Kommentar

Der "grüne" Papst

Aber wie soll auch das Papsttum glaubwürdig und konsequent eine echte Kultur des Lebens, eine wirkliche ökologische Abkehr von den festgefahrenen und unser Raumschiff Erde unweigerlich in die Katastrophe befördernden Bahnen der großkapitalistischen Ausbeutung aller Lebenselemente verkünden und praktizieren, wenn es selbst am Status der alles Habenden in besonders privilegierter Weise teilhat, mit zahlreichen Konzernen sowie den entscheidenden Machern und Instanzen in Wirtschaft, Finanzwelt, Staat und Gesellschaft verflochten ist?

Auch Papst Franziskus sang noch bis vor kurzem in seinen zahlreichen Veröffentlichungen zur Theologie und Pädagogik das Hohelied von der Einzigartigkeit und absoluten Vormachtstellung des Menschen allen anderen Geschöpfen gegenüber. In diesen Publikationen kamen die Natur, kamen Tiere und Pflanzen kaum, schon gar nicht system- oder strukturrelevant vor.

Aber nun die Wandlung des Chamäleons, die Bekehrung des anti-, zumindest unökologischen Saulus zum ökologischen Paulus! Fernab jeder Reue oder Scham über fast 2000 Jahre falscher kirchlicher Verkündigung des mörderischen Primats des Menschen über die Natur feiert nun Papst Franziskus nicht mehr nur überschwänglich seine Einsicht, "dass alles miteinander verbunden ist", betont er nicht nur die Notwendigkeit "der Achtung vor jedem Lebewesen", sondern macht er sich auch schon wieder zum Praeceptor mundi, zum Lehrer und Vorreiter der Menschheit in oecologicis, maßt er sich sofort wieder höchstrichterlich an, die Umweltzerstörungen als Todsünde zu qualifizieren, obwohl er als Vertreter einer Kirche, die nichtchristliche Stämme und Völker, Ketzer, Schismatiker, Mystiker, Apostaten, Kinder, Jugendliche und Tiere millionenfach gemordet bzw. missbraucht hat, am wenigsten dazu befugt ist. Ohne das geringste Spurenelement eines Schuldbekenntnisses setzt sich der päpstliche Parasit direkt ins Zentrum des Wirtsorganismus Ökologie und tut so, als ob er mit dem höchsten Recht des Stellvertreters Gottes auf Erden von Anfang an dahin gehörte und nun mit vollster Berechtigung als Ökopapst gefeiert werden müsse.

Schon regt sich eine bekannte Theologin, Marianne Heimbach-Steins, Professorin für christliche Sozialwissenschaften an der Universität Münster, auf, weil es "jetzt schon Stimmen gibt, die dem Papst … die Kompetenz absprechen, zu den brisanten Fragen etwas zu sagen". Obwohl der Theologe Bergoglio alias Franziskus I. wenig von Wirtschaft und Finanzen versteht, fast nur Leerformeln gegen die drei Ks., den Kapitalismus, die Konzerne und den Konsum in die Welt hinausschleudert, moraltheologisch fühlt er sich schon wieder ganz in seinem Element, indem er die von der Kirche jahrhundertelang abgesegnete Ausbeutung der Erde jetzt plötzlich als Todsünden geißelt: "Ein Verbrechen gegen die Natur zu begehen, ist eine Sünde gegen uns selbst und gegen Gott". Die Kirche begeht dem Papst zufolge diese Sünde natürlich nicht, es sind nach ihm vielmehr die Machthaber, aber auch die normalen Menschen, die gleichgültig sind, bequem resignieren oder blind der Technik vertrauen. Scharf kritisiert der Papst unsere "Gewohnheit, in dem Gedanken aufgewachsen zu sein", "dass wir Eigentümer und Herrscher der Erde (seien), berechtigt, sie auszuplündern". Dass die Kirche die breiteste Grundlage und Grundberechtigung für diese Gewohnheit geliefert hat, erwähnt der Papst natürlich mit keinem Wort. Er spricht ständig von "ökologischer Schuld", von einem "perversen System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen", aber obwohl die Kirche tausendfach in diese Beziehungen und Verhältnisse involviert ist, verbietet sich der Papst den geringsten Hinweis auf ihr eigenes gewaltiges Schuldkonto.

Trotzdem: Eine Reihe von ökologischen Vorschlägen des Papstes, die sich vornehmlich an den kleinen Mann wendet, ist nützlich, wenn auch nicht neu. Man solle Müll vermeiden und trennen, solle, wie er selbst damals noch als Erzbischof von Buenos Aires, öffentliche Verkehrsmittel nutzen, überflüssige Lampen ausschalten, auch den Kauf unnötiger oder gefährlicher Produkte boykottieren, neue Formen der Wiederverwertung erfinden, zu einer besseren Energieeffizienz der Städte beitragen usw. usf. Aber dass die Kirche selbst eine der ungeheuersten und ungeheuerlichsten Umweltsünden der Menschheit begeht, macht der Papst nicht zu seinem Thema. Gegen das ungeheure Anwachsen der Weltbevölkerung hält er nur den Rat parat, höchstens drei Kinder in die Welt zu setzen und ansonsten verantwortliche Elternschaft zu üben. Wenn aber jetzt einer denkt, dass dann zu dieser verantwortlichen Elternschaft auch Pille und Kondom gehören müssten, täuscht er sich schwer. Obwohl wir in einer Welt voller künstlicher Produkte und Medikamente rund um uns herum leben, sind Pille und Kondom in den Augen des Papstes ganz besonders künstlich und unnatürlich und als solche einem Katholiken weiterhin verboten.

Stattdessen betont der große Pathetiker, dass die Kirche über viele natürliche und naturgemäße Methoden verantworteter Elternschaft verfüge. Das ist ein grobe Unwahrheit, denn in Wirklichkeit reduziert sich dieses ganze Sammelsurium an natürlichen Methoden auf lediglich zwei: die Ogino-Knaus-Methode, mit der die meisten Frauen überfordert sind, weil sie Buch über ihre unfruchtbaren Tage führen müssen, an denen ihnen der Koitus mit dem Ehemann kirchlicherseits gnädiglich erlaubt ist, und die vom Katechismus der katholischen Kirche empfohlene Enthaltsamkeit, die den Eltern vermeintlich zu größerer Geistigkeit verhelfe.

Kurzum: Der Appell des Papstes, Katholiken sollten sich "nicht wie Karnickel vermehren", bleibt eine zwar die Sensationslust der Medien anregende und erheiternde Bemerkung, ansonsten aber eine nicht praktikable Aufforderung an die Eltern, koitale Abstinenz zu üben. Im Endeffekt ist dies eine unverschämte Einmischung in die innersten Angelegenheiten der Eltern und Familien. Die schlimmste Folge der päpstlichen Verbotshaltung in diesem Punkt aber ist die Tatsache, dass Papst Franziskus mit seiner diesbezüglichen Moraldoktrin am weiterhin exorbitanten Wachstum der Weltbevölkerung einen enormen Schuldanteil trägt. "Wenn man weiß, dass die Weltbevölkerung von heute etwa sieben Milliarden auf elf Milliarden im Jahr 2100 anwachsen wird, dann muss man auch als Kirche wissen, dass der enorme Anstieg an Menschen die Erde noch mehr ausbeuten wird als heute – sei es bei Wäldern, Landflächen, Wasser oder Energie. Und damit einhergehen werden Verteilungskämpfe und –kriege um diese Ressourcen" (S. Redmer).

Was des weiteren in der neuen Enzyklika des Papstes fehlt, ist der vehemente und dezidierte Protest gegen den überdimensionalen Fleischkonsum der Menschheit (allein in Deutschland 50 Millionen aus diesem Grund abgeschlachtete Tiere pro Jahr, davon 28 Millionen Schweine). Die katholische Kirche trägt eine alle ihre Geschichtsepochen belastende Erbschuld am makabren Leiden der Tiere mit sich, die auch durch Franziskus I. nicht beendet wird. Nichts wird er gegen die Orgien der Fleischesserei tun, die gerade an den jährlich wiederkehrenden kirchlichen Hochfesten regelmäßig ihren Höhepunkt erreichen. "Zwar gerieren sich die christlichen Großkirchen als die berufenen Verwalter und Linderer menschlichen Leids und Elends – zumindest verbal". Aber "ohne den Tod von Millionen 'Mitgeschöpfen' (wie sie im deutschen Tierschutzgesetz genannt werden), die gut durchgebraten die Festtagstafel krönen, sind hierzulande weder Weihnachten noch Ostern denkbar. Von zynischer Symbolkraft ist die Tatsache, dass ausgerechnet an einem 25. Dezember (1865) das Zeitalter der industriellen Massentötung von Tieren begann – mit der Eröffnung der Union Stock Yards, der Schlachthöfe von Chicago" (I. Bossenz in Neues Deutschland)

Wahrlich, auch dies ein Triumph des Christentums, das außer in einigen auch wegen ihres Vegetarismus noch verfolgten kleinen Sekten dem Kannibalismus an den Tieren nie Einhalt gebieten konnte und in seinen Hauptströmungen auch gar nicht wollte!

Aber natürlich hatte Papst Franziskus schon vor seiner jetzigen Ökologie-Enzyklika die endgültige Lösung der Ökologieproblematik in der Tasche. In seiner ersten Enzyklika "Evangelii gaudium" erklärte er schon, dass man im Grunde überhaupt kein Problem in der Welt, also auch nicht das ökologische, ohne den Glauben an die Transzendenz lösen könne. Alle sollten sich "darüber im Klaren sein, dass in einem Leben ohne Transzendenz die Dinge zu Götzen und die Götzen zu Dämonen werden, die ihre vermeintlichen Nutznießer letztlich aussaugen und verschlingen", womit dann die ökologische Krise ohnehin beendet wäre, d.h. im totalen Chaos, der apokalyptischen Weltkatastrophe enden würde. Schlimmer noch als die ökologische Krise und deren allertiefste Wurzel sei doch der "Betrug an der Person. Denn letztlich kann eine Anthropologie nicht darauf verzichten, die menschliche Person zu jener einen Person in Bezug zu setzen, die transzendent ist und den Menschen in ebendieser Transzendenz erst eigentlich begründet". Insofern kann "reine Vernunft, reine Wissenschaft, reine Kunst, die reine Staatsform" allein aus sich heraus die ökologische Problematik nicht meistern, ihre "vermeintliche Reinheit" von aller Transzendenz, also ihre absolute Autonomie führe "letztlich immer in den Nihilismus" und damit auch in die ökologische Katastrophe.

Das also ist die von diversen Medien gepriesene "neue Form des Umweltbewusstseins", das Papst Franziskus entwickelt: Die Lösung des Ökologieproblems liegt in der Transzendenz. Am Ende muss eben, bildlich gesprochen, immer das Jesuslein einspringen! Ohne Bild gesagt: Ohne göttliche Hilfe ist die Umweltkatastrophe nicht abzuwenden. Daher können die an Gott Glaubenden ruhig gelassen bleiben. Wie sagte es doch der gütige, ebenfalls von Franziskus I. bereits zum Heiligen beförderte Johannes XXIII.: Wenn die Weltbevölkerung weiterhin so enorm anwachse, werde die Vorsehung schon ein Mittel finden, um diesem Anstieg ein Ende zu bereiten. Zur Freigabe künstlicher Empfängnisverhütungsmittel war auch er nicht bereit.

Wir sind wieder einmal Zeugen eines sich in allen Phasen der Kirchengeschichte wiederholenden Theaters, das darin besteht, dass die Kirche jeder Errungenschaft, jedem Fortschritt stets zuerst ein schroffes Nein entgegenschleuderte, dass dann viele Jahrzehnte, manchmal ganze Jahrhunderte später die Herren der Kirche schweren Herzens sich zu einem Jein durchrangen, und dass sie schließlich den keineswegs durch sie bewirkten Fortschritt, die keineswegs durch sie zustande gekommenen Errungenschaften triumphal als die ihren, als den entscheidenden Beitrag der Kirche und des Papsttumes zum kulturellen, moralischen, sozialen und nun auch ökologischen Fortschritt der Menschheit proklamierten. Die Wahrheit aber ist, dass jede Verbesserung in punkto Gleichheit und Freiheit der Menschen, in Bezug auf das Los der Frauen, der Arbeiter, der Ausgebeuteten, der Kinder, der Sklaven, der Tiere, Pflanzen usw. gegen den – oft erbitterten – Widerstand des Papsttums durchgesetzt werden musste.

Deswegen stelle ich im Hinblick auf das eben Gesagte und auf die neue, teilweise so überschwänglich gefeierte Öko-Enzyklika von Papst Franziskus zum Schluss die Frage: Ist er ein großer Mensch? Sicherlich ist er ein charismatischer Priester, ein Seelenfänger, ein den Sehnsüchten der Gläubigen und dem von vielen empfundenen Mangel an Zuwendung gnädig entgegenkommender Allesumarmer, Allesumfasser, Allesversöhner. Aber verglichen mit wirklich großen Persönlichkeiten, groß auch und gerade im Hinblick auf ihr Eintreten für den außermenschlichen Teil der Schöpfung, ist Bergoglio/Franziskus eine kleine Nummer, eine unbedeutende Erscheinung in der Geschichte des Verhältnisses der Menschheit zum Tier, zur Natur.