Ist der Islam homophob?

KÖLN. (hpd) Bundesweit weit verbreitet ist der Eindruck, dass bei den Muslimen in Deutschland eine bisweilen mehr als latente Homophobie religiöses Programm und gelebte Realität ist. Mit dieser Problematik hat sich am vergangenen Freitag eine vom Liberal-Islamischen Bund (LIB) organisierte Diskussionsrunde beschäftigt.

Auf der mit mehr als 100 Teilnehmern völlig überfüllten Veranstaltung im Kölner Beratungszentrum für Schwule und Lesben RUBICON wurde das Thema "Homosexualität und Gendervarianz im Islam" erörtert.

Tenor der Äußerungen der PodiumsteilnehmerInnen: Homosexualität ist in der islamischen Tradition enthalten und wird nicht generell als verwerflich angesehen. Aktuell steht eine Neubewertung aus religiöser Sicht  "aufgrund einer historisch-kontextualisierenden Betrachtung der entsprechenden Koranstellen" im Vordergrund, um etwas gegen die vielfältigen Diskriminierungen von Homosexuellen und Transgender im Alltag vorzunehmen.

Die in Deutschland festzustellenden, oft vehement vorgetragenen Vorurteile muslimischer Kreise gegenüber Schwulen und Lesben sind - wie vielfältige Beobachtungen im Alltag zeigen - maßgeblich aus orthodoxen und fundamentalistischen Islamdeutungen entstanden. Mangelnde Kenntnis der eigenen Religion und deren Grundlagen scheint eine wesentliche Ursache für (bis zur Gewaltbereitschaft gesteigerten) Feindschaft gegen "Andersartiges" zu sein.

Hochkarätig und sachverständig besetztes Podium

Mit den bekannten islamischen TheologInnen und IslamwissenschaftlerInnen Rabeya Müller (Stellvertretende Vorsitzende des LIB), Andreas Ismail Mohr, Leyla Jagiella sowie dem Politik- und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani war das Podium hochkarätig und sachkundig besetzt; die Moderation hatte der Islamwissenschaftler Stefan Weidner übernommen.

Tolerante Traditionslinien im Islam

Es habe in der islamischen Kultur eine lange Tradition homosexueller Beziehungen gegeben, was viele Muslimen überhaupt nicht bekannt sei, hieß es etwa seitens des Koranexperten Mohr. Die Koranstelle, die von den Orthodoxen und Fundamentalisten zur Begründung des Verbots von Homosexualität herangezogen werde, sei nur vage formuliert. Mohr orientierte sich an einer genauen Lektüre des Koran. Er machte deutlich, dass in der historischen Dichtung in Arabien, Persien und der Türkei (positive) Anspielungen auf eine Liebe zwischen Männern gang und gäbe seien. Moderne islamische Bewegungen beziehen hingegen Position gegen Homosexuelle. In diesem Zusammenhang war für das Publikum äußerst interessant, dass die alten toleranten islamischen Traditionen auch aufgrund der sexuellen und moralischen Vorstellungen, die die (christlichen) Kolonialmächte insbesondere nach Südostasien mitbrachten, einen Niedergang erlebten.

Prof. Aladin und Frau Müller untermauerten diese Ausführungen aus sozialwissenschaftlicher und theologischer Sicht.

Akzeptanz von Transsexuellen im Islam ?

Auf die Situation von Transsexuellen im Islam machte die Bayreuther Religionswissenschaftlerin Leyla Jagiella, selbst eine Transsexuelle, aufmerksam. Sie wies darauf hin, dass beispielsweise in süd- und südostasiatischen Ländern Transsexualität einen festen Platz im Leben der muslimischen Communities habe; viele Muslime würden Menschen, die nicht in das gängige Bild von Mann und Frau passten, und Transsexualität als "von Gott gewollt" akzeptieren.

Frau Jagiella berichtete - das Publikum tief berührend - aus ihren eigenen Erfahrungen, dass sie persönlich in manchen islamischen Ländern mit ihrer Transsexualität leichter und unproblematischer habe umgehen können als in Deutschland.

Aktuelles Positionspapier: Individualität von Menschen respektieren

Der Liberal-Islamische Bund hat auf seiner Website darauf hingewiesen, dass es einen "erhöhten Diskussionsbedarf bezüglich der Diskrepanz zwischen klassisch-theologischer Bewertung und gelebter Realität, gerade unter homosexuellen und transsexuellen Muslimen und Musliminnen" in Deutschland gebe. Anfang der vergangenen Woche hat der Bund ein Positionspapier veröffentlicht, in dem er deutlich macht, dass es notwendig sei, "auch im Hinblick auf Themen von Sexualität und menschlich gelebter Beziehung die Quellen und die Prinzipien des Islams immer wieder neu zu beleuchten und zu beleben."

Es heißt weiterhin im Positionspapier: "Eine homosexuelle Orientierung ist nach unserer Auffassung weder sündhaft noch krankhaft, sondern ein Teil der Vielfalt der Schöpfung, mit der Gott uns Menschen zum gegenseitigen Kennenlernen auffordert" und "...es ist die Beziehung zu Gott, die den Kern unseres Islams ausmacht und diese Beziehung kann nur dann Ausdruck finden, wenn die Individualität von Menschen voll und ganz respektiert wird".

Äußerungen, die von Seiten der konservativ-orthodoxen Islamverbände in Deutschland nicht zu hören sind. Diese Verbände sind gerade dabei, sich das Bestimmungsrecht über die Inhalte des islamischen Religionsunterrichts (im Zusammenwirken mit den Regierungen mehrerer Bundesländer) sowie die Alleinbestimmung über die Ausbildung und den Einsatz islamischer Religionslehrer*innen zu sichern.

Konservative und Salafisten: Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen

Es wundert nicht, dass diese Kräfte diejenigen Muslime, die sich an der Individualität und damit der Würde eines jeden Menschen orientieren, beschimpfen und beleidigen. Und weiter: Mitten in Deutschland, im 21. Jahrhundert, werden "liberale Muslime" aus der orthodox-konservativen Community heraus und von Salafisten bedroht.

Ausdruck dieser Bedrohungs-Situation war am letzten Freitag in Köln auch, dass die Veranstaltung nur mit Voranmeldung und unter Sicherheitsvorkehrungen stattfinden konnte.

Von derartigen Bedrohungen wird sich der Liberal-Islamische Bund, wie aus seinen Vorstandskreisen zu vernehmen war, aber nicht beeindrucken lassen, sondern seine Arbeit unbeirrt fortsetzen.

Apropos Drohungen: im vergangenen Sommer war der LIB die einzige muslimische Vereinigung in Deutschland, die mit deutlichen Worten den Mordaufruf eines ägyptischen Muslim-Predigers gegen Hamed Abdel Samad zurückgewiesen und verurteilt hat. Diejenigen Verbände hingegen, die sich den Zugriff auf den Religionsunterricht sichern und den Kindern moralische Werte beibringen wollen, haben geschwiegen. Von manchem aus der konservativen muslimischen Community ist Abdel Samad zudem noch verleumdet worden.

Walter Otte