Kortizes: Humanistischer Salon Nürnberg

Zähmung der Wirtschaft oder Verteidigung ihrer Freiheit?

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Das Podium: Prof. Dr. Hartmut Kliemt, Helmut Fink (Moderation), PD Dr. Ulrich Thielemann
Das Podium: Prof. Dr. Hartmut Kliemt, Helmut Fink (Moderation), PD Dr. Ulrich Thielemann

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Das Podium: Prof. Dr. Hartmut Kliemt, Helmut Fink (Moderation), PD Dr. Ulrich Thielemann
Das Podium: Prof. Dr. Hartmut Kliemt, Helmut Fink (Moderation), PD Dr. Ulrich Thielemann

Ein leidenschaftliches Streitgespräch über ethische Fragen der Marktwirtschaft führten Mitte November die Ökonomen Hartmut Kliemt und Ulrich Thielemann im Humanistischen Salon Nürnberg. Gerungen wurde dabei vor allem darum, ob Selbstbestimmung oder Gerechtigkeit das Leitziel von Wirtschaftspolitik sein sollte.

Unter dem Titel "Wirtschaft ohne Ethik? – Ökonomische Verantwortung zwischen Markt und Moral" trafen beim Humanistischen Salon Nürnberg von Kortizes am 11. November zwei Referenten aufeinander, die aus intensiver philosophischer Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft zu gegensätzlichen Ansichten über das richtige Maß an Regulation gekommen sind.

Während Prof. Dr. Hartmut Kliemt, emeritierter Professor für Philosophie und Ökonomik in Frankfurt am Main, für möglichst klein gehaltene staatliche Eingriffe in die Wirtschaft warb, um möglichst viel Vertragsfreiheit zu erhalten, plädierte sein Debattenkontrahent PD Dr. Ulrich Thielemann, der die Berliner Denkfabrik "MeM für menschliche Marktwirtschaft" leitet, für eine verstärkte, regulierende Umgestaltung der Wirtschaft dort, wo sie Ungerechtigkeit hervorbringt.

Nachdem Claus Geberts Klavierimprovisationen verklungen waren, lieferten sich die beiden zu diesem Thema einen intellektuellen Schlagabtausch, der den gut 60 Gästen, die an diesem Sonntagvormittag ins Café PARKS in Nürnberg gekommen waren, einiges abverlangte. Wie so oft, wenn Akademiker erregt debattieren, flogen auch hier die Fachbegriffe und Theorieverweise umso freier, je größer die Empörung über die Sichtweise der Gegenseite war.

Wie die unterschiedlichen Denkschulen, denen sich die beiden zugehörig fühlen, zu unterschiedlichen Politikempfehlungen führen können, zeigte sich besonders gut an einem Punkt, bei dem sie zuerst einer Meinung zu sein schienen.

So begrüßten beide, dass eine Person, die ihre Arbeit verliert, nicht in den finanziellen Abgrund fällt, sondern Ersatzleistungen vom Staat erhält. Sie waren sich auch einig, dass dieses Instrument – neben den Vorteilen für die Betroffenen – auch einen erwünschten Lenkungseffekt auf die Unternehmen hat. Denn jemand, für den es außerhalb der Arbeit ein Sicherheitsnetz gibt, lässt sich in seiner Firma nicht alles gefallen.

Foto: © Karin Becker
Foto: © Karin Becker

Doch welchen Stellenwert diese Ersatzleistungen haben, ist bei beiden sehr unterschiedlich. Kliemt wünscht sich, dass alle staatlichen Maßnahmen so sind wie diese, denn sie schützt die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmer, ohne dass dafür jedoch regulierend in Firmen eingegriffen werden müsste.

Für Thielemann dagegen ist es ein kleineres, weniger wichtiges Instrument der Gestaltung. Statt Umverteilung wünscht er sich eine gerechtere Primärverteilung. Dazu soll Politik seiner Meinung nach helfen, die ungleiche Machtverteilung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite aktiv auszugleichen.

Kliemt empfand solche Positionen Thielemanns als Provokation. Denn im Namen der Gerechtigkeit politisch in Firmen einzugreifen bedeutet für ihn Freiheitsrechte zu beschneiden. Und das gilt es aus seiner Sicht möglichst zu vermeiden. Die persönliche Selbstbestimmung, wie sie die Vertragsfreiheit biete, sei nicht ersetzbar durch die Mitbestimmung in einer Interessensvertretung, findet er.

Wenn einem die Rechte von Individuen wichtig seien, sollten diese real vorhanden sein. Nur das garantiere Respekt vor individueller Freiheit und den Entscheidungsspielräumen Einzelner. Genau darauf zu setzen habe zudem vielfältige, positive Folgen für die Gesellschaft gehabt. Vieles spreche dafür, dass die weltweite Erhöhung der Lebensqualität, die sich an Indikatoren wie dem Rückgang der Kindersterblichkeit zeige, nicht nur mit der Gewährung dieser Freiheiten korreliert sei, sondern auch durch sie verursacht werde.

Diese positive Darstellung wirtschaftlicher Freiheit durch Kliemt stellte wiederum für Thielemann eine Provokation dar. Denn aus seiner Sicht entspricht ein Plädoyer für größtmögliche Freiheit einem Plädoyer für das "Recht des Stärkeren". Für ihn ist klar: "Vertragsfreiheit nutzt den Marktmächtigen am meisten, also denen mit höherer Kaufkraft oder Wettbewerbsfähigkeit."

Es sei kein Zufall, dass während der Wirtschaftswunder-Jahre der Wohlstand breiter verteilt gewesen sei, erläuterte er. Damals sei die Marktwirtschaft noch erheblich regulierter gewesen. Und zwar nicht nur durch Gewerkschaften, sondern auch durch Konservative. In dieser Zeit hätte etwa der Erhalt von Arbeitsplätzen für Unternehmer auch aus persönlicher Überzeugung meist eine höhere Priorität gehabt.

Wäre mit Thielemanns Forderung nach einer "Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft" vor allem eine Rückbesinnung auf diese kulturellen Werte gemeint, hätte Kliemt vielleicht noch nicht einmal etwas dagegen. Denn eine Pflicht zur Gewinnmaximierung sieht er höchstens bei Kapitalgesellschaften. Private Unternehmer dagegen hätten die Freiheit, neben ihren Gewinnerzielungsabsichten auch andere Ziele zu verfolgen, erklärte er. So könnten sie etwa für die Sicherung von Arbeitsplätzen oder für den Umweltschutz auch auf Gewinn verzichten.

Kliemt war es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass eine Orientierung an ethischen Richtlinien für jeden etwas anderes bedeutet. Wir alle hielten unterschiedliche Ziele für ethisch besonders dringlich. Schon allein dies spreche dagegen, diese Ziele in staatliche Vorschriften zu gießen.

Es wäre leicht möglich, beide aufgrund ihrer Positionen als Vertreter verfeindeter Lager darzustellen, denn emotional klang dies durchaus an. Kliemt schien Thielemann schon zu denjenigen zu zählen, die den erreichten Fortschritt gefährden, weil sie die rechtlichen Institutionen in Frage stellen, auf denen er beruht. Und für Thielemann gehört Kliemt sicherlich ins Lager der Marktliberalen, die für ihn die Verantwortung tragen für die zunehmende, bedrückende Ungleichheit in der Welt.

Vergleicht man die beiden mit Vertretern tatsächlicher Extrempositionen, zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild. So ist Thielemanns Haltung nicht mit einer von jenen zu vergleichen, die schon die Profitorientierung an sich verteufeln. Zwar ist er für eine stärkere Regulierung der Marktwirtschaft, jedoch keineswegs für ihre Abschaffung. Ihm geht es "nur" um eine Mäßigung des Erfolgsstrebens und darum, dass die Vertragsfreiheit nicht absolut gelten soll, sondern gegen andere Güter abgewogen wird.

Ja, trotz des Eindrucks unüberbrückbarer Gegensätze, die beim Aufeinanderprallen von Kliemts und Thielemanns Ansichten entstand, wäre in einer anderen Konstellation vielleicht sogar eine Verbündung der beiden möglich gewesen. Hätte beispielsweise noch jemand mit ihnen auf dem Podium gesessen, der sich für einen Minimalstaat eingesetzt hätte, wäre dieser Person der Widerspruch nicht nur von Thielemann, sondern auch von Kliemt gewiss gewesen. Denn von libertären Positionen grenzten sich beide ab.

So ist Kliemts Ideal zwar eine möglichst freie Wirtschaft. Zu dieser soll sich nach seiner Vorstellung aber ein sorgender Sozialstaat dazugesellen, der die Verlierer des Wettbewerbs auffängt und der dafür sorgt, dass auch sie von dieser Rechts- und Wirtschaftsordnung profitieren. Selbst für ein bedingungsloses Grundeinkommen äußerte er Sympathie – allerdings mit dem relativierenden Zusatz "wenn es denn finanzierbar wäre".

Wer die ebenso anspruchsvolle wie gedankenanregende Diskussion selbst nachhören und -sehen will, hat dazu voraussichtlich bald Gelegenheit. Wie andere Vorträge, Lesungen und Debatten wird der Mitschnitt in den nächsten Wochen auf dem Youtube-Kanal des Humanistischen Salons veröffentlicht. In den letzten Tagen neu erschienen ist das Video der vorherigen Veranstaltung, der Lesung von Jürgen Neffe Ende Oktober, bei der er sein aktuelles Buch "Marx – der Unvollendete" vorstellte. (Siehe dazu den Artikel beim hpd.)

Am Sonntag, den 9. Dezember 2018, lädt Kortizes zum nächsten Humanistischen Salon Nürnberg. In seinem Vortrag "Erbgut nach Maß?" erklärt dann der Pflanzenmolekularbiologe Dr. Franz Klebl, was die Genschere CRISPR/Cas kann und wie sie funktioniert. Das Thema hat durch die jüngste Meldung, in China seien gentechnisch manipulierte Menschen geboren worden, besondere Aktualität gewonnen.