Ein Plädoyer für selbstbewusste Debatten

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Ein Artikel bei Zeit Online beklagte eine diskursive Schwäche des Mitte-Links Lagers und die Reaktionen darauf geben Hinweise, woran diese Schwäche liegen könnte. Hat es sich der Linksliberalismus in Diskursausschlüssen bequem gemacht und verlernt, seine politischen Gegner argumentativ zu stellen?

Ich habe kürzlich hier im hpd auf einen Richtungsstreit in der Neuen Rechten hingewiesen und der Journalist Robert Pausch hat bei Zeit Online in einem Artikel mit Titel "Rechts dreht auf" auf eben jenes Gespräch zwischen Kubitschek und Krah verwiesen, um auf eine aus seiner Sicht problematische Entwicklung hinzuweisen, die in einer intellektuellen Schwäche der Mitte-Links-Parteien besteht.

Im Anriss heißt es dort "Fundis gegen Realos – momentan ist die AfD die einzige Partei, die strategisch diskutiert. Das kann ja wohl nicht wahr sein!" und er stellt die Frage: "Wo sind die Texte von linken, liberalen oder konservativen Intellektuellen, über die alle reden?" Auch wenn es in dem Text auch mal spöttisch wird, zum Beispiel heißt es dort in einer sarkastisch geratenen Passage über die innerparteiliche Debatte der Grünen: "Das alles ist so leicht verdaulich, dass man nach der Lektüre das Bedürfnis verspürt, sich von Joschka Fischer anschreien zu lassen oder in ein staubiges rororo-Buch zu weinen, wo Grünen-Politiker vor vielen Jahren ihre Visionen beschrieben", so ist dem Text eindeutig anzumerken, dass er keineswegs von Sympathie für die Rechtsaußen getrieben ist oder diesen Kreisen politische Erfolge wünscht.

Ganz im Gegenteil atmet der Text die Sorge um die Erfolge der AfD und möchte einen Denkanstoß setzen, wie diesen zu begegnen sei. Man sollte meinen, dass dieses Anliegen in links-liberalen Kreisen begeistert aufgegriffen wurde, schließlich ist man allenthalben über die Erfolge der AfD entsetzt.

Auf X wurden Text und Autor auf vorhersehbare Art und Weise angegangen und mit Unterstellungen attackiert. So hieß es dort etwa: "[Schon] wieder auf subtile Art mit dazu beigetragen, dass die Nazis ihren Fuß wieder ein Stückchen weiter in die Tür unserer FDGO bekommen." Oder dem Autor und der Zeit wurde unterstellt, man wolle eine "neue Leserschaft requirieren", was mit dem Kotz-Emoji verziert wurde. Auch war von "Überhöhungsscheiß" die Rede und dass der Zeit-Autor der "Faszination des Bösen" erliegen würde. Letzterer Vorwurf wurde von dem ehemaligen Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz, erhoben.

Auch die taz stieg in diese Kritik mit einem Meinungsartikel ein, in dem es heißt: "Was soll daran vorbildlich sein? Die Ressentiments gegen Migration und Multiethnizität, in denen sich Krah und Kubitschek einig sind, sicher nicht." – als hätte Robert Pausch Krah oder Kubitschek inhaltlich in irgendeiner Form zugestimmt, was aber nicht der Fall ist. Der Kern des Artikels war nicht die Stärke der politischen Rechten, sondern eine von Pausch wahrgenommene Schwäche von Mitte-Links. Egal, ob man diese Ansicht teilt oder nicht, man kann doch zumindest eingestehen, dass eine Sicht auf Politik als Nullsummenspiel im Wettbewerb um Wählerstimmen nicht völlig unplausibel ist. Dann aber würde die eine Seite (hier die politische Rechte) nur so stark werden können, wie es die andere Seite zulässt. Die angebliche Stärke der Rechten wäre dann eben in Wahrheit eher eine Schwäche von Mitte-Links. Oder um eine Fußballmetapher zu bemühen: es macht eben einen Unterschied, ob der FC Bayern München sich Real Madrid gegenübersieht oder dem SV Kleinkleckersheim.1

"Inhaltlich stellen": eigene Strategiediskussionen

Robert Pausch hat auf X Stellung bezogen und ist auf einige Punkte seiner Kritiker eingegangen. Interessant jedoch ist, dass viele der Punkte, wie die oben genannten, es überhaupt nicht wert sind darauf einzugehen, weil sie überhaupt keine inhaltliche Kritik darstellen, auf die man eingehen könnte. Was mich zu dem Punkt bringt, zu dem ich kommen wollte: Es gibt nicht wenige, die davon überzeugt sind, dass man die AfD nicht inhaltlich stellen könne. Das ist auch zu Teilen richtig, wenn man unter "inhaltlich stellen" versteht, dass jemand, der in einer Talkshow wissentlich eine Falschaussage an die andere reiht oder über Emotionalisierung versucht Menschen abzuholen, durch zivilisierten Diskurs an Ort und Stelle in der direkten Debatte vermutlich wirklich nicht zu stellen ist.

Es gibt aber auch ein anderes Verständnis von "inhaltlich stellen", nämlich eigene Strategiediskussionen führen, Alternativen ausloten und anbieten und somit die eigenen Positionen schärfen und stärken. Damit sollte man dann auch für mögliche Wähler wieder attraktiver werden. Diese Diskussionen sollten auch nicht immer nur mit Blick auf den rechten Rand geführt werden, sondern aus eigenem Profilierungs- und Erkenntnisinteresse, egal, ob dieses links, liberal oder konservativ begründet ist. In der Fußballmetapher gesprochen: das eigene Spiel verbessern, statt sich über die Erfolge der anderen aufzuregen.

Für diese Strategiediskussionen braucht es aber einen offenen Diskurs, der inhaltlich diskutieren will und nicht ständig auf die Metaebene ablenkt oder Inhalte unter Generalverdacht stellt, egal unter welchem Schlagwort. Wir leben schließlich schon länger in einer Welt der seltsamen Gleichzeitigkeit. Einerseits haben wir einen Diskurs in den Qualitätsmedien, in dem der Korridor der akzeptablen Meinungen sehr eng scheint, andererseits Alternativmedien wie den besagten YouTube-Kanal, in dem Krah und Kubitschek diskutierten, in denen kaum mehr Grenzen des Sagbaren existieren.

Dass diesem entgrenzten Diskurs am rechten Rand kaum argumentativ entgegengetreten wird, könnte auch daran liegen, dass Mitte-Links verlernt hat sich Rechtsaußen-Positionen argumentativ zu stellen, nachdem diese in der jüngeren Vergangenheit mit dem Verweis, dass man diese "nicht normalisieren" wolle aus dem Diskurs verbannt wurden. Diese Verbannung ist in Zeiten alternativer Medien auf YouTube, Twitch und anderen Kanälen aber nicht mehr möglich. Ein schönes Beispiel für die erwähnte Diskursverengung ist, wie versucht wird, selbst Pauschs Ruf nach Strategiedebatten zur Stärkung nicht-rechter Politik unter Verweis auf "die Rechten" zu unterbinden.

Schon John Stuart Mill argumentierte, dass man Argumente immer wieder hinterfragen müsse, damit die Argumentation nicht in Vergessenheit gerate und dass man auch aus der wiederholten Auseinandersetzung mit falschen Standpunkten noch eine Stärkung der Wahrheit durch die Kollision der Standpunkte ziehen könne. Dazu braucht es aber eine inhaltliche Auseinandersetzung. Ein Verweis auf die politische Verortung einer Person ist keine solche.

"Man beraubt vor allem die, die von der Meinung abweichen, mehr noch als die, die sie vertreten. Wenn die Meinung richtig ist, entzieht man ihnen die Möglichkeit, vom Irrtum zur Wahrheit zu gelangen; wenn sie falsch ist, nehmen sie, was fast ein ebenso großer Vorteil ist, die klarere Auffassung und lebhaftere Eindrücke der Wahrheit, die durch ihre Kollision mit dem Irrtum entsteht." (John Stuart Mill)

Und nein, dieser Text ist kein verklausuliertes Plädoyer dafür, dem rechten Rand nach dem Maul zu reden, wie sicher einige direkt geneigt sind zu unterstellen. Im Gegenteil ist es ein Aufruf, unverzagt für die eigene Sache zu streiten und nicht, wie ein Kaninchen vor der Schlange, alle Diskussionen stets mit Blick auf den rechten Rand zu führen. Demokraten aller Richtungen sollten in der Lage sein, mit geradem Rücken miteinander zu streiten, ohne Diffamierungen oder Feindmarkierungen.

In diesem Sinne möchte ich mich einem Aufruf nach einem neuen politischen Realismus anschließen, dessen Autoren schreiben: "Wir sehen klar die Schwäche der linken, liberalen und konservativen Politik und ihre Unfähigkeit, gegenüber den neuen mächtigen populistischen Erzählungen eine eigene Stimme zu finden. Diese Unfähigkeit hat auch damit zu tun, dass die Kategorien 'rechts' und 'links' sich als Beschreibungskategorien entwertet haben – sie wurden allzu ausgiebig in den letzten Jahren benutzt, um Feinde zu markieren oder aus dem Diskurs auszuschließen." Hoffen wir, dass sie diese Stimme wiederfinden.

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1 Man erspare mir die künstliche Aufregung. Hier soll niemand mit niemandem gleichgesetzt werden.