Demokratie als Lebensform – Das neue Buch von Julian Nida-Rümelin

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Julian Nida-Rümelin (2013)
Julian Nida-Rümelin

Beiträge zu einem Demokratieverständnis als Lebensform will in seiner neuen Monographie Julian Nida-Rümelin präsentieren. Sein Buch "Was Demokratie ausmacht und wie sie aus der Krise kommt" verweilt aber etwas sprunghaft in abstrakten Sphären. Gleichwohl liefert es einige reflexionswürdige Betrachtungen zu unterschiedlichen Kontexten.

Die Demokratie ist in der Krise, das konstatieren Beobachter in vielen Ländern. Angesichts damit einhergehender Bedrohungen, die nicht nur durch das Agieren extremistischer Akteure von außen, sondern auch durch gemachte Politik von innen entstanden, bedarf es einer neuen demokratischen Selbstvergewisserung. "Was Demokratie ausmacht", fragt dazu passend Julian Nida-Rümelin. Er war Kulturstaatsminister in der Schröder-Regierungszeit und Lehrstuhlinhaber für politische Theorie. Außerdem prägte er die Auffassung von einer Leitkultur, die durch Humanismus und Säkularität geprägt sein sollte. Daher ist der Blick in sein neues Buch wichtig, was dann bezogen auf die Demokratie weiter mit "und wie sie aus der Krise kommt" betitelt ist. Es habe eine doppelte Absicht, heißt es gleich zu Beginn: Der Autor will Demokratie gegen populäre Missverständnisse um einer positiven Orientierung willen verteidigen. Und er will die Aufklärung über deren Selbst-Missverständnisse vorantreiben. Die formale Darstellung will eine breite Leserschaft erreichen.

Einen damit einhergehenden Anspruch löst Nida-Rümelin indessen nicht so richtig ein, was einerseits an den kontinuierlichen Bezügen auf die tiefe Philosophiegeschichte liegt, andererseits aber auch durch die sprunghafte Erörterung und unsystematische Struktur bedingt ist. Gleichwohl spricht diese Form nicht gegen den Inhalt, der eine Summe seiner politischen Theorie sein soll. Eine Definition steht auch gleich in der Einführung: "Demokratie ist eine spezifische Form der Selbstbestimmung, die auf den anthropologischen Prämissen der Freiheit und Gleichheit beruht." Und weiter heißt es: "Im Unterschied zu liberalistischen Demokratiekonzeptionen plädiere ich dafür, Demokratie auch als eine Lebensform zu begreifen …" (S. 15). Es geht also nicht nur um Grundrechte und Institutionen, sondern auch um Kultur mit Republikanismus. Damit einhergehenden Auffassungen nähert sich Nida-Rümelin mit kontinuierlichen philosophischen Rekursen an, wobei die Bezüge insbesondere auf Kant und Rousseau immer wieder die Überlegungen vorantreiben.

Ausgangspunkt der Betrachtungen ist dabei verständlicherweise die Krise der liberalen Weltordnung, die auch auf "den Paradigmenwechsel von der sozialen Marktwirtschaft zum Marktradikalismus" (S. 36) zurückgeführt wird. Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle: "Kollektive und individuelle Autonomie treten auseinander und führen zu einer tiefen Krise der Demokratie" (S. 41). Demgegenüber müsse man sich wieder an den essentiellen Basiswerten der demokratischen Gesellschaft orientieren, was dann auch der inhaltliche Anlass für einschlägige Erörterungen ist. Insbesondere die individuelle kollektive Autonomie müsste in ihrem realen Verhältnis neu austariert werden. Dabei gelten Freiheit und Gleichheit als kontinuierlich konstitutive Werte. Ausdrücklich wird auch die Säkularität als Voraussetzung verstanden. Interessante Anmerkungen sind der Demokratiekritik gewidmet, wobei fünf Formen ihrer ideologischen Orientierung unterschieden werden.

Dazu zählt der Autor auch einen an ethnischen Gemeinschaften orientierten Multikulturalismus (vgl. S. 116) – was ansonsten eher selten in einschlägigen Erörterungen thematisiert wird – und bezieht sich auf dessen kommunitaristischen Hintergrund. Ansonsten verweilt Nida-Rümelin bei abstrakten Reflexionen, die wieder viel Stoff für eigene Überlegungen präsentieren. Er betont auch die Bedeutung von Demokratie als Lebensform, muss doch tatsächlich die Alltagskultur von entsprechenden Einstellungen und Tugenden geprägt sein. Es ist auch von "zivilisatorischen Bedingungen, eine[r] Leitkultur des Humanismus" (S.166), die Rede. Doch die auf die Demokratie bezogene Frage "wie sie aus der Krise kommt" bleibt dann doch eher unbeantwortet. Entwickelte Modelle muss ein Philosoph dazu nicht liefern, er sollte so etwas aber auch nicht im Untertitel versprechen. Insofern sind hier eindeutig Defizite zu konstatieren. Gleichwohl findet man auch viele Anregungen in dem Buch, Einwände gegen linke wie rechte Identitätspolitik gehören dazu.

Julian Nida-Rümelin, Was Demokratie ausmacht und wie sie aus der Krise kommt, München 2025, Piper-Verlag, 348 Seiten, 26 Euro

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