Das Phänomen ist bekannt: Gewisse Menschen und Institutionen haben Mühe mit dem Wandel der Zeit. Sie fühlen sich durch das Unbekannte und Fremde bedroht und verklären das Althergebrachte. Nicht jeder Wandel oder jede neue Entwicklung ist per se ein Segen für die Allgemeinheit. Doch es gibt viele Lebensbereiche und ethische Aspekte, die dringend Korrekturen benötigen. Ein solcher Aspekt ist die Überwindung von Diskriminierung, die Suche nach Gerechtigkeit, Respekt und Würde. Eigentlich alles Werte, die selbstverständlich sein sollten, es aber nur allzu oft nicht sind. Oder bei denen die Entwicklung in die falsche Richtung geht.
Opfer eines solchen Backlashs sind in jüngerer Zeit Homosexuelle und trans Menschen. Der Hass vieler Leute auf diese Minderheit nimmt aktuell zu, die bisherigen Errungenschaften schmelzen teilweise weg. Wer bei seiner sexuellen Neigung und Identität nicht zur heterosexuellen Mehrheit gehört, wird oft angefeindet und ausgegrenzt.
So haben tätliche Angriffe auf Homosexuelle und Vertreter der LGBTQ-Community in letzter Zeit zugenommen. Sie werden oft grundlos zum Feindbild hochstilisiert und müssen als Projektionsfläche herhalten, um die eigenen Frustrationen und Aggressionen abreagieren zu können. So werden wildfremde Menschen stigmatisiert und angefeindet. Manche sehen in Homosexuellen eine Gefahr für die Gesellschaft und ein Zeichen der Dekadenz. In Zeiten von Corona ist das Aggressionspotential speziell hoch.
Besonders irritierend und bedenklich ist, wenn Gläubige und religiöse Institutionen, die Gerechtigkeit, Respekt, Barmherzigkeit und Nächstenliebe predigen, die Ressentiments aktiv schüren und die Stigmatisierung fördern. An vorderster Front einmal mehr: die Freikirchen und die katholische Kirche.
Für viele Freikirchen ist Homosexualität unnatürlich. Sie werten sie als Ausdruck einer psychischen Störung, religiösen Fehlentwicklung und letztlich als Sünde. Homosexuelle, die ihre gleichgeschlechtlichen Begierden hemmungslos ausleben, müssen in den Augen frommer Christen mit der ewigen Verdammnis rechnen.
Schwule Gläubige sollen therapiert werden
Die Empfehlung vieler Freikirchen: Gott um Verzeihung bitten, Reue zeigen, Abbitte leisten. Und beten, beten, beten. Vor allem aber Hilfe holen bei den Geistlichen. Diese werfen sich gern ins Zeug und bieten Rezepte zur "Befreiung" an.
Das beste Mittel sehen Strenggläubige in der Konversionstherapie, bei der die homosexuellen Frommen erlöst und schließlich "umgepolt" werden sollen. Es gibt besondere freikirchliche Organisationen, die auf solche "Therapien" spezialisiert sind. International aktiv ist zum Beispiel "Wüstenstrom", die auch in der Schweiz tätig ist.
Da die Konversationstherapie in der breiten Bevölkerung und bei Fachleuten verpönt ist, benutzen die "Therapeuten" von Wüstenstrom den Begriff nicht mehr gern. Lieber sprechen sie unverfänglich von seelsorgerischer Beratung und von einer konfliktbehafteten Sexualität.
Ursache dieser verachtenden Haltung ist die Bibel, die Fromme wörtlich auslegen. Im Buch der Bücher wird an lediglich fünf Stellen die gleichgeschlechtliche Liebe im negativen Sinn erwähnt, grundsätzlich thematisiert wird sie aber nicht.
Aktuell lehnt sich auch der Vatikan wieder weit aus dem Fenster und spielt einmal mehr eine unheilige Rolle. Ausgerechnet die Glaubensgemeinschaft mit überdurchschnittlich vielen schwulen Geistlichen sorgt für Schlagzeilen der unrühmlichen Art.
Rechte Parteien wehren sich gegen Zugeständnisse
So hat der Vatikan in einer diplomatischen Verbalnote gegen ein geplantes Gesetz in Italien protestiert, das für besseren Schutz von Homosexuellen und trans Menschen sorgen soll. Damit mischt sich der Vatikan nicht nur in die inneritalienische Politik ein, sondern schlägt sich auf die Seite homophober Politiker. Denn es sind die rechten Parteien, die Homosexuelle mit restriktiven Gesetzen stigmatisieren und ausgrenzen wollen.
Auch in der Schweiz fallen diese durch eine umstrittene Politik auf. Die SVP zum Beispiel stemmt sich gegen die absolute Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Die Parteispitze wehrte sich auch gegen eine Ehe für alle. Und gegen das Recht für homosexuelle Paare, Kinder adoptieren zu können.
In anderen Ländern läuft es ähnlich. So fallen auch deutsche AfD-Politiker durch homophobe Parolen auf. Aktuell macht Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mit einem homophoben Gesetz Front gegen Homosexuelle, was zur Belastung des aktuellen EU-Gipfels wurde. Mark Rutte, Präsident der Niederlande, forderte Orbán auf, das Gesetz zurückzunehmen oder aus der EU auszutreten.
Die meisten Autokraten grenzen Homosexuelle aus
Orbán ist mit seiner Homophobie in guter Gesellschaft. Die meisten Autokraten oder autoritären Machthaber nehmen Homosexuelle aufs Korn und diskriminieren sie. Die Liste reicht von Lukaschenko über Putin bis zu Duda, Erdoğan und Bolsonaro.
Der gemeinsame Nenner: Es sind durchwegs rechte bis rechtsradikale Regierungschefs, die die Demokratie aushebeln wollen oder schon ausgehebelt haben. In den Chor dieser homophoben Machthaber stimmt einmal mehr der Vatikan mit seiner offiziellen Protestaktion ein. Ein weiterer Flecken auf der Weste des "Menschenfreundes" Papst Franziskus.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.