"Corona – war da mal was?", fragt sich heute mancher. Hat bis vor zwei Wochen die Pandemie die weltweiten Schlagzeilen beherrscht, wird sie aktuell von der Berichterstattung über Putins Krieg gegen die Ukraine abgelöst.
Für die Coronaskeptiker und Maßnahmengegner ein Schock. Standen sie zwei Jahre lang im Zentrum der öffentlichen Diskussion, finden sie sich unversehens im Abseits wieder. Sind ihre Demonstrationen auf ein paar Hundert geschrumpft, gehen Zehntausende wegen des Kriegs in der Ukraine auf die Straße und setzen ein Zeichen für den Frieden.
Mit einem Knall stehen Corona-Aktivisten einsam und verloren auf der Politbühne. Angesichts der Bomben und Granaten will kaum einer mehr den Klang der "Freiheits"-Trychler hören. Fertig lustig mit den großen Happenings auf der Straße, den Treffen der unheimlichen Patrioten. Alles, was die Skeptiker ausgemacht hat, bricht weg.
Zurück bleiben eine zerbröselnde Ideologie und ein sich verflüchtigender Lebensinhalt. So wie Coronaleugner und Maßnahmenkritiker aus dem Nichts aufgetaucht sind, verschwinden sie wieder in der Bedeutungslosigkeit.
Gesucht: ein neues Thema
Weil dies schmerzt, ja richtig kränkt, kann nicht sein, was nicht sein darf. Also muss ein neues Thema her, das man mit Wut und Empörung bewirtschaften kann. Was liegt da näher als das Thema, das derzeit alles dominiert? Also der Ukraine-Krieg.
Und da die Anthroposophen, Aluhüte, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikalen und Esoteriker ihre Sektenblase nicht verlassen können, ist die Stoßrichtung klar: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ihr Feind sind die hiesigen Politiker. Ergo muss Putin ihr Freund und Held sein.
Deshalb kann der Krieg kein richtiger Krieg sein, sondern ein Befreiungsschlag, der die gefräßige NATO in ihre Schranken weisen soll. So einfach geht Politik, wenn man die Realität den eigenen ideologischen Verblendungen anpassen muss.
Und klar: Wenn die angeblich von Neonazis politisch manipulierte ukrainische Bevölkerung Widerstand leistet, sind Putin und seine Armee gezwungen, auch Wohnhäuser zu bombardieren. Kollateralschäden, die sich leider nicht verhindern lassen und vom Feind aufgezwungen wurden, glauben und verkünden die Verschwörungserzähler.
Auch der Sektenchef Ivo Sasek sieht die Schuld beim Westen. In einem Video bezeichnet er die ukrainische Regierung als Putschregierung. Dem Westen drohe eine Katastrophe. Kriegsbilder kommentierte er mit den Worten: "So könnte man bald ganz willkürlich auf dich schießen. Die Pilze könnten sich plötzlich über unseren eigenen Köpfen ausbreiten. So könntest auch du bald auf der Flucht sein."
Das Dilemma der Coronaleugner und Impfgegner wurde Ende Februar manifest. Bei einer Demonstration im niedersächsischen Gifhorn gegen die Corona-Maßnahmen sprach Bodo Schiffmann, eine zentrale Figur der Coronaleugner-Szene in Deutschland, nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Ukraine-Krieg.
Wörtlich sagte er: "Hier muss man den Notwehrparagrafen heranziehen, hier hat ein Führer eines Landes einen Befreiungsschlag ausgeführt." Schiffmann bekam für seine Aussage einen warmen Applaus von den Corona-Skeptikern. Diese haben die Zeitenwende von der Pandemie zum Krieg offensichtlich bereits vollzogen.
Das könnte auch bei uns bald Realität werden. Bis Ende Juli sind in der Schweiz zehn weitere Corona-Demonstrationen in allen Landesteilen geplant. Die bittere Erkenntnis: Der Krieg erhält die Corona-Szene am Leben.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.
10 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ja, Dummheit ist grenzenlos, da wird der Aggressor zum Helden der Verteidigung gemacht
und die unschuldigen Opfer des Überfalls auf die Ukraine sind die bösen Nazi, der Jüdische
Dümmer gehts nimmer!!!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dazu fällt mir noch ein, dass es dieses Phänomen der Realitätsverweigerung ausschließlich in demokratischen Staaten gibt, in Staaten welche von Autokraten regiert werden, gibt es dies nicht. Siehe z.B.
Das erinnert mich an den Spruch ::, wenn es dem Esel zu gut geht, begibt er sich aufs Eis.
W. K. am Permanenter Link
Das ist ja einfach. Ich dachte, dass sich Atheisten den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Der einzige Fakt ist doch, dass Putin angegriffen hat!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dem einen bin ich zu radikal, dem anderen zu sanft, jeder hat so seine Sichtweise des Denkens, für mich steht fest, dass wir am Rande eines Abgrunds´stehen, aber morgen sind wir schon weiter.
Es sollte eigentlich NICHT Sinn und Zweck der Evolution sein, dass wir uns vor lauter Habgier und Machtgier selbst ausrotten und diesen einmalig schönen Planeten zerstören.
Bevor dies geschieht sollte es allen zur Pflicht werden, das Buch<CODEX ATHEOS> von
Paul Schulz zu lesen, leider, so fürchte ich, werden viele nicht begreifen was da geschrieben
steht, da dies einen gewissen Grad an Intellekt voraussetzt.
Manfred H. am Permanenter Link
Na, da bin ich aber mal gespannt auf Ihre Version der Vorgeschichte.
Oder vielleicht auch lieber nicht. Sie halten sich also für skeptischer als Herr Baierlein!?. Soso.
Wissen Sie, immer wenn Leute sich für besonders skeptisch halten, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass sie es nicht sind.
Ein auffälliges Merkmal dieser Pseudoskeptiker ist z.B., dass sie gut darin sind, jede Menge Fragen zu stellen. Das halten sie tatsächlich für besonders geistreich.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
"Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens!" Goethe
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
So gesehen wird sich dann nichts ändern, da es keine Götter gibt, es gibt nur ein Mittel gegen Dummheit, dies ist zwar mühsam aber effektiv, nämlich Bildung und es ist nie zu spät damit anzufangen.
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Danke, Hugo Stamm, für diese Beschreibung des Sachverhalts. Politischen Ideologen eigen ist, dass sie das ausblenden, was nicht in ihre Ideologie passt.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Nein Herr Krause, dies ist nur der erste Schritt auf einen langen, mühsamen Weg zu einer real säkularen und humanistischen Welt.
Klaus D. Lubjuhn am Permanenter Link
"Und klar: Wenn die angeblich von Neonazis politisch manipulierte ukrainische Bevölkerung Widerstand leistet, sind Putin und seine Armee gezwungen, auch Wohnhäuser zu bombardieren.
Diese Art von Ironie ist fehl am Platz. Dieser Gedanke lässt sich ironiefrei formulieren.
Vielleicht ist der ZEIT - Beitrag von Adam Soboczynski und parallel dazu das von Anna - Lena Scholz geführte Gespräch mit Carlo Masala hier ganz hilfreich, um den Blick zu weiten. Besonders deren Infragestellung der Parole: "Den Himmel schließen" sollte doch zu denken geben...