„Ohne Deschner gäbe es keine gbs“

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Karlheinz Deschner und Herbert Steffen / Fotos © Evelin Frerk

OBERWESEL. (hpd) Schon anfangs ist die Stimmung feierlich-festlich und erwartungsvoll. "Kommt er?" ist eine immer wieder aufkommende Frage der Besucher. Ja, Karlheinz Deschner ist da. Bescheiden wie immer sitzt er mit einem Becher Tee in dem sich füllenden Forum der GBS und die Kuratorin der Stiftung, Ingrid Binot, neben ihm. Er wird sich an diesem Abend auch weiterhin von Freunden begleiten lassen.

Zur Einstimmung wurde das Video von Ricarda Hinz gezeigt, mit dem sie Aphorismen von Karlheinz Deschner in Szene gesetzt hat. Sie hat das Video 2004 für die erste Veranstaltung produziert, mit der sich die Giordano-Bruno-Stiftung an die Öffentlichkeit wagte, den Festakt zum 80. Geburtstag von Karlheinz Deschner in Haßfurt.

 

„Ich begrüße Sie herzlich zu diesem Festakt zu Ehren von Karlheinz Deschner anlässlich der Vollendung seiner großen „Kriminalgeschichte des Christentums“. Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, moderiert diesen Abend und lässt dabei die Gäste wissen, dass auch ihn Deschners Werk außerordentlich stark geprägt hat. Womöglich hätte er den Beruf des Schriftstellers und Philosophen gar nicht ergriffen, wenn er nicht schon so früh auf die ‚Deschnerschen Schriften’ gestoßen wäre.

Schmidt-Salomon lenkt mit einem Dank auf die Video-Beiträge von Ricarda Hinz, der „viele wunderbare, aufklärerische Filme zu verdanken sind und die auch den heutigen Festakt filmisch dokumentieren wird“. Er erwähnt Adel F. Mohsin, den jüngst dazu berufenen Beirat der Stiftung. Dieser begleitet den Abend am Klavier.

Herbert Steffen, Hausherr und im Jahr 2004 Gründer der Giordano-Bruno-Stiftung, wird wie alle Redner mit Applaus empfangen. Er beginnt mit dem Satz: „Ohne Karlheinz Deschner gäbe es die gbs nicht ...“ und fährt fort, für diese Festveranstaltung wäre leicht ein Saal zu füllen gewesen, aber man habe die Wünsche von Deschner verstehen können, diese Veranstaltung nur in einem kleinen und eher „familiären“ Rahmen zu halten.

Rückschauend spricht Steffen über die Anziehungskraft der Bücher von Karlheinz Deschner auf ihn. Als er erstmals eines in den Händen hielt, war er geradezu elektrisiert – und er nahm sich vor, diesen Autor nachhaltig zu unterstützen, was er seit den 1990er Jahren auch getan hat.

Nach Redebeiträgen von Uwe Naumann, Rowohlt-Verlag, einem Musikbeitrag am Flügel von Adel F. Mohsin (Liszt: Lyon / Rachmaninoff: Prélude op. 32/12), sowie dem Video eines Deschner-Filmportrait (Ausschnitt) hält Hermann Josef Schmidt (ebenfalls gbs-Kurator) die Laudatio. Nach einem weiteren Video-Ausschnitt aus „Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner“ spricht Frank Strickstrock, Lektor im Rowohlt-Verlag, und dann kommt Karlheinz Deschner von seinem Platz hoch an das Rednerpult und bedankt sich. Aber Deschner wäre nicht Deschner, wenn seine Wort einfach blieben. Viele Freunde im Saal benennt er persönlich mit seinem Dank und der spiegelt sich auch in seiner Mimik wieder.

Was folgt? Standing Ovations und Adel F. Mohsin am Flügel mit Liszt: Lyon und Rachmaninoff: Prélude op. 32/12.

Evelin Frerk

 

 

Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt hat den Text seiner Laudatio freundlicherweise dem hpd zur Verfügung gestellt:
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Christentumskritisches Gesamtwerk als fundamentalismuskritisches Memento
oder Kleine Laudatio auf den großen Aufklärer Karlheinz Deschner*)

von
Hermann Josef Schmidt

Lieber Herr Deschner, geschätzte Anwesende, liebe Mitglieder oder Freunde der gbs und zumal kritischer Aufklärung!

"Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: es ist gut."

Aus einem Gedicht eines Ihrer besonders geschätzten Poeten, aus Georg Trakls Verklärter Herbst, nehme ich für meine neuerliche Laudatio einige Stichworte als Leitschnur. Das 2004 eingangs diskutierte Problem wohl jedweder Laudatio: wie entschärfe ich die kuriose Konstellation, daß der Laudator sich über den Adressaten der Laudatio zu überheben scheint, übergehe ich in der Hoffnung, daß die Art meiner Laudatio nun für sich selbst spricht.

I.

So setze ich als Prolog, exemplarisch wohl für viele Tausende wenigstens meiner Generation, mit zwei Erinnerungen ein, die bereits belegen, wie innovativ und aufklärungsstimulierend Sie, lieber Herr Deschner, schon vor Jahrzehnten dank Ihrer Publikationen gewirkt haben.

Ich beginne mit derjenigen eines Unterprimaners einer von Ordensgeistlichen geleiteten Internatsschule der späten 1950er Jahre, dem ein Mitschüler nach den Weihnachtsferien ein schmales Bändchen zusteckte, das ihm seine Mutter noch ins Reisegepäck geschmuggelt hatte. Es war Ihre erste literarische Streitschrift Kitsch, Konvention und Kunst. Erst dank dieser entdeckte ich mit Hermann Broch, Hans Henny Jahnn und Robert Musil drei grandiose Schriftsteller und schärfte wie Tausende anderer dank Ihrer Ermutigung und Nachhilfe vor allem mein literarisches sowie kritisches Bewußtsein, denn die damals Geschätzten fielen ebenso wie mir bekannte Autoren der Gruppe 47 derart gegenüber den von Ihnen positiv präsentierten Autoren ab, daß ich diese Diskrepanz als peinlich empfand und im Blick auf Maßstäbe mißtrauisch wurde, die dem Renommee bekanntgemachter Autoren zugrundegelegen haben dürften.

Kurz: von nun an las auch ich Texte anders. Und der Name Karlheinz Deschner stand seitdem für extraordinäres Stilempfinden, intellektuelle Eigenständigkeit und innovative Perspektiven, argumentative Qualität sowie Seriosität und für keineswegs geringe provokative Prägnanz.

Umso größer wenige Jahre später - meine zweite Erinnerung - mein Erstaunen, als in einer Sprechstunde ein Freiburger Professor mir ein eingewickeltes voluminöses Buch überreichte und bedeutete, es erst zuhause anzusehen. Es hätte ja jemand unangemeldet in den Raum kommen können! Westdeutschland, 1962! Das Buch war Ihre fulminante kritische Kirchengeschichte mit dem treffsicheren Titel Abermals krähte der Hahn. Da sollte ein reflektierender Leser wohl bemerken: derlei Hähne krähten perennierend, wurden zunehmend lauter, schriller, zelebrierten ihre Kakophonie "von den Anfängen" und keineswegs nur "bis zu Pius XII." Wohl nicht nur für den sich damals auch mit Religionsgeschichte und zumal -kritik Beschäftigenden war dieser Band sogar noch wichtiger geworden als Ihre erste literarische Streitschrift. Schließlich stellt wohl erst dieser Band das eigentliche Flaggschiff einer ganzen erst in ihrem Kielwasser folgenden Armada religions- und zumal Christentums- oder nur kirchenkritischer Literatur seit den 1960er Jahren.

II.

Nun auf die Spur einiger ausgewählter Stichworte aus Verklärter Herbst.

"Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten."

Titel und erster Vers bedürfen kaum eines Kommentars: in den Herbst Ihres sich dem zehnten Jahrzehnts annähernden Lebens fällt die Vollendung des exemplarischen christentumskritischen Jahrhundertwerks, der Kriminalgeschichte des Christentums.

"Gewaltig" ist zutreffend, denn diese Kriminalgeschichte ist, genauer besehen, ein ungeheures opus, doch das schlichte Verb "endet" bedarf der Korrektur, denn mit Band 10 endet zwar die Kriminalgeschichte, eine andere Art von Dekalog, doch nicht Ihr Publikationsprozeß. Schon der Herbst dieses Jahres zeitigt als Auswahl letzter Hand alte und neue Aphorismen unter dem Titel Anonym wie der Wind oder Illusionen keine.

So wirft "Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten" wohl nur Fragen für diejenigen auf, die von der Kriminalgeschichte am liebsten als von abgestandenem Essig oder gar von Jauche sprechen würden. So war ein Versuch von 19 katholischen Professoren an der Katholischen Akademie in Schwerte in einer Art Anti-Deschner-Tribunal vom 1.-3.10.1992 die der Antike geltenden Bände in der Absicht durchzukämmen, das Werk als in mehrfacher Hinsicht unwissenschaftliche und unseriöse Kriminalisierung des Christentums aufzuweisen, nicht gerade von Erfolg gekrönt. Dank Ihrer glänzenden Replik, die einem als Kronzeugen der Anklage in Szene gesetzten Beitrag galt, und der dem Gesamtprojekt geltenden Seriositätsüberprüfung des Laudators erwies sich die Unternehmung auf so peinliche Art als Rohrkrepierer, daß seitdem m.W. kein vergleichbares Projekt mehr gestartet wurde. Schlicht formuliert: in seiner Intention lief das aufwendige Deschner-Kolloquium wenn nicht auf publizistische Existenz- so doch längerfristige Renommeevernichtung dieses Kritikers hinaus. Doch man sehe sich die insgesamt eruierten Petitessen in Relation zu den argumentativen Schwächen dieser Kritiken und den Bemühungen, nach vielen Jahrzehnten wenigstens im Blick auf den renommiertesten Kritiker kurzzeitig argumentative Lufthoheit zurückzugewinnen, genauer an!

Aufklärer hingegen dürften Stichworte wie "goldener Wein" und zumal "Frucht der Gärten" als zutreffend bewerten. Dazu nun etwas genauer.

Als vorhin die Stichworte "Flaggschiff" und "Armada" fielen, berücksichtigte ich, daß die historische Armada unterging. Vergleichbares gilt wohl auch für die meisten großenteils nur sehr bedingt kirchenkritischer Titel, die nach Abermals krähte der Hahn zwar mit der Intention auf den Markt gebracht worden sein dürften, an des Hahns Erfolg partizipierend diesen möglichst zu minimieren, ihrem kognitiven Eintagsfliegenstatus angemessen jedoch rasch wieder zu verschwinden.

Ganz anders das als "Flaggschiff" bezeichnete frühe christentumskritische Werk Abermals krähte der Hahn, dem ein religions-, Christentums- und kirchenkritisch bestarmierter Flottenverband Karlheinz Deschners folgte, dem aus einer Reihe von Gründen weltweit m.W. nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen ist.

Nun erst sind wir beim eigentlichen Gegenstand meiner kleinen Laudatio auf den großen Aufklärer Karlheinz Deschner.

 

Berücksichtigen wir, um im Bild zu bleiben, diesen zwischen 1962 und 2013 zu Wasser gelassenen Flottenverband wenigstens im Blick auf seine wichtigsten Einheiten! Er besteht aus den Schlachtschiffen der Bände der Kriminalgeschichte und einer ganzen Reihe weiterer Kampfeinheiten, vom Zerstörer und Flugzeugträger bis zu manchem Unterseeboot. Nicht alles ist hier auch nur aufzulisten. Man kritisiert also die bereits knapp 6.000 Seiten umfassende Kriminalgeschichte als dennoch nur hochgradig selektiv wenigstens solange zu Unrecht, solange man dabei vornehm übergeht, daß ihr Autor eine ganze Reihe zentraler Themen, die in den Zusammenhang einer Kriminalgeschichte des Christentums gehören, in einer Reihe weiterer Titel konzise abgehandelt bzw. sie in diese 'ausgelagert' hat; Themen, von denen wenigstens eines auf seine Weise wiederum epochemachend wurde durch die Sexualgeschichte des Christentums Das Kreuz mit der Kirche; oder eine m. W. auch nicht im Ansatz kopierte Organisations- und Arbeitsleistung erforderten wie Das Christentum im Urteil seiner Gegner, oder von ihrem systematischen oder ihrem historischen Ansatz her das Konzept einer 'nur' 10bändigen Kriminalgeschichte nochmals gedehnt hätten wie Der gefälschte Glaube einerseits und zumal Einhundert Jahre Heilsgeschichte andererseits. (Aus Zeitgründen kann das genannte Ensemble hier in seiner Relevanz leider nicht skizziert werden.)

Nun aber zur Kriminalgeschichte selbst und zum neu erschienenen Band 10.

Die Bände hier auch nur in wenigen Details zu skizzieren, hätte Verzicht auf den erwähnten Kontext bedeutet, der in den meisten Rezensionen ausgeklammert war, weshalb auf diesen, wenigstens den genetischen und systematischen Zusammenhang von Karlheinz Deschners Christentumskritik verdeutlichenden Sachverhalt, zu verweisen war. Die bereits duch ein Personenregister erschlossenen Bände bilden ein singuläres Archiv religiös legitimierter Inhumanität, harren jedoch noch der Erschließung durch einen Sachindex.

Betrachten wir die Bände in ihrer Abfolge, so bilden sie, wie es 'der Sache' auch angemessen ist, eine Art Pyramide.

Deren breite Basis stellen die drei der Antike geltenden Bände mit knapp 2.000 Seiten bzw. einem Drittel des Gesamtumfangs dar. Dieser bis ins 6. Jh. angesetzte Zeitraum bildete zur Zeit der Konzeption der Kriminalgeschichte einerseits die in relevanten Details wenigst bekannte, mittels einiger problemkaschierender Schlagworte m.E. schon deshalb meistverzeichnete Phase der Kirchengeschichte, weil ein nicht geringer Teil dieses Zeitraums wenigstens im Sinne der späteren Catholica kaum im strengen Sinn als deren "Kirchengeschichte" bezeichnet werden kann; andererseits freilich stellte er dank des Ende des 4ten Jahrhunderts gewaltsam durchgesetzten, nur eine Minorität der Bevölkerung des römischen Reiches umfassenden, innerhalb rivalisierender Christentümer zuvor keineswegs dominierenden trinitarischen Christentums als nunmehr verpflichtender Staatsreligion noch immer die entscheidende Phase der Kirchengeschichte dar. Karlheinz Deschner hat die Bedeutung der antiken Phase auch insofern betont, als der dritte Band unter den basalen Perspektiven "Fälschung, Verdummung, Ausbeutung, Vernichtung" der Alten Kirche gewidmet ist. Die beiden Eröffnungsbände hingegen folgen der Entwicklung von den Anfängen bis Justinian.

Der vergleichsweise umfangreiche Antiketeil der Kriminalgeschichte ist auch aus dem weiteren Grund hochrelevant, weil im deutschen Sprachraum nahezu alle Universitätslehrstühle, die diesen die Ausbildung abendländischer Identität nachhaltig beeinflussenden Zeitraum thematisieren, unter kirchlicher Kontrolle stehen. Hier ist politisch noch einiges zu tun. Wie konsequenzenreich undogmatische, kenntnisreiche und positional unabhängige Untersuchungen auch weiterhin sein können, belegen neuerdings die Monographien von Rolf Bergmeier.

Den Schwerpunkt der Kriminalgeschichte bilden die dem Mittelalter gewidmeten, den Zeitraum von ca. 500 bis ins 14. Jh. berücksichtigenden Bände 4-7 mit ihren 2.500 Seiten bzw. 43 Prozent des Gesamtumfangs. Da das Mittelalter in vielen Details längst erforscht, in zahlreichen Untersuchungen dargestellt und auch in Lexika wie bspw. dem umfangreichen Lexikon des Mittelalters zwar breitest präsentiert doch in der Darstellung m.E. weitgehend christentumsfreundlich oder Brisantes eher umgehend angesetzt ist, blieb erforderlich, sich hier auf in der Regel Ausgeklammertes oder Marginalisiertes, insbesondere auf größere Zusammenhänge im Sinne unabdingbarer Gegenstimmen pointiert zu beziehen. Ich fand beeindruckend, mit welcher Souveränität sich der Autor durch dieses ideologisch dichtverminte Gelände bewegte.

Spitze der Pyramide bilden die der Neuzeit, dem Zeitraum vom Exil der Päpste in Avignon über Renaissance, Reformation, Amerikanischen Holocaust bis zur Aufklärung, dem Niedergang des Papsttums, der Jesuitenverfolgung und dem Josephinismus gewidmeten Bände 8-10, die der Autor in seinem 9ten Jahrzehnt mit ihren knapp 1.300 Seiten bzw. ca. 22 Prozent des Gesamtumfangs bewältigt hat. Schon die pure Tatsache verdient Respekt. Da die Neuzeit noch breiter, tiefenschärfer und auch unabhängiger erforscht, dargestellt sowie kontroverser als bspw. die Spätantike diskutiert wird, konnte sich der Autor darauf konzentrieren, im Sinne des Abschlusses seines kirchenkritisch-historischen Ansatzes sein argumentatives Netz zuendezuknüpfen. Aufschlußreich freilich, auf welche Weise er dies tat. Als Beispiel diene der Schlußband. Vom Umfang her bietet er die geringste Seitenzahl, doch inhaltlich stellt er als typisches Alterswerk ein Konzentrat dar. Außerdem bietet er im Schlußkapitel "Armut als Massenphänomen im absolutistischen Zeitalter" Einblick in die Intentionen des Autors. Hier wird die anthropophile, humanitäre Sichtweise Karlheinz Deschners, die ihn bis zur Vollendung dieses opus magnum 'durchhalten' ließ, aus der Vorbemerkung deutlich:

"Aus dem ursprünglichen Plan einer "Geschichte des menschlichen Elends" erwuchs das vorliegende [...] Werk, wie alles, was ich schrieb, dem einen Hauptantrieb verpflichtet -mit den Worten des von mir hochgeschätzen österreichischen Priesters, Lebensreformers, Vegetariers, Atomkraftgegners und Pazifisten Johannes Ude [...]: "Ich kann das Unrecht nicht leiden."

Wie paßt das nur zu den "haßerfüllten Augen des Herrn Deschner"?

III.

Nun erst zu Georg Trakls Versen 3 und 4: "Rund schweigen Wälder wunderbar Und sind des Einsamen Gefährten."

Vermute ich zu Unrecht, daß gründlichere Leser der Kriminalgeschichte auch hier keinerlei Probleme sehen, sondern sich eher fragen, wie es einem Autor der bspw. in Dornröschenträume und Stallgeruch. Über Franken, die Landschaft meines Lebens, 1989, demonstrierten Sensitivität und Sensibilität gelungen sein mag, mehr als ein halbes Jahrhundert lang durch unsäglichen Schmutz zu waten, unfaßbarem Leid, grauenvollem Unrecht, nicht nachvollziehbarer Borniertheit und atemberaubender Verlogenheit Monat um Monat, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt konfrontiert zu sein, immer und immer wieder, und dennoch nicht aufzugeben, keinen Vorwand zu suchen, sich einer weiteren Auseinandersetzung mit dieser nun dokumentierten Geschichte nicht zuletzt geistigen Elends, das auch - ich betone: auch! - diese Religion nicht nur über die Menschheit gebracht, sondern aus eigensüchtigsten Motiven zumal führender Funktionäre in ihr zu fixieren suchte und sucht, zu entziehen. Genau hier retteten wohl "die Wälder". Nicht nur der Steigerwald oder andere Wälder primär Frankens; doch diese an erster Stelle. Dank sei ihnen und ihrem wunderbaren Schweigen! Dann: "Und sind des Einsamen Gefährten."

Einsamkeit ist unabdingbare Voraussetzung großer Werke. Viele sind daran zerbrochen. Große Werke werden zumindest ihren Autoren nicht geschenkt. Nicht nur diese sollten das wissen. Und das ebenso zu akzeptieren vermögen wie diejenigen, die im Schatten eines derartigen Autors und Werks leben und sich ebenso wie dieser vielfach - "immer wieder"? - entscheiden müssen, ob sie häufige Torturen und eher seltene Freuden zu ertragen, zu leben vermögen. Hochrangige Kulturleistungen sind Lebensaufgaben, genauer: Lebensaufgabe ebenso wie Lebensaufgabe?

IV.

Schließlich zu dem entscheidenden 5. Vers Georg Trakls. Sie erinnern sich: "Da sagt der Landmann: es ist gut."

Doch nicht alle sind mit dieser Wertung einverstanden. Wie auch, denn wären es die in unserem Noch-Semikirchenstaat aus Steuermitteln bestallten Apologeten zumal "des Christentum" und zunehmend noch anderer sog. 'Hochreligionen', so wären wohl allzuviele der berühmten Fettnäpfchen umgangen. Genau das kann dem Autor wohl niemand vorwerfen.

Es gibt, erst das ist ärgerlich, Kritik auch aus anderer Richtung. Keineswegs auf Fehler hinweisende, denn das ist hilfreich und erwünscht, da kein Einzelner, nur von Autorenhonoraren und privaten Hilfen lebend, der 'Dinge' aufzuarbeiten sucht, deren Konfrontation sich Generationen wohlbestallter Wissenschaftler entzogen haben sowie, mittels Petitessenjagd, noch gegenwärtig großenteils zu entziehen scheinen, fehlerlos zu arbeiten vermag.

Doch es geht um Prinzipielleres wie die These, der Ansatz der Kriminalgeschichte sei verfehlt. Kriminalität sei jeweils zeitbezogen: mal würde das als kriminell bewertet, und einige hundert Jahre später oder anderswo anderes. Da Deschner jedoch über Christentum schreibe und Christentum auch lt. Deschner anderthalb Jahrtausende in denjenigen Regionen, über die er schreibe, dominiere, sei Christentum und all' das, was christlicherseits legitimiert sei - schlicht gesprochen: auch jede nur denkbare religiös legitimierte Barbarei - bereits Normalzustand, weshalb von "Kriminalität des Christentums" zu sprechen abwegig sei; streng besehen ein vernichtendes Urteil über das Christentum. Dennoch: da hätten wir nun einen Sisyphos Karlheinz Deschner, der seit einem halben Jahrhundert seinen Felsbrocken, von dem er unbelehrbar nicht lassen will, masochistisch und camusverführt auch noch in die falsche Richtung wälzt? Und alle Mühe nur deshalb, weil er unfähig war, konsequent nachzudenken, bevor er produziert? So mag ein Kritiker zufrieden seinen Schlußstrich ziehen und sich vielleicht vergnügt die Hände reiben. Seinen Namen spare ich aus. Er weiß wohl längst, welch' wohlklingende relativistische Luftnummer er produziert hat. Um abzukürzen: es gibt nämlich ethische Standards, und diese bedurften und bedürfen schon deshalb keines Christentums, auch keines Jesus - si esset -, was immer er gesagt haben mag, weil sie längst vor unserer kuriosen Zeitrechnung in antiker Philosophie entwickelt wurden, spätestens seit Sokrates. Im Verhältnis dazu sind selbst ethisch hochrangigste Christen Epigonen. So einfach ist das. Man muß es nur wissen, darf sich von Profiteuren jeweiligen Status quo nicht sein Gehirn verkleben lassen. Das ist zwar nicht ganz einfach, aber durchaus möglich. Karlheinz Deschner, dessen opus magnum wir heute mit ihm feiern, beweist das seit Jahrzehnten.

Letztmals zu Georg Trakls Vers 5: "Da sagt der Landmann: es ist gut."

"Wie gut?", bleibt die Frage. Sie erzwingt einen Blick in die Geschichte europäischer Aufklärung, beginnend mit ionischen Philosophen der Ägäis des 6. und 5. Jh.s v.u.k.Z. Wenn es eine spezifisch europäische Identität gibt - und es gibt sie; wir dürfen uns dies nur nicht ausreden lassen! -, ist es diejenige von Aufklärung und humanistisch orientierter Kritik. Diese anfangs religionskritisch gewendeten Gedanken - Philosophie konkurrierte im 6. und 5. Jh. primär mit Mythos und Mysterienreligionen - wurden bis zum 4. Jh. entwickelt, später freilich zunehmend 'systematisch überhöht' und religiöser Re-Infektion ausgesetzt; einer Re-Infektion, die in der Spätantike gesiegt zu haben scheint; Anderslautendes wurde nicht mehr tradiert oder von Rechtgläubigen (welchen Glaubens auch immer) vernichtet. Diese späthellenistische Konstellation zunehmender fundamentalistischer Tendenzen nutzten und verstärkten auch diverse 'Christentümer', deren theoretisch vielleicht abwegigste - die eines trinitarischen Monotheismus -, aus m.E. begreiflichsten Gründen gewaltsam als Staatsreligion durchgesetzt wurde (durch Theodosius Ende des 4. Jh.s). Nur in Subkulturen gab es wohl noch unterschiedlichen Orts, später teilweise angeregt durch in Byzanz oder bei Arabern tradierte antike Texte, Auffassungen, die wir heute als präaufklärerisch bezeichnen würden.

Dabei ist deutlich: direkte Auseinandersetzungen mit Christentum und zumal mit kriminellen, religiös jedoch sanktionierten Verhaltensweisen blieb tabuiert und, unter dem Namen des Autors veröffentlicht, 'unmöglich'. Höchstens hochtheoretisch und -abstrakt sowie in entscheidenden Punkten vage oder vieldeutig war bis in die jüngere Vergangenheit Auseinandersetzung mit basalen Prämissen insbes. 'des Christentums' möglich. Noch das System der Natur des Barons D'Holbach, eine materialistisch fundierte, über mehr als 2/3 des Bandes jedoch mit den religiösen und moralischen Prämissen des Christentums fulminant geführte Auseinandersetzung, 1770 pseudonym erschienen, wurde vor der Sorbonne in deren Auftrag feierlich verbrannt; und ein David Hume, der sich zur Naturgeschichte der Religion (1757) zu äußern wagte, bezog noch den Großteil seiner Belege - vorsichtshalber? - aus Texten antiker insbes. materialistischer Literatur und Philosophie.

 

Doch eines war bis in die jüngste Vergangenheit wenn nicht undenkbar, so doch unausführbar: eine breit angesetzte Kritik 'des Christentums' weder verschwurbelt noch nur an einigen Details, sondern, wie von einem sorgfältigen Akupunkturisten im Bereich sensibelster Nervenstränge präzise angesetzt, genau nach biblischer Vorgabe: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" Wohl erst das entscheidet und trifft, denn daß sich 'theologisch' alles einschließlich von dessen Gegenteil 'begründen' und sogar 'beweisen' läßt, hat sich inzwischen selbst in Niederungen des Geistes herumgesprochen. Eine präzise Analyse segensreicher Wirkungen christlicher Heilsbotschaften hingegen, ihrer höchst konkreten Auswirkungen auf Praxis, gültig für die überwiegende Mehrheit der Gläubigen nicht nur in einer bestimmten Zeit, nicht nur in einer eng begrenzten Region, sondern syn- und diachron breit angesetzt: das gab es nicht vor der Kriminalgeschichte des Christentums in ihren 10 Bänden auf nahezu 6.000 Druckseiten; sie war Desiderat und ist Unikat gleichermaßen. Damit erhält wenigstens dieses Werk seinen Ehrenplatz in der Rangliste aufklärerischer Werke der Neuzeit, nicht nur der Gegenwart.

V.

... und dennoch, ein zentraler Punkt wenigstens blieb offen. Dazu als Epilog wenige Bemerkungen.

Im Haupttitel war von Karlheinz Deschners christentumskritischem Gesamtwerk als fundamentalismuskritischem Memento die Rede. In der Laudatio hingegen fielen diese Stichworte bisher nicht. Breit angesetzte Christentumskritik, so sie etwas taugt, ist schon per se Fundamentalismuskritik, da sie, dank Generalisierbarkeit, einen Fächer fundamentalismuskritischer Argumente offeriert und schon insofern hochaktuell ist. Wer bspw. verfolgt, wie im 4. Jh. unserer Zeitrechnung die für logisch Orientierte philosophisch vielleicht sogar abwegigste Theologie der vielleicht größten Sekte einer aus dem vorderen Orient stammenden, missionierenden Unterschichtsreligion, die nach jahrhundertelangen, handgreiflichsten Streitigkeiten - noch "Konzilsväter" schlugen mit Knüppeln aufeinander ein - erst nach Abnicken kaiserlichen Befehls, 325, zu ihrer spezifischen trinitarischen Konzeption kam; eine Religion, die von den meisten Intellektuellen sträflicherweise kaum beachtet worden war, dennoch als Staatsreligion allgemeinverbindlich durchgesetzt werden und sogleich sog. Häretiker, Juden und wenig später auch 'Heiden' verfolgen und ermorden ließ, Tempel zerstören oder umwidmen, Bücher verbrennen, Kultureinrichtungen incl. öffentlicher Bibliotheken vernichten sowie selbst noch Bäder schließen lassen konnte, sollte sich nicht verheimlichen, was uns auch in Mitteleuropa 'blühen' könnte, wenn wir großzügig Religiöse fördern, sie nicht strikt auf Respektierung aller Grundrechte verpflichten und wenn wir darauf verzichten, entsprechende Verstöße kompromißlos negativ zu sanktionieren. Fundamentalistische Tendenzen begegnen uns nicht nur im Islam oder, brisant genug, in Israel, sondern nicht zuletzt auch im Christentum, dessen evangelikale Gruppierungen bspw. weltweit prosperieren; während aufgeklärtere Kirchen unter Mitglieder- und Ressourcenschwund leiden. Übrigens auch hierzulande. Soweit bspw. zum Einsichtsgewinn christentumshistorischer kritischer Studien.

Doch weiter. Wie steht es um 'Lehren', Dogmen? Treffen wir nicht weithin auf die groteske Kombination epigonalster Kleptomanie - wohin man nur schaut, "vom Weihnachtsfest zur Himmelfahrt: lauter Plagiate"; auch im Bereich der bildenden Kunst - mit starrster Dogmatik bei fixiertem Wahrheitsanspruch nebst flexibelster Interpretation, abgesichert von einer Phalanx religionsfunktionärsabhängiger 'Wissenschaftler', vielleicht nach der Devise: feste Dogmen als 'Halt' für die Braven, deren nahezu freie Interpretation jedoch für die Schlauen, die von den frommen Gaben der Braven in des Herren Frieden wohlalimentiert beruhigt schlafen?

Spaß beiseite; werfen wir noch einen Blick auf einige weitere Specifica. Jedwedem Herren wird gedient, Hauptsache, 'man' - sprich: die Hierarchie - ist profitabel dabei? Lehrbeispiele: christliche Großkirchen, Nationalsozialismus und einträgliche Konkordate; oder russisch¬orthodoxe Kirche und großer vaterländischer Krieg unter Stalin? Alles in Details nachlesbar in Karlheinz Deschners fulminantem opus Die Politik der Päpste, vom Umfang her als Bände 11 und 12 der Kriminalgeschichte zu werten, die damit auf deutlich über 7.000 Seiten käme.

Oder: wo finden wir nicht Imitation tradierter Schichtung auch im eigenen Heilsverband: die wenigen Profiteure oben, die vielen Schafe von Kollekte zu Kollekte weiterhin unten? Alles wie gehabt, 'weltliche' Repressionen stabilisierend? Oder: Pseudoargumentative Strategeme, all' die Finten und religiös legitimierten Ablenkungsmanöver? Schließlich eine Do-ut-des-Jenseitskreation als die wohl genialste, effektivste, kostengünstigste und spendenträchtigste Manipulation seit Menschengedenken? Oder werden nun im Jahre des Heils 2013 wenigstens Outfits zeitgeistnahe geliftet und selbst massivte Fundamentalismen freundlich umkleidet?

Man könnte aus der Geschichte schon deshalb viel lernen, weil mit erstaunlich wenig Geist maximale Erfolge erzielt wurden; und weiterhin werden. Derlei 'Mechanismen' in vielen Details tiefenscharf erkennen und emotional nachvollziehen zu können, wird in hervorragender Weise gefördert zumal durch Lektüre von Karlheinz Deschners großer Kriminalgeschichte des Christentums, deren Vollendung wir heute mit Dank an ihren Autor, an Sie, lieber Herr Deschner, festlich begehen.

 

*) Anmerkung: Diese "kleine Laudatio" ist eine auf knapp 2/3 des ursprünglichen angesetzten Zeitrahmens heruntergeschliffene Kurzfassung u.a. ohne Belege, die zahlreichen Anmerkungen usw. Die ursprüngliche Fassung dürfte im Sommer 2013 im zweiten 'bunten' Band von Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie, 20. Jg., der Aufklärerpostille der Gesellschaft für kritische Philosophie (www.gkpn.de), deren Mitherausgeber Karlheinz Deschner ist, und ggf. in einer gbs-Broschüre veröffentlicht werden.

Ein Beitrag von MDR-TV: