Es gibt Verschwörungstheorien, die die einen eher anekdotisch erinnern, die aber für andere regelrecht sinnstiftende Bedeutung besitzen. Zu diesen gehört die an eine reale Begebenheit anknüpfende Geschichte vom "Neuschwabenland", die ein ganzes Bündel an Mythen beinhaltet und für die die Bezeichnung "Großmutter aller Verschwörungstheorien" wohl angebracht ist. Eine der hier eingewebten Geschichten ist beispielsweise die von der "Reichsflugscheibe", jenem angeblichen Hyperfluggerät aus dem Dritten Reich, das sogar als Produkt eines bekannten Modellbauproduzenten zeitweilig eine gewisse Karriere machte.

Anekdotisches Erinnern bedeutet allerdings, sich nicht sonderlich genau mit dem Thema auszukennen, im Gegensatz zu denjenigen, die darin sowohl Realität wie auch Aktualität im Fokus ihrer Überzeugungen sehen. Dem abzuhelfen, ist Michael Scholz mit seinem beim Alibri-Verlag erschienenen Bändchen "Von Eis-Nazis, Flugscheiben und geheimen U-Booten – Die Wahrheit über Neuschwabenland" angetreten.

Der Informationsgehalt des Buches steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinem Umfang: Auf knapp 100 Druckseiten erfährt der Leser nicht nur die realen Ursprünge des "Neuschwabenland-Syndroms", sondern auch alles, was es an Wissenswertem zu dem Mythenbündel gibt, das sich im Laufe der Zeit daran geknüpft hat. Was, wie erwähnt, Teil der Gesamterzählung so mancher rechter Ideologie ist, aber auch so einige Menschen mit Schatzgräber- und Abenteurerveranlagung beflügelt hat.

Dass es reale Antarktis-Expeditionen im Auftrag des Dritten Reiches gegeben hat, dürfte noch recht bekannt sein. Bei den Motiven dazu hört es allerdings meist schon auf. Wem ist schon geläufig, dass für die Expedition in den Jahren 1938/39, deren Planungen noch weiter zurückgehen, der Anlass die "Fettlücke", also der Mangel an Fetten im Deutschen Reich war, durchaus auch wegen steigender Bedarfe mit Blick auf den längst geplanten Krieg? Nein, man hatte keine Technologie auf Lager, die Eis in Fett hätte verwandeln können – es ging um Landbesitz in der Antarktis und unter anderem die damit verbundene Erwartung, durch Ausweitung der deutschen Walfangflotte die bisherige Abhängigkeit von der Walfangnation Norwegen verringern oder beseitigen zu können. Alles erst einmal nachvollziehbar.

Mehr allerdings sei hier dazu nicht verraten – außer, dass die doch etwas befremdliche Bezeichnung "Neuschwabenland" für die – völkerrechtlich nie wirksame – Besitznahme eines Areals in der Antarktis schlicht auf den Namen des Expeditionsschiffes Bezug nimmt.

Wie Michael Scholz anmerkt, wurde die Expedition bei ihrer Rückkehr durchaus gefeiert – als Erfolg deutscher Wissenschaft. Durchaus nicht zu Unrecht, nach außen hin war das aber nur Fassade für die geo- und wirtschaftspolitischen Intentionen der Unternehmung.

Wohl auch in dieser Verschleierung lag eine der Ursachen, weshalb sich die Expedition zum Kristallisationspunkt einer ganzen Reihe von Verschwörungsgeschichten entwickelte. So identifiziert der Autor insgesamt acht (!) Narrative, die sich alle für sich allein erzählen lassen – was er in einer entsprechenden Reihe von Kapiteln auch tut. Dabei spielen insbesondere die Mythen von den "U-Booten vor Argentinien" und zur "Reichsflugscheibe" die bereits erwähnte Rolle, in bestimmten Kreisen Mythen über ein Weiterleben der führenden Nazi-Größen nach Kriegsende und die Entwicklung von Geheimwaffen durch NS-Wissenschaftler (wahlweise gemeinsam mit Außerirdischen) im "Stützpunkt Neuschwabenland" aufrechtzuerhalten. Wie zwanglos sich mit "Neuschwabenland" auch andere gängige Thesen wie zum Beispiel die der Hohlerde verbinden, ist bemerkenswert.

Das Buch gibt einen umfassenden und durchaus unterhaltsamen Überblick über den rechtsesoterischen "Mythos Neuschwabenland", der keineswegs "Schnee von gestern ist" (dieses Wortspiel sei erlaubt). Ein sehr interessanter Beitrag zum großen Thema "Facts statt Fakes" in einem Bändchen, der allen Aufklärern und besonders den historisch Interessierten unter ihnen empfohlen sei.