Kommentar

Wann steht der Ex-Papst eigentlich vor Gericht?

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Da war er noch Papst: Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. während der Generalaudienz auf dem Petersplatz 2008
Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI.

Hamed Abdel-Samad hat sich zu den neuerlichen Missbrauchsfällen geäußert, die jetzt durch das Münchener Gutachten ans Tageslicht kamen. Seine Forderung: Den Ex-Papst Ratzinger vor Gericht zu zitieren.

Wäre die Kirche eine Firma oder ein Verein, wäre ihr schon längst die Lizenz wegen ihrer Skandale und Machenschaften entzogen. Stellte der Vatikan einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, wäre der Antrag sofort abgelehnt wegen Mangel an Transparenz, Demokratie und wegen Missbrauch von Menschenrechten. Doch die Kirche übernimmt immer noch Aufgaben in demokratischen Gesellschaften, obwohl sie dafür nicht qualifiziert ist. Gerade im Bereich Kindererziehung hat die Kirche vor allem in den eigenen Häusern versagt.

Als Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 2005 zum Papst gewählt wurde, titelte die Bild-Zeitung "Wir sind Papst". Viele in Deutschland identifizierten sich mit Benedikt XVI. und fühlten sich stolz, als er zum Papst ernannt wurde. Wo sind all diese Menschen heute und wo ist ihr Stolz? Warum titelt Bild heute nicht "Wir sind Kinderschänder?"

Der höchste Würdenträger der Kirche wusste jahrelang von Vergewaltigungen und Missbrauchsfällen in seinem Bistum. Er schwieg nicht nur über Fälle vor und während seiner Amtszeit in München, sondern vertuschte das Geschehen und verhinderte eine Aufklärung. Wie nennt man das? Komplizenschaft? Mittäterschaft?

Warum lässt ein Mann, der sich selbst Vertreter Christi auf Erden nennt, die Opfer im Stich und steht stattdessen auf der Seite der Täter? Warum verhindert ein Mann, der behauptet, die Wahrheit zu verkünden, dass die Wahrheit ans Licht kommt? Um dem Ansehen der Kirche nicht zu schaden? Das ist ein Argument aus der Welt der Mafia, wenn Skandale unter den Teppich gekehrt werden, um das Ansehen der Familie zu bewahren. Vieles in diesem und anderen Kirchen-Missbrauchsskandalen erinnert in der Tat an die Mafia: Hierarchie und patriarchale Strukturen, Kultur der Angst und des Schweigens, Einschüchterung von Abtrünnigen, damit kein Insiderwissen nach außen dringt.

Und hier stellen sich folgende Fragen:
Ist die Kirche nur ein Mittel oder ein Selbstzweck an sich? Wozu ist die Kirche gut, wenn sie nicht imstande ist, die Schwächsten der Schwachen vor sich selbst zu schützen? Wozu ist das Zölibat gut, wenn am Ende ein Priester, statt zu heiraten, sich an Kindern und Nonnen vergeht? Wozu brauchen Kinder die Kirche in diesem frühen Alter? Um früh genug mit Angst und schlechtem Gewissen in Berührung zu kommen? Um ihr kritisches Denken auszuschalten und sich einer Welt von magischen Erzählungen, von Hierarchie und Schweigekodex der religiösen Institution zu unterwerfen?

Nun, das ist genau der Stoff aus dem Missbrauch gemacht wird: Geschlossene Räume, Hierarchie, Angst und Schweigen.

Wann begreift die Politik, dass die Kirche nicht über dem Gesetz steht, und dass man im Namen der Religionsfreiheit die Kinder nicht vor dem Altar des Schweigens opfern darf? Wann begreifen die Gläubigen, dass Glaube und religiöse Institution nicht ein und dasselbe sind? Wann trauen sich die Eltern zu sagen: "Religion weg von unseren Kindern"? Wann begreifen wir als Gesellschaft, dass mehr Säkularisierung besser für uns alle ist? 

Und wann steht der ehemalige Papst eigentlich vor Gericht?

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