und Argumente müssten in "säkularer Sprache" vorgetragen werden. Säkularität sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner der Verständigung. Innerhalb dieser staatlichen Gemeinschaft müsse dann verhandelt werden, inwieweit Regelüberschreitungen durch weltanschauliche und kulturelle Eigenheiten tolerierbar seien, um die Offene Gesellschaft nicht zu gefährden.

Eine durch und durch rationale Grundlage für die Gestaltung einer Gesellschaft, die – so möchte meinen – die Bedürfnisse unterschiedlicher kultureller und religiöser Gruppen angemessen berücksichtigt. Doch die christlichen Vertreter auf dem Podium sahen das anders. Ulrich Lilie betonte, dass "die gestaltende Kraft zivilisierter Religionen" der Gesellschaft gut tue, dass Religiöse keinesfalls ein schwarzer Block der Intoleranz seien und dass vielmehr bei Areligiösen eine gewisse Intoleranz zu bemängeln sei. Kirchentagspräsidentin Aus der Au sagte, dass sie es unfair finde, von religiösen Menschen zu verlangen, dass sie sich in säkularer Sprache ausdrücken, da das Woher ihrer Argumente aufgrund ihrer Gottesbeziehung immer religiös sei. Auch ein unter Christen verbreitetes Horrorszenario malte sie an die Wand: Nämlich, dass ein Staat ohne Religionsbezug dazu führen würde, dass Religion vollkommen aus der Öffentlichkeit verdrängt wird, dass Kirchen abgerissen werden und religiöse Bilder aus Museen verschwinden. Michael Schmidt-Salomon versicherte Christina Aus der Au und dem Publikum, dass all dies bei einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche nicht der Fall sei und dass nicht mal im streng laizistischen Frankreich religiöse Bilder aus den Museen verschwunden seien.

Die rund 300 Menschen im Publikum des vollbesetzten Festssaals im Roten Rathaus erlebten ein recht typisches Gespräch zwischen Religiösen und Nichtreligiösen: Während Vertreter der Nichtreligiösen meistens sehr rational argumentieren, kontern Religiöse fast immer nicht mit rationalen Argumenten, sondern mit emotionalen. Ein wirklicher Dialog findet dadurch eigentlich nicht statt.

Bei dieser Podiumsdiskussion wurde der Dialog zusätzlich durch die Moderatorin erschwert. Wann immer die Diskussion begann, Fahrt aufzunehmen, wurde sie von der Moderatorin unterbrochen und auf ein anderes Thema umgelenkt. Dabei hätte es durchaus Dinge gegeben, die die Problematik des Ansatzes der religiösen Vertreter im Gegensatz zu jenem der nichtreligiösen in dieser Runde veranschaulichten. Mehrfach versuchte Michael Schmidt-Salomon an Beispielen wie dem Entstehen der aktuellen deutschen Sterbehilfegesetzgebung sowie der Gesetzgebung zur Knabenbeschneidung aufzuzeigen, wie sehr sich die religiöse Sphäre in die staatliche Sphäre gemischt hat – und dass die daraus resultierenden Gesetze gegen den Konsens der Mehrheit der Gesellschaft sowie wahrscheinlich auch gegen die Verfassung verstoßen.

Beeinflusst von der religiösen Vorstellung, dass das Leben ein Geschenk Gottes sei, das der Mensch nicht selbst wegwerfen dürfe, wurde Sterbehilfe in Deutschland 2015 per Gesetz so gut wie unmöglich gemacht. Und das obwohl sich die große Mehrheit der Deutschen die Möglichkeit wünscht, das eigene Leben selbstbestimmt beenden zu können. Auch das Gesetz zur Knabenbescheidung, das nach Auffassung nicht weniger Juristen gegen die Verfassung verstößt, wurde nach dem Kölner Beschneidungsurteil von 2012 aufgrund des massiven Drucks von Religionsvertretern mit heißer Nadel gestrickt.

Doch Diskussionen über die Problematik der Einflussnahme von religiösen Vorstellungen auf eine Politik, die eigentlich für alle da sein soll, wurden durch die Moderation regelmäßig unterbunden. Stattdessen bemühte man sich, die Wogen zu glätten. Michael-Schmidt Salomon kommentierte dies mit dem Bonmot, dass man an Runden Tischen seine Kanten verliere. Viele interreligiöse Dialoge hält er deshalb für Scheindebatten.

Man muss sich angesichts solcher Diskussionen tatsächlich die Frage stellen, ob – um im christlichen Jargon zu sprechen – der Wunsch nach Dialog mit den Nichtreligiösen tatsächlich aus dem Herzen kommt, oder ob es sich nur um Make-up-Veranstaltungen handelt, mit denen eine Dialogbereitschaft auch mit den schärfsten Kritikern demonstriert werden soll. Nicht zuletzt deshalb, weil es angesichts rapide sinkender Kirchenmitgliedszahlen in den kommenden Jahren immer schwieriger werden dürfte, öffentliche Zuschüsse in Millionenhöhe für Glaubensfeste wie Kirchentage zu erhalten.

Apropos Finanzierung: Um die ging es in der Diskussion natürlich auch. Dank der Moderatorin, die die Frage aufbrachte, ob die Furcht vor einem säkularen oder laizistischen Staat bei den christlichen Vertretern auf dem Podium eventuell darin begründet läge, dass ihnen natürlich auch viel Geld verloren ginge, wenn der Staat keine christlichen Organisationen und Veranstaltungen mehr fördere. "Genau", sagte Michael Schmidt-Salomon zu Christina Aus der Au, "warum kriegen Sie eigentlich so viel Geld für Ihren Kirchentag?". Mit verschmitztem Lächeln antwortete die Kirchentagspräsidentin: "Das müssen Sie den Berliner Senat fragen, warum der sich von unserer Argumentation überzeugen lässt, der wird sich schon etwas davon versprechen. Wir bekommen das Geld für die Kirchentage jedenfalls nicht selbstverständlich, sondern müssen es immer wieder aushandeln."

Dass bei diesem Aushandeln christliche Seilschaften in der Politik eine nicht unbedeutende Rolle spielen, wurde an dieser Stelle nicht thematisiert. Auch Runde Tische können schließlich noch scharfe Ränder haben. Und wer will sich an denen schon schneiden?