Ein paar grundsätzliche Gedanken zu Freihandelsabkommen

TTIP – Abgesang auf ein Monster?

Durch die regulatorische Kooperation würde der Einfluss multinationaler Konzerne weiter gestärkt werden, indem diese bei der Planung jeder handelsrelevanten Maßnahme zu Rate gezogen werden müssen. Dies würde bedeuten, dass Gesetze noch bevor sie dem Europäischen Parlament als Gesetzestext  vorgelegt werden, erst ein Verfahren durchliefen, in dem Wirtschaftsvertreter zusammen mit gesichtslosen Regierungstechnokraten aus den USA und der EU-Kommission über mögliche Konsequenzen auf den Handel beraten.

Durch eine Kombination von Sonderklagerechten, sei es nun das Investor-Staat-Klage-Verfahren (ISDS) oder über einen von der EU favorisierten zwischenstaatlichen Gerichtshof, könnten die Konzerne so auch schon frühzeitig damit drohen ein Verfahren einzuleiten. Dies könnte wiederum dazu führen, dass Entscheidungsträger zurückhaltender und vorsichtiger bei ihren Regulierungsvorhaben werden.

Durch regulatorische Kooperation wären Unternehmen also zum einen viel früher darüber informiert, was die EU an Regulierung plant. Zum anderen hätten sie durch Sonderklagerechte einen offiziellen Rahmen, um gegen diese Regulierungen vorzugehen. TTIP ist also nichts anderes als eine Einladung an Konzerne zum Mitregieren.

Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass private Schiedsgerichte auch im Freihandelsabkommen mit Kanada enthalten sind. Wird CETA ratifiziert, können US-Konzerne einfach über ihre kanadischen Tochterfirmen an Schiedsgerichten klagen, unabhängig ob TTIP zustande kommt und unabhängig davon, welche Regelungen bei einem eventuellem Zustandekommen von TTIP dann vorgesehen sind.

Ferner ist zu bedenken, dass in den USA und der EU zwei grundsätzlich verschiedene Kulturen herrschen, wie  mit möglichen Risiken bei Produkten wie z.B. Lebensmitteln umgegangen wird. In der EU gilt das Prinzip, dass ein Produkt erst dann für den Markt freigegeben wird, wenn vorher nachgewiesen werden konnte, dass es für den Verbraucher keine Risiken enthält (Vorsorgeprinzip). In den USA läuft dies umgekehrt ab. Ein Produkt wird erst dann vom Markt genommen, wenn dadurch nachweislich Schäden entstanden sind (Nachsorgeprinzip).

Die Regulatorische Kooperation in Verbindung mit den Sondergerichtsverfahren zeigt, dass TTIP ein "living agreement" ist. Dies bedeutet, dass die Ratifizierung des Abkommens erst der Anfang wäre. Sobald TTIP einmal beschlossen ist, würde jede europäische handelsrelevante Maßnahme erst in dem beschriebenen intransparenten Verfahren mit den USA diskutiert werden. Auch ist anzunehmen, dass die Kultur des europäischen Vorsorgeprinzips früher oder später dem US-amerikanischen Nachsorgeprinzip zum Opfer fallen würde.

Zehntausende von Unternehmen könnten beim Zustandekommen von TTIP, CETA und TISA vor dubiosen Schiedsstellen – wie immer man die nennen mag – beteiligte Staaten bis hinunter zu Städten und Gemeinden auf "entgangene Gewinne" verklagen und damit Gesetze torpedieren oder sehr teuer machen. Dadurch wären nicht nur  Umwelt- oder Verbraucherstandards bedroht, sondern unsere demokratischen Standards an sich.

Freihandelsabkommen – ein paar grundsätzliche Gedanken

In der letzten Wirtschaftskrise wurden einige Dogmen des Neoliberalismus - Privatisierung, Deregulierung, ausgeglichene Haushalte - von vielen Ökonomen und PolitikerInnen in Frage gestellt oder zumindest relativiert. Aber die Vorrangstellung des freien Welthandels ist immer noch sakrosankt. Die Brigade der Welthandelsapostel von Politikern, Wirtschaftsführern und Ökonomen aus Industriestaaten treten nach wie vor für die Prinzipien des freien Welthandels ein. Dies hindert sie jedoch nicht daran, klammheimlich Schutzzonen für Teile ihrer Industrien einzurichten. So stellte der diesjährige Wirtschafts-Nobelpreisträger Angus Deaton laut FAZ vom 12. Oktober 2015 fest: "Wenn die armen Staaten nicht durch Zölle vom Welthandel ausgeschlossen würden, könnten sie sich selbst helfen".

Das Thema darf nicht auf den schlichten Gegensatz "Freihandel versus Protektionismus" reduziert wird. Was wir brauchen ist eine differenzierte Analyse, wie viel Schutz die eine oder andere Nation für ihre Wirtschaft benötigt. Möglicherweise könnte die Welthandelsorganisation WTO in eine neue Rolle schlüpfen, vom Mantra des schrankenlosen Welthandels abrücken und für einen fairen Interessenausgleich zwischen den starken und weniger starken Ökonomien sorgen. Ärmere Staaten muss die Möglichkeit geboten werden, Handelsschranken zu errichten, um ihre Industrie so weit zu entwickeln, bis sie sich im rauen internationalen Wettbewerb behaupten können.

Die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann schreibt in einem Essay: "Freihandel ist eine Ideologie der Mächtigen und kann ein sehr potentes Mittel sein, um Lobbyismus zu betreiben". Und sie fährt dann fort: Bis etwa 1870 war der technologische Fortschritt der Briten unangefochten. Die europäischen Nachbarstaaten "wollten den technologischen Abstand so schnell wie möglich aufholen – mussten also ihre Industrialisierung strategisch angehen." Mit hohen Zollschranken sorgten sie dafür, "dass die eigenen Industriebetriebe gegen die überlegene britische Konkurrenz geschützt waren. Das Motto hieß also: Protektionismus, nicht Freihandel. (…). Die Amerikaner bauten ihre Zölle erst ab, als sie unangefochten die globale ökonomische Supermacht waren."

"Es ist also höchst unfair, dass die heutigen Freihandelsabkommen stets davon ausgehen, dass eine Symmetrie bei den Vereinbarungen herrschen müsse – und alle Länder ihre Zölle möglichst reduzieren sollen. Stattdessen müssten die internationalen Abkommen die unterschiedlichen Entwicklungsstufen berücksichtigen. Für die Industrieländer ist es richtig, keine Zölle mehr zu erheben, denn dieser künstliche Schutz würde nur dazu führen, dass sich Unternehmer dem Wettbewerb entziehen und Monopolgewinne kassieren, die die Konsumenten bezahlen müssen. Doch Entwicklungsländer müssen die Chance haben, ihre jungen Branchen gegen die übermächtige Konkurrenz der Industrieländer zu schützen." (Ulrike Herrmann, ebd.)

Für faire internationale Abkommen

In dem Maße, in dem die Globalisierung trotz gelegentlicher Rückschläge irreversibel erscheint, sind Formen und Einrichtungen globaler Steuerung zwingend erforderlich. Laut Helmut Willke verschwimmen durch die Globalisierung die Grenzen nationalstaatlicher Souveränität, verschränken sich lokale Problemursachen und globale Wirkungen, vermischen sich lokaler Aktionismus und globale Bedeutungslosigkeit. Angesichts der globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Migrationsströme - um nur zwei zu nennen – müssen globale Steuerungsmöglichkeiten vermehrt geschaffen werden. Dies wird zu einer Aufwertung von "Global Governance"-Lösungen führen.

Eine Vielzahl transnationaler und globaler Institutionen bilden schon heute das Gerüst einer funktional differenzierten Selbststeuerung globaler Zusammenhänge, zum Beispiel die Welthandelsorganisation WTO, die Weltgesundheitsorganisation WHO oder die UNESCO für globale Kultur.

Was wir brauchen sind universell gültige internationale Arbeitsstandards, um ein Sozialdumping durch einen unregulierten internationalen Wettbewerb unterbinden zu können. Es muss verhindert werden, dass sich Wettbewerber wirtschaftliche Vorteile durch unangemessen niedrige Standards, und insbesondere durch Lohn- und Sozialabbau verschaffen. Dazu bedarf es der Festlegung und Durchsetzung global gültiger Mindeststandards.

Artikel 22 der UN-Menschenrechtscharta: Recht auf soziale Sicherheit
"Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuss der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen."

Auch müssen völkerrechtliche Vereinbarungen geschlossen werden zum verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser, Luft und Rohstoffe (Metalle, Erdöl, etc.), denn sie bilden die Lebensgrundlage auf unserem Planeten und sind nur begrenzt verfügbar. Durch den Lebensstil in der westlichen Welt nimmt die Menschheit der Erde mehr, als diese langfristig geben kann und stellt so eine Gefahr für das Leben auf unserem Planeten dar. Es stellt sich somit auch die Frage, wer auf die knappen Ressourcen Anspruch hat. Die Ressourcenverteilung wird zu einer Gerechtigkeits- und Machtfrage. Der Kampf um Ressourcen hat schon lange begonnen.

Auch die Probleme der Verwertung des Abfalls sowie die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen mit den Folgen eines dramatischen Klimawandels, sind nicht gelöst. Der Klimawandel wird Millionen von Menschen in eine ausweglose Lage bringen und Ursache von Flucht und Krieg sein.

Fazit

Es gibt eine Vielzahl internationaler Vereinbarungen, für die zu kämpfen es sich lohnt. TTIP/CETA/TISA-GegnerInnen sind keine MaschinenstürmerInnen, die versuchen, sich einer unaufhaltsamen Entwicklung entgegen zu stellen. Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verweist auf das Recht jedes Menschen auf soziale, materielle Sicherheit nicht nur als Grundlage für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, sondern als Basis der Persönlichkeitsentwicklung und damit der Würde eines jeden Menschen.

Und Artikel 22 nimmt nicht nur die einzelnen Staaten in die Pflicht, sondern auch die internationale Gemeinschaft, die damit insbesondere dort Verantwortung übernehmen muss, wo der einzelne Staat hierzu nicht in der Lage ist. Humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe ist damit keine Wohltat der westlichen Welt, sondern die Einlösung einer bestehenden Pflicht der wohlhabenden Völker gegenüber allen notleidenden Menschen.

Um den uns nachfolgenden Generationen gerecht zu werden, müssen wir lokal handeln aber global denken. Die Zukunft der Menschheit kann nur eine Gemeinsame sein.

Es mag sein, dass unsere Einsichten größer sind als unsere Wirkungsmöglichkeiten. Und es mag sein, dass die Wirkungsmöglichkeiten unserer politischen Gegner größer sind als deren Einsichten. Aber aus einer sozialen Verantwortung heraus können wir kein glückliches Eremitendasein führen, sondern müssen entsprechend unseren Erkenntnissen handeln. Dazu gehört auch der Kampf gegen die Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards.

Der 10. Oktober 2015 sollte uns Zuspruch und Motivation sein, aus der Überzeugung heraus nicht mehr schweigend zuschauen zu dürfen, unseren Widerstand gegen Handelsverträge aufrecht zu erhalten, die nicht den Menschen sondern nur den Profit-Interessen von Unternehmen dienen. Denn das "Aufgeben" ist keine Lösung!