Man denke nur an Albert Schweitzer, der die Berücksichtigung der gesamten Natur geradezu zum Kriterium einer Ethik, die diesen Namen verdient, erhoben hat. "Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie das des Menschen, heilig ist … wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgend etwas Lebendigem Schaden zu tun … Das Leben als solches ist ihm heilig … Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt". Der Mensch müsse sich begreifen als ein Wesen in unzertrennlicher Solidarität mit allem, was da west und lebt, als ein Wesen, das von sich sagen kann: "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will".
Und während die große Persönlichkeit des genialen Philosophen, Theologen, Ethikers und Musikers Schweitzer ihre theoretischen Maximen auch in die Praxis umsetzte, indem er als Arzt von Lambarene in einem Teil Afrikas aufopferungsvoll und selbstlos Leben rettete und heilte, beschränkt sich Franziskus I. auf Aktionssymbolismus, auf symbolische Gesten, die die allzu glaubensbereiten, allzu glaubenssüchtigen Massen zu der Illusion verleiten, diese Gesten seien bereits reale Taten der Hilfeleistung und Notlinderung. Showmaster Franziskus macht es sich leicht und triumphiert trotzdem! Auch mit einem anderen Großen, dem Physiker Albert Einstein, kann der Papst nicht mithalten. Trotz seiner Zeit und Kraft absorbierenden Fokussierung auf die wichtigsten theoretischen Probleme der Physik bewahrte Einstein stets Verstand, Gefühl und Engagement für das von Menschen verursachte Elend der Tiere, das die meisten Herren der Kirche inklusive Papst absolut kalt lässt. Die mit dem Fleisch von Tieren überreich gedeckten Tafeln der Oberschicht der Kirche, der Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Prälaten usw. bei ihren diversen internen, Laien fernhaltenden Festen bezeugen diese Kälte zusätzlich. Auch Papst Franziskus lässt sich natürlich, wie sein Spitzenbiograph Englisch vermeldet, gern mal einen Kalbsbraten servieren. Wie hoch über dem Bild, das uns die Führungsschicht der Kirche bietet, steht doch der geniale Schöpfer der Allgemeinen und der Speziellen Relativitäts-theorie, wenn er betont: "Nur das Leben im Dienst andrer ist ein lebenswertes Leben", wobei er den Bereich dieses Dienstes auf alles Leben ausweitet: "Leben des Individuums hat nur Sinn im Dienst der Verschönerung und Veredelung des Lebens alles Lebendigen. Leben ist heilig, d.h. der höchste Wert, von dem alle Wertungen abhängen". Wichtig sei "die Heiligung des über-individuellen Lebens", also des Lebens, das über das individuelle Ego hinausgehe und auch die Tiere und Pflanzen umfasse. Nur so sei auch die fortschreitende Vergeistigung der Menschheit möglich.
Während die hohe Geistlichkeit beider Konfessionen mit feierlichen Hubertusmessen das Gemetzel an den wildlebenden Tieren segnet, umrahmt und gutheißt, verurteilte Einstein auch die "Lust am Töten", die mit der Jagd verbunden ist, "empfindet er beim Gedanken an eine Jagdpartie einen starken und unmittelbaren Abscheu, während ich doch bei so vielen meiner Mitmenschen … eine ganz entgegengesetzte seelische Reaktion vorfinde. Ich weiß, dass diese tiefgehende Diskrepanz von Menschen meiner Art als tragisch empfunden wird". Einstein konstatiert einen Einfluss der seelischen Haltung gegenüber der Tierwelt "auch auf das gefühlsmäßige Verhalten der Menschen gegeneinander". Kurz und prägnant hat es der von Einstein hochverehrte Philosoph Arthur Schopenhauer auf den Punkt gebracht: "Wer gegen Tiere grausam ist, kann kein guter Mensch sein".
Eindeutig erklärt sich Einstein zugunsten einer vegetarischen Ernährungsweise: "Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung". Aber er meint es nicht bloß ökologisch-ökonomisch, sondern auch in dem Sinn, dass die fleischlose Kost vergeistigend, humanisierend wirkt: "Rein durch ihre physische Wirkung auf das menschliche Temperament würde die vegetarische Lebensweise das Schicksal der Menschheit äußerst positiv beeinflussen können."
Einstein hat recht. Fleischkonsum verdunkelt, verhärtet, desensibilisiert den inneren Menschen, unser tiefstes Selbst. Wie kann man aber auch eine wirkliche Humanität, eine echte Mitmenschlichkeit und überhaupt die eigene Vervollkommnung ansteuern und halbwegs verwirklichen, wenn man zugleich weiß, dass man seine Schwestern und Brüder, die Tiere tötet? Es ist unmöglich, eine höhere geistige Note seiner Persönlichkeit zu erreichen, wenn man Tiere quält, verletzt, ausbeutet, jagt, schlachtet, in welcher Form auch immer misshandelt.
Aber Kirche, das beweist auch der Bergoglio-Papst, der sich zu Unrecht den Namen des tierliebenden Mönchs Franz von Assisi zugelegt hat, will den Menschen im Grunde gar keine höhere Humanität, Spiritualität, Ethik beibringen, denn das könnte ja dazu führen, dass sie ihre "Hirten" einerseits, ihren Status als gehorsame "Schafe" andererseits in Frage stellen. Nein, Kirche ist und bleibt primär Kirche für die Masse, und deshalb wird ihr auch der Papst keinen Verzicht auf Fleischkonsum nahelegen, weil dieser Konsum geradezu konstitutiv zur Definition der Masse gehört.
Unter diesem Aspekt der zügellosen Fleischgier sind allerdings auch die meisten Herren der Kirche Massenmenschen! Noch ein dritter Großer, wahrscheinlich der Größte unter ihnen, sei hier erwähnt, weil er ebenfalls, ja ganz besonders durch seine Theorie und Praxis die Kleinheit jeder kirchenabhängigen Persönlichkeit und die Beschränktheit ihrer anthropozentrischen Sicht der Welt anschaulich werden lässt: Mahatma Gandhi. Von ihm sagt Einstein: "Künftige Generationen werden es kaum glauben können, dass ein Mensch wie er jemals in Fleisch und Blut auf dieser Erde wandelte". Kraft seines gewaltfreien, auch langjährige Haft, Schläge und Folterungen in Kauf nehmenden Widerstandes gegen das britische Empire zwang er dieses zur Aufgabe seiner Herrschaft über Indien. Er brachte das uralte hinduistische und buddhistische Prinzip der ahimsa, der Nicht-Gewalt, des Nicht-Tötens, Nicht-Verletzens von allem, was lebt, durch sein selbstloses Handeln und Leiden zu neuer, alles überstrahlender Leuchtkraft (wiewohl auch er wusste, dass selbst der Unschuldigste sich, wenn auch relativ minimal, schuldig macht, wenn er Pflanzenkost, ohne die er nicht leben kann, zu sich nimmt).
Er selbst sah die Quelle seiner Kraft in der schon erwähnten ahimsa und der satjagrah, dem liebenden, entschlossenen, mutigen Ergreifen (agrah) der radikalen Wahrheit (satja), das auch nicht davor zurückschreckte, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die im Extremfall dann auch zum Tod führen können.
Bekanntlich hat Gandhi seine unbestechliche Prinzipienfestigkeit mit dem Leben bezahlt. Ein verblendeter Fanatiker tötete ihn. Mit seinem Leben und Sterben bewies Gandhi die von ihm verwirklichte Einheit von Theorie und Praxis. Kein Wort kam von ihm, das er nicht durch die Praxis seines Lebens bestätigt hätte. Er starb für die Wahrheit seiner Überzeugung, dass "ein Mensch nicht wahr sein kann, wenn er nicht alle Geschöpfe liebt", dass "Wahrheit und Liebe daher zusammen die vollständige Selbstaufopferung sind."
Zwar redet auch Papst Franziskus immer wieder von totaler Liebe und Bereitschaft zur Selbstaufopferung. Aber wenn das mehr als Worte sein sollten, müsste er sofort die Strukturen der absolutistischen päpstlichen Monarchie inklusive der total korrupten Kurie und die mit allen kapitalistischen Cliquen und mafiosen Korporationen kollaborierende Vatikanbank abschaffen bzw. auflösen. Damit riskierte er zwar auch Attentat und Tod, was man keinem zumuten kann, ausgenommen dem, der ständig wie der Papst davon spricht, dass wahre Liebe zu Gott und seiner Kirche auch den Tod in Kauf nehmen müsse, der als schlagendster Beweis dieser Liebe zu gelten habe. Und damit sind wir wieder bei der Heuchelei der frommen Phrasen, der großen Worte, die durch keine Tat gedeckt werden und dem christlichen Klerus so leicht von den Lippen rutschen. Genau das hat Gandhi angeprangert: "Ich bin davon überzeugt, dass das Europa von heute nicht den Geist Gottes oder des Christentums verwirklicht, sondern den Geist Satans. Und der Satan hat den größten Erfolg, wo er mit dem Namen Gottes auf den Lippen auftritt. Europa ist heute nur noch dem Namen nach christlich. In Wirklichkeit betet es den Mammon an: 'Leichter kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes'. Das sind Worte Christi. Seine sogenannten Anhänger messen ihren moralischen Fortschritt an ihrem materiellen Besitz". Einer der Kommentatoren dieser Aussage Gandhis bekräftigt noch: "Es ist der christlich geprägte Kulturkreis, der die Welt an den Abgrund der Selbstvernichtung geführt hat".
Zwar macht der Papst viel Aufhebens um seine Armutstheologie, die dem Eindruck, die Kirche diene dem Mammon, entgegenwirken soll, aber wir haben auch diesbezüglich längst erkannt, dass ebenfalls in diesem Punkt die Phraseologie die Herrschaft über die tatsächliche Praxis behält.
Es ist außerordentlich bezeichnend, dass das Papsttum einen, vielleicht sogar den ersten Ökologen der Neuzeit, den Dominikanermönch Giordano Bruno im Jahr 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat. Die Herren der Kirche, auch Papst Franziskus, haben ihm bis heute nicht verziehen, dass er ihr langweilig-düsteres Weltbild durch ein Multiversum von leuchtendster Schönheit und kraftvollster Lebendigkeit ersetzte, dass er allen lebenden Wesen eine gleichwertige und gleichberechtigte Psyche zuordnete. Deshalb "mussten" sie ihn doch auf dem Altar ihrer irren und starren Dogmatik opfern. Daher wäre es doch endlich wenigstens eine einzige praktische und praktikable ökologische Aktion seitens des Papstes, wenn er Giordano Bruno jetzt feierlich urbi et orbi zum echten Märtyrer der Wahrheit und Vorbild für alle ökologisch Gesinnten erheben und ihn endlich vom immer noch auf ihm lastenden Kirchenbann, von jeglicher Exkommunikation und Suspension befreien würde!
Zur Vertiefung des eben Gesagten und Gewinnung eines umfassenden Bildes von Papst Franziskus verweise ich auf mein Buch: Papst Franziskus. Die kritische Biografie, Tectum-Verlag, Marburg 2015.
12 Kommentare
Kommentare
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ein Trittbrettheiliger sozusagen.
Dr. Schulte am Permanenter Link
Seid Ihr Euch bei der Angabe der Tierzahlen sicher? 50 Mio pro Jahr in DL scheint doch arg gering, wenn allein 600 bis 700 Mio(!) Hühner pro Jahr in DL geschlachtet werden.
Hmm?
Siegbert am Permanenter Link
"allein in Deutschland 50 Millionen aus diesem Grund abgeschlachtete Tiere pro Jahr, davon 28 Millionen Schweine"
Das kann in der Tat nicht stimmen. Wenn schon allein ein Bundesbürger im Schnitt nur ein in D geschlachtetes Hähnchen im ganzen Jahr isst, sind das allein schon 80 Millionen Tiere. Und da sind die geschredderten männlichen Küken noch gar nicht eingerechnet, weil die nicht gegessen werden. In einer Dokumentation habe ich mal was von um die Tausend bis Zweitausend Tiere gehört, die ein Deutscher in seinem Leben isst. Geteilt durch etwa 80 Jahre wären das immer noch gut ein Dutzend pro Jahr. Mal 80 Mio (Einwohner in D) sind das auch deutlich mehr als 50 Mio.
Martin am Permanenter Link
http://www.welt.de/politik/deutschland/article123700329/Deutsche-schlachten-pro-Jahr-750-Millionen-Tiere.html
Für 2012 weren 628 Millionen geschlachtete Hühner und 58 Millionen Schweine genannt.
Burghard Schmanck am Permanenter Link
Unter Benedikt/Ratzinger wäre eine solche Enzyklika unmöglich gewesen. Wenn man sich allein die Verlautbarungen zum "Klima" herauspickt, dann bleibt nur Kopfschütteln. Wie kann man nur, wie in Kap.
Unwahr ist beispielsweise auch die Aussage in Kap. 98. "Jesus lebte in in vollkommener Harmonie mit der Schöpfung". Allein im Neuen Testament kann man nachlesen, wie Jesus immer wieder natürliche Abläufe zum Wohle der Menschen mit seiner Wundermacht korrigiert. In den Genesis-Texten nach dem "Sündenfall" im 3. Kapitel wird jegliche "Harmonie mit der Schöpfung" für den Menschen kategorisch ausgeschlossen. Da bleibt nur noch die Frage: Wer hat diesen so ungemein menschenfreundlichen Papst derart "über den Tisch gezogen"?
Siegbert am Permanenter Link
"eine noch gar nicht gemessene, aber künftige Klimakatastrophe, obwohl weltweit nicht ein einziger physikalischer Experimentalbeweis für diese reine Hypothese geführt werden konnte"
Setzt man nur ein Wort anders, dann ergibt sich ein oft angeführtes Argument von Evolutionsleugnern, man habe noch nie die Entwicklung einer gänzlich neuen Art live beobachtet:
"eine noch gar nicht gemessene, aber künftige Evolution, obwohl weltweit nicht ein einziger physikalischer Experimentalbeweis für diese reine Hypothese geführt werden konnte"
So wie es in der Vergangenheit Klimakatastrophen gegeben hat, hat auch Evolution stattgefunden, und wird auch wieder bzw. weiterhin stattfinden. Wohl ist die These, dass der Mensch die aktuell zu beobachtende Klimaänderung mit verursacht, (noch) nicht eine gefestigte wissenschaftliche Theorie wie die Evolutionstheorie, aber dennoch eine gut begründete These. Die auch immer wieder ideologisch motivierte Leugnung erfährt. Da weiß man dann sogar Papst Franziskus zu schätzen, auch wenn sich seine Ansicht zur Evolutionstheorie nicht groß von JPIIs Spruch "...ist mehr als eine Theorie" nicht groß unterscheiden dürfte.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Was soll daran 'grün' sein? Erschließt sich mir nicht.
F1 ist so scheinheilig wie alle seine Vorgänger.
Er kann ja auch gar nicht anders.
Stefan am Permanenter Link
Warum diese Hinwendung zum esoterischen spätestens im letzten 1/3 des Artikels? Natürlich ist der negative Effekt unseres fleischkonsums auf die Umwelt unabstreitbar.
Wolfgang am Permanenter Link
Jetzt macht der Papst einen auf Umwelt: diese Scheinheiligkeit ist nicht zu überbieten.
Wenn man mit anderen wichtigen Themen nicht mehr Gläubige an sich fesseln kann,
Masche zieht nicht: Denn wo macht der Pope praktisch etwas für die Umwelt? Ach ja,
es darf wieder gebetet werden.
biostheoretikos am Permanenter Link
"Fleischkonsum verdunkelt, verhärtet, desensibilisiert den inneren Menschen, unser tiefstes Selbst." Ersetzt man das Wort Fleischkonsum durch eine beliebige Religion, könnte das Zitat von jedem Anhänger eine
Johann Nußbaumer am Permanenter Link
Es berührt mich ziemlich seltsam, dass man dem Autor mit skeptischem Zynismus begegnet,wo er doch ein wichtiges Anliegen seiner Kritiker unterstützt. Anstatt froh zu sein, dass die Kath.
Abgesehen davon gebe ich zu bedenken , dass der Papst im allgemeinen zumeist auf langfristige und nachhaltige Wirkungen bedacht ist und einen ziemlich weiten Horizont im Auge hat.
Achim Morina am Permanenter Link
Wie immer schon beeindruckend was Hr. Mynarek da mit weit übr 80 Jahren abliefert. Grandios. Und was wer auch immer von ihm, dem Gelehrten Prof.