Am heutigen Dienstag, den 29. Mai 2018, stellen in Karlsruhe acht deutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen den neuen Grundrechte-Report 2018 der Öffentlichkeit vor – wie seit 1997 jährlich um den Verfassungstag herum. In 45 Beiträgen werden Grundrechtsverletzungen und -gefährdungen des vergangenen Jahres geschildert – sowie einige wenige Verbesserungen.
Während die Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern lediglich die angeblichen Gefährdungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch Organisationen und Parteien, Gruppen und Grüppchen schildern, die zu keinem Zeitpunkt je die Bundesrepublik ernsthaft haben in Gefahr bringen können, versteht sich der Grundrechte-Report als der wahre Verfassungsschutzbericht, der deutlich macht, dass die hauptsächlichen Gefährdungen für den Rechtsstaat und die Grundrechte vom Staat und seinen Institutionen ausgehen.
Der Öffentlichkeit vorgestellt wird der Grundrechte-Report von dem langjährigen Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck. Er erinnert anlässlich der Präsentation an die doppelte Funktion der Freiheitsbestimmungen der Verfassung: "Die Freiheiten des Grundgesetzes sind Garantie und Verheißung zugleich. Eine wache Zivilgesellschaft muss stets darüber wachen und immer neu dafür kämpfen, dass die Grundrechte, in denen sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde konkretisiert, gewahrt bleiben."
Ein Schwerpunkt des diesjährigen Berichtes sind die Einschränkungen von Freiheitsrechten und die überbordende Überwachung. Die Pariser Rechtsanwältin Dorothee Wildt kritisiert, dass trotz eines eindeutigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung der nationale Gesetzgeber das deutsche Gesetz nicht aufhebt, sondern daran festhält. Fredrik Roggan, Professor an der Hochschule der Polizei von Brandenburg, weist auf die Verfassungswidrigkeit der Quellen-TKÜ ("Staatstrojaner") und der Online-Durchsuchung hin. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar berichtet über den unkontrollierten Zugriff u. a. der Nachrichtendienste auf die biometrischen Verbunddateien anderer Behörden. Mehrere Autoren befassen sich mit den Eingriffen gegen den schwammigen Begriff des "Gefährders". Benjamin Gremmelspacher schildert die rechtswidrige Überwachung des Freiburger Anwalts Moos durch den Verfassungsschutz. Heiner Busch stellt fest, dass im Jahr 2017 die Statistik der polizeilichen Todesschüsse eine Höchstzahl seit 1999 ausweist.
Aber auch zahlreiche Themen außerhalb des Sicherheits- und Überwachungsbereichs werden behandelt. Sophie Rotino berichtet über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die Ehe für alle verfassungsrechtlich geboten ist. Alexander Graser schildert die Grundrechtsverletzungen durch den Pflegenotstand und mahnt die staatliche Schutzpflicht gegenüber Menschen in stationärer Pflege an. Die Sozialrichterin Julia Heesen schildert, wie Hartz-IV-Empfänger wegen unsinniger Regelungen ihre Wohnung verlassen müssen. Till Müller-Heidelberg freut sich über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, die die vorgesehenen Schiedsgerichte für ausländische Investoren im CETA- und TTIP-Abkommen für möglicherweise demokratiegefährdend erklären, und Jacqueline Neumann fordert anlässlich eines Münsteraner Urteils die überfällige Abschaffung des Gotteslästerungsparagrafen im Strafgesetzbuch.
Natürlich wird auch die Verurteilung der Medizinerin Kristina Hänel durch Maria Wersig behandelt und die Abschaffung oder Reform des § 219a StGB gefordert, der es Ärzten verbietet, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, ob sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Kristina Hänel wird bei der Präsentation stellvertretend für viele Fälle bei der Vorstellung des Grundrechte-Reports anwesend sein. Anlässlich der Vorstellung wiederholt sie ihr Anliegen, für das sie verurteilt wurde: "Ich möchte das Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch durchsetzen. Informationsrecht ist ein Menschenrecht. Gleichzeitig setze ich mich dafür ein, dass nie mehr eine Frau gezwungen wird, auf der Suche nach Informationen auf die widerlichen Seiten der Abtreibungsgegner gehen zu müssen."
Schließlich befasst sich der Grundrechte-Report auch mit dem das Jahr 2017 beherrschenden Diesel-Skandal: Remo Klinger sieht angesichts der Untätigkeit der Bundesregierung eine "ungeschriebene Bereichsausnahme für die Automobilität" und fordert die Schutzpflicht des Staates nach Art. 20 a Grundgesetz zum Schutz der Umwelt ein.
Grundrechte-Report 2018 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Herausgeber: Till Müller-Heidelberg, Marei Pelzer, Martin Heiming, Cara Röhner, Rolf Gössner, Matthias Fahrner, Helmut Pollähne und Maria Seitz. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M., Juni 2018, ISBN 978-3-596-70189-6, 240 Seiten, 10,99 Euro.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
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Tobias am Permanenter Link
Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Volker Beck sich sehr für die Legalität der Knabenbeschneidung engagiert. Mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit hat er es also selber nicht so.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Danke auch der HU und allen, die ob Christen oder A-theisten sich um Demokratie und Menschenrechte bemühen!
Es gibt nur einen gerechten Ausweg: Atheisten und Christen vor dem Gesetz gleichzustellen. Ihnen gleiche Rechte geben, sie gleich zu achten. Bitte arbeitet da weiter: die Kirchen haben in Sachen Konfessionsfreie den Staat zu ihrem Büttel gemacht. Darüber muss aufgeklärt werden. Unser Staat ist auch ein Rechtsstaat und muss für die Rechte der Atheisten eintreten. Solange er das nicht tut, ist er ein "Gefährder" und die Demokratie geschwächt und in Gefahr! Karin Resnikschek, Tübingen
Ottokar am Permanenter Link
wenn man die Geschichte als dialektischen Prozess betrachtet dann kann man durchaus sagen, dass sich die Aufklärung aus dem Christentum heraus entwickelt hat.