Meist sind es Mädchen und Frauen, insbesondere aus afrikanischen Ländern oder Osteuropa, die mit der Hoffnung auf eine Arbeitsstelle nach Deutschland kommen und in die Gewalt von Zuhältern geraten. Andere müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen ohne Lohn leben und arbeiten, werden zu Diebstählen oder Bettelei gezwungen.
Menschenhandel und Ausbeutung haben viele Gesichter. Mehr als 700 Fälle hat der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) in seinem aktuellen Bericht ausgewertet. Er legt damit erstmals die Daten von 16 Fachberatungsstellen im ganzen Bundesgebiet gebündelt und mit einem speziellen Datentool ausgewertet vor.
Im KOK haben sich derzeit 39 Mitgliedsorganisationen zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Lebenssituation der Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland zu verbessern, Rechtsansprüche von Opfern durchzusetzen und ihnen den Zugang zu Unterstützung zu erleichtern.
Den nun veröffentlichten, zwischen Januar 2020 und Ende Juni 2021 erhobenen Daten zufolge waren 94 Prozent der Betroffenen Frauen und Mädchen, die meisten zwischen 22 und 29 Jahre alt. Die 30- bis 39-Jährigen machten 31 Prozent aus, 9 Prozent waren zum Tatzeitpunkt minderjährig. In 81 Prozent der Fälle liegt nach Einschätzung der Fachberatungsstellen Zwangsprostitution vor, in 80 Prozent Menschenhandel (Mehrfachnennungen waren möglich).
Bei den Betroffenen handelt es sich zum Großteil um Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eines afrikanischen Landes, die meisten aus Nigeria (44 Prozent), Guinea (9 Prozent) und Gambia (6 Prozent). Nur 5 Prozent hatten die deutsche Staatsangehörigkeit.
Mit diesen Daten liefert der Bericht ein Bild, das sich in vielerlei Hinsicht von den behördlichen Statistiken unterscheidet. So führt das Bundeskriminalamt in seinem"Bundeslagebild Menschenhandel" für 2020 lediglich 456 Fälle von Menschenhandel und Ausbeutung auf, wobei 22 Prozent der Betroffenen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das "Lagebild" nur solche Fälle berücksichtigt, in denen ein polizeiliches Ermittlungsverfahren abgeschlossen wurde.
Dass der KOK-Bericht mit 714 Fällen eine erheblich breitere Datenbasis umfasst, erklärt sich dadurch, dass viele Betroffene eher eine Beratungsstelle aufsuchten, als zur Polizei gehen. Viele befürchteten, selbst in den Fokus der Strafverfolgung zu geraten, etwa wegen Drogendelikten oder weil sie sich illegal in Deutschland aufhielten, heißt es dort.
Doch auch diese Zahlen dürften kaum mehr als die Spitze des Eisbergs abbilden. Zum einen, weil sie nur solche Angaben umfassen, zu deren Verwendung die Betroffenen zugestimmt haben. Außerdem seien noch nicht alle Fachberatungsstellen in die Erfassung der Fälle eingebunden, so der Bericht weiter.
Dennoch sehen die Herausgeber ihre Arbeit als wichtige Ergänzung zum bisherigen Wissensstand über Menschenhandel und Ausbeutung. Dem ist vor allem deshalb beizustimmen, weil der KOK-Bericht erstmals die Situation der Betroffenen in den Vordergrund stellt. Um das Problem effizient zu bekämpfen, fordert der Koordinierungskreis mehr Kooperation zwischen Beratungsstellen und Ermittlern.