“Heute haben wir eine neue Bundesregierung”, wurde Rolf Bergmeier zum Ende seines Vortrages tagespolitisch, “in der alle Mitglieder sich in irgendeiner Form aktiv für die christlichen Kurskirchen ins Zeug legen, vorgeblich, weil letztere für die Gemeinschaft unentbehrlich seien; tatsächlich, weil den Politikern aber der Bildungshorizont fehlt, sich vorzustellen, dass Europa mit Sokrates und Cicero, David Hume und Kant, mit Philosophie und religiöser Toleranz, mit Freiheit und Demokratie, ohne Sachsenkriege, Kreuzzüge, Inquisition, Judenverfolgung, Hexenhammer, ohne Religionskriege und Holocaust, und ohne Indices verbotener Bücher heute wohl auf einer höheren Kulturebene leben würde. Stattdessen ziehen weitere Gesinnungsfakultäten in die deutschen Schulen und Hochschulen ein – die muslimischen. Und auch ihre Lehrstühle werden auf Staatskosten betrieben. Da ist es nur konsequent, dass der Zentralrat der Muslime auch noch einen religiösen Feiertag und eine eigene Militärseelsorge verlangt. […] Diese Mischung aus Missionierungswahn, einem Mangel an Kompetenz und Nachdenklichkeit, aus dienender Parteiloyalität und Pöstchenschieberei ist eine Kriegserklärung an eine rationale Politik, an den innenpolitischen Frieden und fördert die Erodierung des Vertrauens in die etablierten Parteien und damit in die Demokratie. Wir haben ein deutsches Problem. […] Deutschland, das Land der Dichter und Denker, das Land von Kant und Nietzsche, Goethe und Schiller, Lessing und Heine, Hegel und Fichte, was haben sie aus dir gemacht?”
Vielen der zahlreich erschienen Zuhörer in Oberwesel war die Quintessenz von Bergmeiers Vortrag nicht unvertraut, doch wurde in der folgenden Diskussion allgemein die gute Belegung und Vollständigkeit dieser Sicht gelobt. Der Autor hat mit seiner Trilogie einen wirklich wichtigen Meilenstein zur Widerlegung des Mythos “christliches Abendland” gesetzt.
Auch wenn der lebhafte Meinungsaustausch der Zuhörer bisweilen sehr von der auf das Mittelalter begrenzten Thematik in aktuelle politisch-soziologische Themen abglitt, kreiste sie jedoch beharrlich um den Punkt, was wir denn jetzt mit diesen Erkenntnissen anfangen sollten. “Scheiße muss nicht nur gemalt, sie muss auch weggeräumt werden”, wurde von einem Zuhörer zitiert.
Michael Schmidt-Salomon fand in dieser Debatte eine elegante Überleitung zu seinem Vortrag im nächsten Monat, bei dem er sein neuestes Buch “Hoffnung Mensch” vorstellen wird. Er zeigte auf, dass es in der Menschheitsgeschichte trotz aller Irrungen und Wirrungen einen Trend hin zu offeneren, gerechteren und stärker wissensbasierten Sozialsystemen gebe, der gerade in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt worden sei. Deshalb sei es zumindest in den weitgehend säkularisierten Gesellschaften Westeuropas höchst unwahrscheinlich, dass die von manchem Zuhörer befürchtete Kampfeslust der Religionen zum Erfolg führen werde.
Im Gegenteil, der Vorstandsprecher der gbs sah zwar auch die massiven Rückzugsgefechte der Kirchen, zeigte sich aber sicher, dass die Kirchen trotz ihrer Milliarden und der CDU im Gepäck z. B. beim Kampf gegen die Sterbehilfe oder um das kirchliche Arbeitsrecht verlieren würden, “weil sie die Bevölkerung nicht mehr hinter sich haben”. “Und das wird für alle weiteren Privilegien nach und nach passieren”, so Schmidt-Salomon optimistisch weiter, der dies – inklusive der Ablösung der umstrittenen Staatsleistungen - innerhalb der kommenden zehn Jahre sieht. Rolf Bergmeier stimmte dem zu und bezeichnete die noch erkennbare Realitätsverweigerung vieler Kirchenvertreter als “glaubensabsurd”.
Einer der Zuhörer, der Philosph Prof. Dr Hermann Josef Schmidt, der vor seinem Wechsel in das Kuratorium der GBS auch deren Beirat angehörte, brachte dazu einen sehr pointierten Redebeitrag: “Wir haben einen gesellschaftlichen Verschiebungsprozess. Wir haben über 80 Prozent Beinahe-Humanisten bereits in den christlichen Kirchen. Es verändert sich in der Einstellung so viel, dass im Grund immer dann, wenn sich Politik noch religiös äußert, sie sich eigentlich nur noch für Fundamentalisten äußert. […] Es besteht die Gefahr, dass diese ‘Pressure-Gruppen’ sich teilweise durchsetzen.” Der Zugang zu Medien, die nicht religiös gesteuert werden, sei ein probates Mittel dagegen, doch jeder sei aufgerufen, das seine dazu beizutragen, damit es gelinge die Gesellschaft auf den zu erwartenden Rückgang der Religion vorzubereiten. “Laden Sie Ihren Hirncomputer auf mit den besten Informationen und belästigen sie damit Ihre Umwelt,” so Schmidt in seinem vielbeklatschten Resümee.
Schließlich endete wieder einmal ein äußerst lohnender, teilweise unerwartet kämpferischer Nachmittag am Rhein, der durch Sektempfang, Kaffee und Kuchen der herzlichen Gastgeber Bibi Binot und Herbert Steffen versüßt wurde.
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