Notizen aus Wien

Der Biedermann als Brandstifter

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Auf einen Kaffee, Foto: © Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Mein Ausflug in die Untiefen des Geistes von Thilo Sarrazin hat nicht nur etliche erfreute Reaktionen gezeigt. Auch strenge Kritik war zu vernehmen. Diese sei ernst genommen und ist mir eine Erklärung wert.

 

Andreas Mölzer, EU-Parlamentarier der FPÖ und Herausgeber einer rechtsradikalen Postille, ist sozusagen die österreichische Schmalspurausgabe von Thilo Sarrazin und wie sein deutscher Zwilling im Geiste sieht er sich einiger Kritik ausgesetzt. In einer Podiumsdiskussion meinte er, das Dritte Reich sei im Vergleich zur EU liberal gewesen und die Frage aufgeworfen, ob die EU ein "Negerkonglomerat" sei.

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat das dokumentiert – sogar auf Band. Was Mölzer die szeneübliche Leugnung des Gesagten etwas schwer machte. Nicht, dass er’s nicht versucht hätte.

Der Tonbandmitschnitt des SZ Magazins scheint sein greises Gedächtnis wiederbelebt zu haben. Er räumte ein, die Erinnerung habe ihn getrogen. Und die Wortwahl sei nicht so schön gewesen. Wiewohl "Neger" eigentlich ein ganz normales Wort sei.

Warum Mölzer als intellektuelles Aushängeschild gilt

Was endlich die Frage beantwortet, warum zum Teufel ein Andreas Mölzer als intellektuelles Aushängeschild der österreichischen Rechten gelten kann. Er verfügt immerhin über genügend Bauernschläue, dass er weiß, ab wann Leugnen sinnlos geworden ist. Beim Rest der Bande ist das nicht so sicher.

Dass er imstande ist, vor der Kamera ohne gröbere grammatikalische Unfälle zu sprechen, trägt ihm in diesen Kreisen zusätzlich den Ruf einer Geistesgröße ein. Kann dort schließlich auch nicht jeder. Die Anforderungen für Top-Posten innerhalb der deutschsprachigen Rechten sind doch deutlich bescheidener als für eine Lehrstelle in einem Hausreinigungsunternehmen.

Literaten unter sich

Mölzer hat einiges mit Sarrazin gemeinsam. Nicht nur sind beide alte weiße Rassisten. Sie schreiben auch gerne Unterhaltungsliteratur mit mehr oder weniger fantasievollem Inhalt. Was für Sarrazin seine Statistiken über Populationsgenetik und den Kampf der Wiegen sind für Mölzer seine Vergewaltigungsfantasien, die irgendwie inspiriert von den Ostara-Heftchen zu sein scheinen.

Schwülstige Fantasien alter Männer eben. Nur, dass Sarrazin darauf besteht, dass sein literarisches Schaffen keine Belletristik sei, und Mölzer stolz ist auf die künstlerische Ebene seines Oeuvre. Sie mögen Zwillinge im Geiste sein. Eineiig sind sie dann doch nicht.

Beide fühlen sich als Mitglieder, ja Anführer, einer neuen geistigen Elite.

Was hat das mit meiner Sarrazin-Kritik zu tun?

Was hat das mit meinem deftigen Kommentar zu Sarrazin und der Kritik daran zu tun? Alles.

Die beiden Herrschaften sind Brandstifter. Sie geben den Pöbeleien und Ressentiments der zu Recht zu kurz gekommenen ein legitimes Gewand. Das ermutigt die Leute, die den Rassismusreport von ZARA jährlich mit neuem Material versorgen.

Was diese Leute anrichten

Das sorgt dafür, dass Bekannte von mir, gut ausgebildet, intelligent, fleißig allesamt, das Gefühl haben, sich für ihren so genannten Migrationshintergrund rechtfertigen zu müssen. Oder, wenn nicht, dass sie regelmäßig gefragt werden, warum sie denn kein Kopftuch tragen. Oder, dass sie erleben, dass ihre Namen zu türkisch oder südslawisch sind, um auch nur ein Vorstellungsgespräch für eine Position zu bekommen, die ihrer Qualifikation entspricht.

Ein Bekannter von mir, als Kind aus der Türkei zugewandert und lange erwachsener Österreicher, arbeitet seit Jahren als Portier. Sein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium nützt ihm bei der Jobsuche nichts. Mitunter sinniert er, ob es nicht besser wäre, in die Türkei auszuwandern.

Ich muss mich verteidigen, kein Rassist zu sein

Davon, dass ich mich nicht mehr nur auf Stammtischen nahezu dafür verteidigen muss, kein Rassist zu sein, will ich gar nicht reden. Auch nicht davon, dass ich dreimal von Rechtsradikalen tätlich angegriffen wurde. Einmal bin ich im Krankenhaus gelandet. Die Verantwortlichen sind bis heute nicht ausgeforscht.

Danke, Herr Mölzer. Danke, Herr Sarrazin.

Wenn man sich die Onlineforen ansieht, wird einem speiübel. Und nicht, dass Deutschland in der Hinsicht irgendwie besser ist als Österreich. Nicht der Inhalt unterscheidet sich. Nur die Wortwahl ist ein wenig subtiler. Alltagsdiskriminierung gibt es dort auch zuhauf. Und von rassistischen Übergriffen in der BRD braucht man gar nicht erst zu reden anfangen.

Sarrazin gibt den Rassisten die Möglichkeit, zu rationalisieren

Klar, keine dieser täglichen Diskriminierungen und Angriffe, verbal oder tätlich, wird von Thilo Sarrazin persönlich begangen oder auch nur von einer seiner Schmalspurausgaben. Nur, er gibt den Pöblern, Diskriminierern und Prüglern die Möglichkeit, ihren Rassismus zu rationalisieren. Das ist mindestens so verachtenswert wie das, was die offenen Rassisten täglich anrichten.

Meine Verachtung, die die Verachtung eines jeden aufrechten Demokraten sein sollte, wird nicht geringer, wenn ich die Motive der Brandstifter Mölzer und Sarrazin bedenkt. Beide leben hervorragend von den Bränden, die sie legen. Mölzer kassiert 8.000 Euro im Monat Abgeordnetengehalt aus Brüssel. Seine rechtsradikale Postille wird auch ein wenig abwerfen. Und Sarrazin ist zum Millionär geworden.

Die Grenzen der deutschen Sprache

Dass dieser Herr Sarrazin die Frechheit besitzt, sich über all dem als Opfer zu fühlen, "adds insult to injury", wie’s im Englischen so schön heißt. Immerhin hat er seine Kritiker, also auch mich, als Tugendterroristen, Mundtotmacher, Schönfärber, Fantasten und dergleichen mehr beschimpft. Was kann man mit solchen Menschen tun, als sie zu verachten.

Ja, die deutsche Sprache hat keine Begriffe und Redewendungen, um jeder Verachtung auch nur annähernd Ausdruck zu verleihen, die jeder aufrechter Demokrat gegen diese feigen Brandstifter empfinden muss.

Ich kann mir zumindest nicht vorwerfen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Ich schäme mich für kein einziges Wort, das ich geschrieben habe.

Oft widerlegt, die Mythen kursieren weiter

Die Kritik, man möge den Herrn Sarrazin doch bitte mit Argumenten widerlegen, ist ja gut gemeint. Nur, sind wir uns ehrlich: Der Zug ist abgefahren. Die Argumente der Herren Sarrazin und Mölzer, oder was auch immer sie und ihre Brüder im Ungeiste dafür halten mögen, sind hundertfach widerlegt. Jeder logische Fehler, jede absichtlich falsch zitierte Quelle, jede Manipulation ist nachgewiesen.

Was hat es genützt?

Die falschen Fakten sind längst zu Mythen geworden, die im Raum kursieren, von Forum zu Forum, Stammtisch zu Stammtisch, tradiert und bei Bedarf gesteigert werden, bis sie als unumstößliche Wahrheiten gelten.

Der menschenverachtende Mainstream-Diskurs

Der Migrationsdiskurs in Deutschland und Österreich ist und bleibt zumindest inhärent rassistisch. Er pflanzt sich auf einen Diskurs auf, der Menschen allein anhand ihrer unmittelbaren ökonomischen Verwertbarkeit in erwünschte und weniger erwünschte Exemplare der Spezies unterteilt.

Auf letztere prügelt der mediale Mainstream, prügelt die Politik, prügeln die wirtschaftlichen Eliten, prügelt die abstiegsangstzerfressene Mittelschicht, die sich freilich ideologisch nach oben orientiert, mit der Moralkeule ein, dass es jeder Beschreibung spottet, Stichwort "Unterschichtenfernsehen". Und treibt sie mit einer Politik, die sich als soziale Wohlfahrt tarnt, von einem menschenunwürdigen Minijob zum nächsten. In Deutschland wesentlich mehr als in Österreich. Wie war das noch mit der "marktkonformen Demokratie"?

Wie die Ursachen kaschiert werden

Das ist nicht mal mehr Zwangsproletarisierung. Das ist Pauperisierung. Und schuld sind in diesem Diskurs die Betroffenen. Nie, die Umstände, unter denen sie leben. Nicht die Verteilung von Vermögen und Bildungschancen. Nicht die Lohndumpingpolitik speziell der deutschen Politik in den vergangenen Jahren. Nicht die Fleiß- und Überstundenfixiertheit auch vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die verhindert, dass die vorhandene Arbeit besser verteilt wird.

Zusätzlich zerteilt man die mangels unmittelbarer ökonomischer Verwertbarkeit weniger erwünschten Menschen nach ethnischen Kriterien. Die Analyse ihrer Lebensumstände verläuft ausschließlich defizitorientiert – gepaart mit – siehe oben – platter Moralisiererei.

Ergebnis ist logisch unausweichlich

Wer die Welt so betrachtet – und die meisten Journalisten, Politiker und Wirtschaftstreibenden tun das – wird am Ende wieder nur die Schuldigen ganz unten finden. Integrationsunwillig nennt man neuerdings die Menschen mit Migrationshintergrund, die sich am unteren Ende der Hackordnung befinden.

Damit sei keineswegs bestritten, dass es nicht auch innerhalb der unteren sozialen Klassen selbstzerstörerische Mechanismen gibt. Die gab es immer schon. Es spricht auch nichts dagegen, die anzusprechen und etwas dagegen zu tun. Nur sind die Resultat eines sozialen Prozesses, nicht sein Ausgangspunkt. Ungeachtet der Tatsache, dass sich selbstzerstörerische Verhaltensauffälligkeiten in sozialen Gruppen irgendwann über die Generationen hinweg manifestieren.

Das wird im Mainstream offenbar nur allzu gerne vergessen. Programme gegen die soziale Misere müssen so gesehen wirkungslos bleiben. Häufig genug gewinnt man den Eindruck, sie sollen es auch. Es soll ja auch Menschen geben, die Interesse an möglichst billigen Arbeitskräften mit möglichst wenig Rechten haben. Warum kommt einem da bloß die deutsche Schlachtereiindustrie in den Sinn?

Diskurs züchtet die Rassisten von morgen

Dieser Diskurs züchtet die Rassisten von morgen. Ihn zu ändern bedarf weitaus mehr Kraft und Aufwand, als die wirren Thesen eines Thilo Sarrazin zu widerlegen. Dazu muss man eine Diskurshegemonie durch eine andere ersetzen. Das dauert. Zumal keine gesellschaftliche oder politische Gruppierung in Sicht ist, der die Kraft und die Systematik zuzutrauen ist, das zu schaffen.

Nur, selbst dieser inhärent rassistische Diskurs hat seine Grenzen. Offene Anfeindungen, offene Diffamierungen, biologistische Anwandlungen – das geht dann doch nicht. Wer diesen Diskurs nicht ändern kann, hat zumindest die Pflicht, diese zu verteidigen. Auch und vor allem gegen die Brandstifter, die davon leben, aus inhärentem offenen Rassismus zu machen. Aus der unterschwelligen Diffamierung sozial Benachteiligter offene Gewalt.

Ich habe es satt

Man kann geteilter Meinung sein, ob mein Versuch, das zu tun, der richtige war. Es gibt auch andere legitime Strategien. Ich respektiere diese und arbeite gerne mit Menschen zusammen, die sie anwenden und helfe nach Kräften.

Nur, ich habe es satt, mich öffentlich von Leuten anpöbeln lassen zu müssen, die Menschen Munition liefern, die mich verprügeln. Ich habe es satt, dass Freunde, Bekannte und Kollegen von mir nahezu genötigt werden, sich zu entschuldigen, dass sie oder ihre Eltern nicht in diesem Land geboren wurden. Ich habe es satt. Ich pöble zurück.

Wie gesagt, man mag geteilter Meinung sein, ob das die richtige Strategie ist. Ich halte sie für die einzig zielführende. Man muss lauter schreien als die Menschenverführer. Man muss ihnen in den Arm fallen, wenn sie wieder einen Brand legen wollen. Und man muss sie öffentlich so verächtlich machen, wie sie es verdienen. Die Zeit, die andere Wange hinzuhalten, ist endgültig vorbei. Außerdem bin ich kein Katholik. Ich muss nicht mal.

Christoph Baumgarten