Die Grenzschutzbehörde ICE wird zur mit Abstand bestfinanzierten Strafverfolgungsbehörde der Vereinigten Staaten und wird ihre Personalstärke nahezu verdreifachen. Ein landesweites Netzwerk von Abschiebegefängnissen für über 100.000 Menschen soll ICE künftig verwalten. Sehen wir uns die Rekrutierungsstrategie einmal genauer an.
Donald Trumps "One Big, Beautiful Bill", das "eine große, schöne Gesetz", allokatiert über einen Zeitraum von vier Jahren zusätzliche 75 Milliarden US-Dollar für die Grenzschutzbehörde ICE. Damit wird diese zur finanziell bestausgestatteten Strafverfolgungsbehörde der Welt – ihr Budget übersteigt sogar das des italienischen Militärs. ICE gehört zum Department of Homeland Security (DHS), zu dessen Primäraufgaben die Bekämpfung von inländischem Terrorismus, Grenzsicherung und – hier besonders relevant – die Durchsetzung des Asyl- und Migrationsrechts gehören.
Dieses zusätzliche Geld wird unter anderem für neues Personal benötigt, denn die Millionen von Schwerkriminellen, die angeblich durch die US-amerikanischen Innenstädte marodieren, fangen sich nicht von allein. Ob es diese wirklich gibt, darf bezweifelt werden: Etwa die Hälfte der bisher Verhafteten und Deportierten war noch nie angeklagt oder gar straffällig, geschweige denn Gangmitglied oder Drogenbaron.
Die Personaldecke von ICE soll von 6.000 auf 16.000 steigen, um ein landesweites Netzwerk von Abschiebegefängnissen zu betreiben, in dem zu jedem Zeitpunkt mehr als 100.000 Menschen inhaftiert werden können. Es lohnt sich daher, einen Blick auf die Recruiting-Strategie der US-Grenzschutzbehörden zu werfen. Das verrät uns, welche Menschen man künftig mit der Macht ausstatten möchte, andere Personen ohne jeden juristischen Prozess in in- oder ausländische Foltergefängnisse zu verfrachten – ein Recht, das Donald Trumps Justizministerium wieder und wieder vor Gericht beschwört, bisher mit Erfolg.
Virales Marketing als Waffe: Die Meme-ifizierung des vermeintlichen Überlebenskampfs
Der Social Media Feed des DHS präsentiert sich auf den ersten Blick als eine Art Abschussliste. Die Behörde postet beinahe täglich Verhaftungsvideos, Bilder und Personendaten von vermeintlichen Kriminellen, die von ICE in Haft genommen wurden. Zwischen diesen Postings finden sich immer wieder Aufrufe, dem Deportationskorps beizutreten – um eben jene von den Straßen zu holen, die ein Video vorher in Ketten gelegt wurden.
Es ist eine perfide Art des viralen Marketings, von dem das DHS hier Gebrauch macht. Die Flut an vermeintlichen Gewaltkriminellen soll eine angstvolle emotionale Stimmung – Investment – hervorrufen, die zu einer Reaktion – Engagement – führt. Nur, dass "Engagement" hier wörtlich zu nehmen ist: Einsatz. Genauer gesagt: Kampfeinsatz.

Ein Post des DHS vom 2. August, dem Edgar Guests Gedicht "Ein patriotisches Credo" anhängt, erklärt: "Deine Nation ist darauf angewiesen, dass du in die Bresche springst. Für unser Land, für unsere Kultur, für unsere Lebensweise. Wirst du dem Ruf folgen?"

"Die USA sind einer Invasion von Kriminellen und Gefährdern ausgeliefert. Wir brauchen DICH, um sie rauszuschmeißen."
Der Tweet des DHS vom 29. Juli schließt mit einem Link zur Recruiting-Website von ICE und einem ikonischen Bild von Uncle Sam mit der Unterschrift "Die USA brauchen dich".

Am 30. Juli postete das DHS ein Bild eines salutierenden Donald Trump mit schlecht auf den Kopf des Präsidenten montierter ICE-Basecap. Der Tweet beginnt mit dem Satz:
"Dein Land braucht dich. Tritt dem Kampf bei und deportiere kriminelle illegale Ausländer aus den Vereinigten Staaten."
Es folgt eine Auflistung der Bezüge für Neurekrut*innen:
- bis zu 50.000 US-$ Beitrittsbonus
- Bereitschaftszuschlag von 25 Prozent
- Schuldenschnitte für Universitätsdarlehen
- bessere Ruhestandskonditionen

Das Weiße Haus bestätigte die Konditionen am 4. August mit einer Persiflage der klassischen Mastercard-Werbung:
- Beitrittsbonus: 50.000 US-$
- Schuldenschnitt für Universitätsdarlehen: 60.000 US-$
- Zuschlag: 25 Prozent
- Sicherung der US-amerikanischen Grenzen – Unbezahlbar
Als hätte Christopher Nolan Regie geführt
Wem das noch nicht geschmacklos genug ist, den überzeugt vielleicht eines der cinematographisch beeindrucken Recruitingvideos, die das DHS gerne mit Bibelversen und Folkmusik unterlegt.

Am 7. Juli postete das DHS ein etwa 1-minütiges Video, das mit einem akzentuierten Südstaatler beginnt, der aus Jesaja zitiert: "Und ich hörte die Stimme des Herrn, dass er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?"
Daraufhin schwenkt die Kamera auf das ICE-Abzeichen und es beginnt ein Segment, in dem schwer bewaffnete und mit militärischer Panzerung ausgestattete ICE-Kräfte mit Nachtsichtgeräten einen Fluss und die Grenzmauer patroullieren. Johnny Cash setzt ein: "Sooner or later, God'll cut you down", singt er, während ein Helikopter abhebt und der Mann mit Südstaatenakzent den Jesaja-Vers beendet: "Ich aber sprach: Hier bin ich; sende mich!"

Gleichermaßen verstörend, weil in nicht geringem Maße an einen Batman-Film unter Regie eines Christopher Nolan erinnernd, ist ein Post vom 28. Juli:
"AN ALLE KRIMINELLEN ILLEGALEN AUSLÄNDER IN DEN USA: Die Finsternis ist nicht länger dein Verbündeter. Du bist eine existentielle Gefahr für die Bevölkerung der Vereinigten Staaten, und die Spezialeinheit der Grenzpolizei wird vor nichts zurückschrecken, um dich zu jagen und zu fangen."
Angehängt ist ein Video, in dem in schnellen Jumpcuts zwischen verschiedenen Einsätzen der Grenzschutzbehörden gewechselt wird. Ohne Kenntnis der Quelle könnte man glauben, das wäre ein Kinotrailer. Während ICE bei Nacht ein Gebäude stürmt, erscheint ein Bibelzitat, diesmal aus den Sprüchen: "Der Gottlose flieht, und niemand jagt ihn; der Gerechte aber ist getrost wie ein junger Löwe."
Manifest Destiny: Der Kolonialismus ist gottgewollt

Der Geschichts- und Kulturrevisionismus des DHS macht selbst vor Folklegende und bekennendem Antifaschisten Woody Guthrie nicht Halt. In einem Post vom 30. Juli sagt das DHS: "Das Versprechen der Vereinigten Staaten ist es wert, geschützt zu werden. Die Zukunft unseres Heimatlands ist es wert, verteidigt zu werden."
Im dazu geposteten Video singt Guthrie "This land is your land", während eine Mutter mit Kind über die Prärie läuft – eine Hommage ans sogenannte Homesteading, die historisch glorifizierte US-amerikanische Version der Familienfarm. Guthrie, der seiner Gitarre die Aufschrift "Diese Maschine tötet Faschisten" verpasste, würde sich im Grab herumdrehen, war sein Lied doch eine direkte kritische Reaktion auf Irving Berlins nationalpatriotische Hymne "God Bless America".

Abschließend gibt es einen Post zu analysieren, dessen Inhalt so zentral für die Kolonialperiode der US-Geschichte ist, dass er selbst in deutschen Lehrplänen steht: John Gasts berüchtigtes Gemälde "American Progress" – Amerikanischer Fortschritt.

Gasts Gemälde ist emblematisch für eine Epoche in der US-amerikanischen Geschichte, die als Manifest Destiny bekannt ist. Mit göttlichem Sendungsbewusstsein – bei Gast durch die Engelsfigur dargestellt – zogen die Weißen Siedler*innen gen Westen, um die kläglichen Reste der von den Pocken und anderen aus Europa eingeschleppten Infektionskrankheiten dahingerafften Natives endgültig zu verdrängen. Letztere sind am linken Bildrand zu sehen, wie sie panisch die Flucht ergreifen.
Der Rückgriff auf Gast und die Ideologie des Manifest Destiny als positives Element der US-amerikanischen Geschichte und Identität ist an sich bereits alarmierend. Just dieses göttliche Sendungsbewusstsein war es, das zu ethnischen Säuberungen wie dem Trail of Tears und der nahezu vollständigen Annihilation der indigenen Kultur führte. Der Fortschritt des einen Amerikas war gleichbedeutend mit dem Tod eines anderen. Umso bedrückender ist in diesem Kontext die Bildüberschrift.
Wie Evan Bernick, Assistenzprofessor für Rechtswissenschaften an der Northern Illinois University, bemerkt, haben wir es hier mit Codesprache zu tun. Der Tweet beinhaltet, die Attribution des Gemäldes mitgezählt, 14 Worte. Vier Buchstaben außerhalb der Attribution sind kapitalisiert: Zweimal H, in Zahlen 88 – der Code ist klar. Außerdem einmal A und D, was wiederum 1 und 4 entspricht.
Der Begriff "14 Worte" und die Zahlenkombination "1488" haben innerhalb der US-amerikanischen Neonaziszene eine herausragende Bedeutung. Der Terminus geht zurück auf David Eden Lane, Gründungsmitglied der Terrororganisation "The Order" ("Der Orden"). Die 14 Worte, die von Lanes "88 Precepts" ("88 Vorschriften") ergänzt werden, lauten: "Wir müssen das Überleben unseres Volkes und eine Zukunft für Weiße Kinder sicherstellen" – in der deutschen Übersetzung geht ein Wort aus grammatikalischen Gründen verloren.
Superhelden für ein Weißes Amerika

Konstatieren wir: Cinematographische Präsentation, martialische Inszenierung und christliches Framing treffen auf existentielle Kriegsrhetorik, Idolisierung ethnischer Säuberungen und Nazi-Code. Stephen Miller empfiehlt eine Karriere bei ICE mit dem Vermerk, dass man endlich mal selbst dran wäre, "der Hauptcharakter" zu sein. Der ehemalige Superman-Darsteller Dean Cain wird ICE-Agent ehrenhalber. Die Zielgruppe, die das DHS damit anspricht, ist ein Konvolut aus White Supremacy, christlichem Nationalismus und selbsternannten vom Establishment Verratenen – ein überaus explosives Gemisch, das mit Sicherheit nicht zur Wiederherstellung bereits erodierter rechtsstatlicher Normen beitragen wird.







2 Kommentare
Kommentare
Stefan Borchert am Permanenter Link
Wo war jetzt nochmal der Unterschied zu den Taliban?
Und der oberste Chef der ICE lässt sich gerade mit einer goldenen Pferdekutsche durch London fahren.
Falk Alexander am Permanenter Link
Erinnert mich ein wenig an die SA. Die fing auch klein an, identifizierte jeden als kriminellen Gegner.