Der Protestonaut-Kalender 2017 ist da: In der dritten Ausgabe zeigen die Macher des außergewöhnlichen Fotokalenders die Auswirkungen der in vielen Ländern Europas vorherrschenden Kürzungspolitik auf – beschönigend oft auch Sparpolitik genannt. Die Motive der Fotografin Sophia Hauk werden durch Texte und Zahlen aus Studien, Fachliteratur und Medien ergänzt. Erstmals ist der Wandkalender dreisprachig: Die Texte sind in deutscher, englischer und griechischer Sprache.
Rund zehn Jahre sind inzwischen seit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Bankenkrise vergangen. In der Hoffnung, die daraus resultierenden Verwerfungen im weltweit vernetzten Finanz- und Wirtschaftssystem beheben zu können, haben sich viele Staaten für eine Politik entschieden, die unterschiedliche Namen trägt: Beschönigend wird sie als "Sparpolitik", neutral als "Kürzungs-" oder "Austeritätspolitik" und von vielen Betroffenen als "Verelendungspolitik" bezeichnet. Länder mit Austeritätspolitik senken massiv die Staatsausgaben, erhöhen Abgaben und Steuern und verkaufen Staatseigentum an überwiegend private Investoren.
Kein anderes Land in Europa hat so viel Erfahrung mit der Austeritätspolitik wie Griechenland. Der Protestonaut hat sich deshalb dorthin auf den Weg gemacht, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Auf ihrer Recherchereise haben Sophia Hauk und ihr Ehemann, der Diplom-Politologe Alexander Hauk, mit vielen Menschen gesprochen, darunter Unternehmer, Angestellte, Ärzte, Vertreter von Hilfsorganisationen und Politiker. Über ihre Erlebnisse haben sie auf ihrer Facebook-Seite berichtet.
Sophia Hauk: "Die Austeritätspolitik und die damit verbundenen jahrelangen Entbehrungen haben Griechenland nicht gerettet. Und längst geht es nicht mehr nur um Griechenland. Es geht um die Zukunft Europas." Denn die Austeritätspolitik wirke wie ein Beschleuniger auf das Auseinanderdriften der europäischen Staaten und zähle zu den Ursachen, warum überall in Europa Populisten und Extremisten im Aufwind sind, so die Hamburger Fotografin mit eigenem Studio in Berlin. Normalerweise arbeitet Hauk international für bekannte Unternehmen und Agenturen. Auch viele Prominente standen schon vor ihrer Kamera.
Ein Impulsreferat in gedruckter Form
Der Kalender ist ein Impulsreferat in gedruckter Form, das zur Diskussion mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen einladen soll. "Die Herausforderung war, ernste Themen so umzusetzen, dass wir sie in einem Wandkalender darstellen können, den sich die Menschen auch an die Wand hängen wollen", sagt Hauk. Themen im neuen Kalender sind: Nationalismus (Januar), Ladenschluss (Februar), Solidarität (März), Bauruinen (April), Industrieproduktion (Mai), Gesundheitsversorgung (Juni), Tourismus (Juli), Landflucht (August), Schulen und Kindergärten (September), Zwangsprivatisierung (Oktober), Suizidrate (November) und Selbstorganisation (Dezember).
Auf allen Monatsmotiven taucht ein Astronaut auf, den die Kalendermacher Protestonaut (von lat.: protestari - öffentlich bezeugen und griech.: -nautēs - Matrose) getauft haben. Die Idee hinter dem Kalender erklärt Hauk so: "Im All haben Astronauten einen außergewöhnlichen Blick auf die Erde und schweben über Problemen des blauen Planeten. Im Kostüm könnte jeder stecken."
In Griechenland wurden die Kalendermacher von der Projektmanagerin Lea Aimee und dem Journalisten Odysseas Athanasiadis unterstützt. Die Aufnahmen sind unter anderem in Athen, Thessaloniki, Kalandra, Kassandria (Halkidiki), Gythio (Peloponnes) und Idomeni entstanden. Rund ein halbes Jahr hat Hauk in ihrer Freizeit an dem 18-seitigen Kalender im DIN-A3-Format gearbeitet, der jetzt für 18 Euro (zuzüglich Versandkosten) erhältlich ist (ISBN 978-3981672596). Im kommenden Jahr sollen die Motive in Ausstellungen in Deutschland und Griechenland gezeigt werden.
Mit zeitlichem Abstand zur Reise appelliert Sophia Hauk an Politiker: "Nennt Kürzungspolitik und Kürzungsmaßnahmen nicht verharmlosend Sparpolitik oder Sparmaßnahmen. Das hat nichts mit sparen zu tun und viele Menschen, die davon betroffen sind, empfinden es als Verelendungspolitik."