Nous sommes Charlie!

Der Freche Mario verneigt sich

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Trauerflor an der Kulturbühne Hinterhalt (2015)
Trauerflor an der Kulturbühne Hinterhalt

MÜNCHEN. (hpd) Sie verneigen sich, der große Dicke mit der gestreiften Hose und der Kleine mit einer Rose in der rechten Hand, mit todtraurigen Gesichtern und geschlossenen Augen. Neben ihnen der kleine Hund, der traurig und ratlos aus der Zeichnung heraus auf uns genauso Ratlose blickt…

Charlie Hebdo, was nun?
Einer der berühmtesten Zeichner Frankreichs und mit 87 Jahren Grandseigneur seiner Zunft - Albert Uderzo – drückt mit diesem mit Bleistift gezeichneten und schwarz weiß gehaltenen Bild von Asterix, Obelix und Idefix gleichermaßen Trauer und Hochachtung für die toten zeichnenden und schreibenden Kollegen aus, die am Mittwoch, den 07.Januar 2015 an ihren Schreibtischen ermordet worden sind.

Alle sind sie gefragt worden, die großen satirischen Zeichner der – vermutlich eher westlichen – Welt, welche Sätze und Zeichnungen zum Mordanschlag in Paris sie haben, wie sie nun überhaupt weiter leben, weiter arbeiten, welche Konsequenzen das hat… Viele haben dieses Ereignis umgehend mit dem Zeichenstift kommentiert, viele haben sich in den Medien geäußert und nicht wenige haben Konsequenzen gezogen.

Auf den ersten Blick könnte man beinahe glauben, es wären nur die Zeichner, Karikaturisten, Cartoonisten betroffen und in Gefahr. Doch da sind auch noch die Kabarettisten, die ohne Stift und Pinsel, aber mit deutlichen Worten Satire öffentlich betreiben. Doch auch die Damen und Herren der Kleinkunst, des Kabaretts kann es jederzeit treffen, dass sie wegen Verhöhnung anderer Leute Bekenntnisse Probleme bekommen, und auch ein Großmeister der Schreibkunst fühlt sich nicht nur betroffen, sondern verunsichert. Und nun?

Die Satire – wer ist denn das?

Alle übrigen Berufsstände außerhalb davon, also Lehrer, Frisöre, Klempner und Betriebswirte sind zu Millionen sehr betroffen und folgen den Aufrufen aller Orten, sich zum Gedenken an die Toten zu versammeln, zu schreiben, zu posten, zu liken, zu twittern… Auf einmal sind alle Charlie! Das wird die Zeichner und Autoren im Jenseits - oder wo auch immer – doch hoffentlich freuen. Zu Lebzeiten hätten sie sich solche Unterstützungsaufläufe für ihre Kunst, ihre Satire, ihren Mut bestimmt nicht vorstellen können. Vermutlich haben sie jetzt auch nichts mehr davon. Derartige Zustimmung hätten sie wohl viel, viel früher gebraucht.

Der Zustand der Betroffenheit über den Tod von Menschen, die man gar nicht kannte, über den Verlust ihrer weiteren Zeichnungen, wo man die früheren selber nie gesehen hat und über das Ausmaß an Gewalt, das man selbst nie direkt erleben musste ist in der Tat für uns Hinterbliebene mit und ohne Humor auch ein ganz gemütliches wohliges Gefühl, das man sich so richtig kuschelig mit so vielen anderen “Charlies” teilen kann. Wir sind ein Volk… schon wieder? Ein angenehmer Zustand doch für uns alle, die Mutigen deutlich vor sich zu wissen, die mit Zeichnungen, Büchern und Worten unserer Gesellschaft und uns ihren Spiegel vorhalten, die Missstände öffentlich zur Schau zu stellen und respektlos vor welchen Autoritäten auch immer die Scheinheiligkeiten dieser Welt zu beleidigten Leberwürsten machen. Nie wussten wir es deutlicher, Satire muss alles dürfen, nicht wahr? Die Frage bleibt nur: wer ist Satire? Wer machts? Wer kaufts? Wer liests? Wer wird damit gesehen?

Forward he cried from the rear and the front rank died!)”. Jetzt sind es wieder einige der ganz Mutigen weniger. Und was machen wir Übrigen nun – außer öffentlich zu trauern, zu wehklagen und panische Angst vor dem Islam zu haben und zu pflegen?

Zeichnung: Gerhard Haderer
Zeichnung: Gerhard Haderer (exlusiv für den hpd)

Der Freche Mario verneigt sich – nous sommes Charlie!

Auch in Deutschland gibt es einen Paragrafen, nämlich nach 166 StGB, der unter Androhung von bis zu 3 Jahren Haftstrafe diejenigen mit Nachdruck schrecken und ängstigen möchte, die sich kritisch mit ewig währenden Wahrheiten und den irdischen Trägern derselben auseinander setzen. Sozusagen der Schutz der religiösen Gefühle – ein gesetzlicher Freischein vor allen Dingen für die Anhänger der drei monotheistischen Religionen.

Seit 2008 fragt sich der früherer Unternehmer und Kurator der Giordano Bruno Stiftung – Wolf Steinberger – was solch ein ein Paragraf noch im Gesetz eines demokratischen Staates zu suchen hat. Gemeinsam mit dem BfG München und mit Unterstützung der Giordano Bruno Stiftung und des IBKA wird also der von ihm “Der Freche Mario” genannte Kunstpreis digital ausgeschrieben und mit insgesamt 3.000,00 Euro Preisgeld für die besten drei Kunstwerke ausgestattet (siehe hpd-Berichterstattung). Ein Preis, der mit dazu beitragen soll, dass es den Tatbestand religiöser Gefühle juristisch kurzfristig nicht mehr geben soll. Wozu auch?

Über 600 Einsendungen aus ganz Europa übertreffen die Erwartungen aller bei weitem, und auch die Zahl der prominenten mitwirkenden Filmemacher, Kabarettisten, Karikaturisten, Musiker etc. verschlägt den Initiatoren fast die Sprache… Bis heute alle zwei Jahre wieder verliehen ist dieser besondere Kunstpreis ein wunderbares Mittel, die Mutigen unter den Künstlern, Schriftstellern, Filmemachern… zumindest ein wenig zu achten und zu ehren.

Zum Gedenken an das Attentat in Paris und auch zum Gedenken an die vielen anderen, von Mordaufrufen bedrohten Künstler, Autoren und Journalisten beginnt daher am Sonntag, den 18.Januar in der Kulturbühne Hinterhalt in der Nähe von Wolfratshausen auf Initiative von Wolf Steinberger und Assunta Tammelleo und mit Unterstützung durch den BfG München und die Giordano Bruno Stiftung eine zwei-wöchige kleine Sonderschau aus allen Einsendungen des Frechen Mario seit 2008. Am 18. selbst wird die dortige monatliche “Offen Bühne” (Jam-Session) zum Gedenken und als Bezeugung unserer aller Achtung abgehalten; eventuell organisieren die Veranstalter noch Kabarett und Brunch am Sonntag, den 25.Januar mit Freunden aus der Künstler- und Kulturszene um uns herum.

Und was ist mit den anderen?

Als der “Freche Mario” vor 6 Jahren in den Reihen des BfG München und auch anderen säkularen Verbänden vorstellt worden ist, mit der Bitte u.a. um Unterstützung, Weiterleitung, Ausstattung mit zusätzlichen finanziellen Mitteln, da war das Echo auf breiter säkularer Flur doch eher sehr verhalten. Glücklicherweise stieß die Idee bei Vorstandssprecher Dr.Michael Schmidt-Salomon für die GBS auf offene Ohren, er hielt auch die erste Laudatio und erläuterte mit Blick auf den britischen Komiker Rowan Atkinson die demokratische Notwendigkeit des Rechts zu beleidigen, was in unseren Zeiten lange vor dem Recht, beleidigt zu sein, stehen sollte. Auch beim Vorstand des IBKA fand man jede Menge Fürsprecher. Doch in den hinteren säkularen Reihen, gerade auch bei den Organisierten der verschiedenen BfG’s traute man sich nicht recht, wusste nicht recht und wollte sich nicht recht entscheiden. Zum damaligen Zeitpunkt war auch noch kein satirischer Zeichner, Schriftsteller, Musiker etc. direkt an seinem Arbeitsplatz erschossen worden, sondern “nur” davon bedroht (z.B. Salman Rushdie).

Und die Medien, die Journalisten? In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die aktuellen Ausführungen von Gerhard Haderer (Zeichner und GBS-Beirat), der im Standard betont, dass die mutigen Zeichner auch mutige Redakteure und Verleger brauchen. Das war auch beim “Frechen Mario” so; die meisten Medienvertreter haben unsere Pressemeldungen – und auch die große Zahl von prominenten Teilnehmern – genauso ignoriert, wie die Tatsache, dass z.B. bei der letzten Preisverleihung im November 2014 der erste Preis an einen Künstler ging, der aus Angst um seinen Arbeitsplatz in einer christlichen (!) Einrichtung anonym bleiben musste. Ach, ja, vielleicht gibt es für die Säkularen wichtigere Dinge als die Tatsache, dass man für eine bloße Zeichnung drei Jahre ins Gefängnis kommen kann, oder?

Und die Politiker? Vergiss es… In Bayern arbeitet die CSU alle Jahre mal wieder daran, in Erwägung zu ziehen, den bestehenden Paragrafen 166 StGB sogar noch zu verschärfen. Im letzten Herbst meinte - einen kurzen Moment lang - die Münchner Stadt-FDP aus Gründen über die spekuliert werden darf, sich im Nachgang zur Klage gegen Dieter Nuhr wegen Beschimpfung des Islam sich an den “Frechen Mario” anschließen zu sollen. Was für ein Schmierentheater, bloß, weil es ein Moslem war, der sich öffentlich bei einem deutschen Gericht mit Hinweis auf diesen 166 StGB beklagte! Und jetzt, nach dem Attentat in Frankreich? Wo seid Ihr, liebe FDP der schönen Münchner Stadt? Hallo, hallo, hallo…? Nun, ein taktischer Vorstoß, den wir am besten kommentieren mit den Worten des seligen Komikers Karl Valentin “Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut!”.

Der kurzen Rede langer Sinn

Allen, die jetzt nach mehr Polizei, mehr Militär, mehr Sicherheit rufen und rufen und rufen… ruft der “Freche Mario” auf, mehr Mut zu zeigen. Und den kleinen Kunstpreis “Der Freche Mario” zu unterstützen für ein großes Ganzes. Auch zum Gedenken an die Toten des Charlie Hebdo, zur Unterstützung aller Gefährdeten (Hamed Abdel-Samad…), für alle Lebenden, für den Erhalt und die Stabilisierung der Presse- Meinungs- und Kunstfreiheit und so vieler demokratischer Errungenschaften mehr! Im Hier und Jetzt!