Was wurde in der EU gelacht, als Donald Trump 2016 mit dem Versprechen antrat, eine Mauer zu Mexiko zu bauen. Doch schon bald blieben manchen die Lacher im Halse stecken, als die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit dem Vorwurf illegaler Pushbacks konfrontiert war und die ersten stacheldrahtbewehrten Zäune an den Außengrenzen Bulgariens und Griechenlands auftauchten. Nun hat Polen angekündigt, eine 5,5 Meter hohe Mauer zu Belarus bauen zu wollen – um Geflüchtete vom Grenzübertritt abzuhalten. Ein Kommentar von Adrian Beck.
"Wir schaffen das", hieß es 2015, als Zehntausende aus dem bürgerkriegsgeplagten Syrien den Weg nach Europa antraten. In diesem Jahr erlebte das durch die Dublin-Regelung weitestgehend von Flüchtlingsströmen abgeschottete Deutschland zum ersten Mal seit Konzeption der Europäischen Union, was das Grundrecht auf Asyl wirklich bedeutet.
Diese Arbeit hat die BRD wie auch die EU in den Jahren zuvor einseitig auf die Schultern der südeuropäischen Länder abgewälzt. Durch eine nationale Anstrengung, die nicht weniger war als ein humanitärer Gewaltakt, hat Italien in den Jahren 2013 und 2014 mit der Operation Mare Nostrum mehr als 150.000 Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet.
Doch statt Italien hierbei finanziell zu unterstützen, entschied sich die EU, die bis dato unbekannte Grenzschutzagentur Frontex auszubauen. Frontex war allerdings nicht als Seenotrettungsoperation konzipiert und außerdem nur mit einem Drittel der Geldmittel ausgestattet, die Mare Nostrum zur Verfügung hatte. Die Zahl der im Mittelmeer Ertrunkenen stieg daher im Jahr 2015 um das Zehnfache.
Die Lösung des Dilemmas, da sich die EU nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen konnte, war schließlich ein dreckiger Deal mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan. Sechs Milliarden Euro sollten es sein, um den König des Bosporus die Grenzen schließen zu lassen. Dass jene Flüchtlinge, selbst die Kinder unter ihnen, vom türkischen Regime zur Zwangsarbeit herangezogen wurden, ließ die moralingesättigte europäische Politik dann aber doch kalt. Ebenso wie die in epischer Breite dokumentierten Menschenrechtsverletzungen an der griechisch-türkischen Grenze und die erbarmungswürdigen Zustände in Camps wie dem auf der Insel Lesbos. Hauptsache, die Grenzen sind halbwegs dicht.
Wir haben den falschen "Pull-Faktor" betrachtet
Doch Erdoğan hielt nicht dicht, Lukaschenko hat von ihm gelernt und Flüchtende sind nun Waffen in einem paneuropäischen hybriden Krieg. Während deutsche Politiker*innen jahrelang einen "Pull-Faktor" beschworen, der entstünde, wenn man Migrant*innen vor dem Ertrinken oder Erfrieren rette, haben sie völlig übersehen, dass wir uns einen viel gefährlicheren Pull-Faktor herbeibezahlt haben: totalitaristische Despoten, die aufs europäische Steuersäckel schielen.
Wie schon Erdoğan will Lukaschenko nichts anderes, als als "freundlicher Schlepper von nebenan" gesehen zu werden, der gut dafür bezahlt wird, die Grenzen zuzumachen. Wer jahrelang Autokraten mit Geld bewirft, um bloß keine Geflüchteten sehen zu müssen, der sollte sich gar erst nicht wundern dürfen, wenn dieses Geschäftsmodell Schule macht. Peinlich, wenn sich dann auch noch herausstellt, dass Push- und Pull-Faktoren womöglich gar keine so große Auswirkung auf eine Fluchtentscheidung haben.
Gibt's Probleme überall, bau'n wir einfach einen Wall
In Sachen Skrupellosigkeit nimmt es der belarussische Wahlmonarch lässig mit Erdoğan auf. Medienberichten zufolge untersucht die EU aktuell 33 Länder und zahlreiche Airlines, die im Verdacht stehen, Menschen mit falschen Versprechungen nach Minsk auszufliegen, damit diese vom belarussischen Militär an die polnische Grenze transportiert werden können. Wie das regierungsnahe belarussische Nachrichtenportal Belta berichtet, bietet Lukashenko mittlerweile sogar an, Geflüchtete per Staatsairline direkt von Minsk nach München zu bringen.
Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze ist derweil so dramatisch, dass Polen statt des Stacheldrahtzauns nun eine Grenzmauer baut. 5,5 Meter hoch und 350 Millionen Euro teuer soll dieser mit Bewegungsmeldern und Infrarotkameras gespickte Monolith der politischen Planlosigkeit werden; er wird allerdings nur die Hälfte der Grenze abdecken. Das polnische Parlament hat das Projekt bereits durchgewunken, noch vor dem Jahreswechsel sollen die Arbeiten beginnen.
In einer Zeit also, in der die EU und Polen in einen immer unüberbrückbarer scheinenden, identitären Grabenkampf hinsichtlich der Definition des Begriffs "Rechtsstaat" abdriften, sind diese beiden Parteien gleichzeitig kodependente Schicksalsgenossen. Weder ist Polen in der Lage, ohne finanzielle Unterstützung der EU das umzusetzen, was Horst Seehofer in einem Anflug von schriftstellerischer Chuzpe als "bauliche Sicherung der Grenzen" bezeichnete, noch kann die Europäische Union weiter untätig dabei zusehen, wie einer ihrer Mitgliedsstaaten sich jedweder konstruktiven Auseinandersetzung bei der Asylproblematik entzieht.
Die logische Erkenntnis wäre die, dass jeder Euro, der in Grenzmauern und Schleuserdeals mit Schurkenstaaten investiert wird, bei den Geflüchteten besser angelegt wäre. Jeder Euro, den wir heute in die Ausbildung von Geflüchteten investieren, wird in zehn Jahren entweder das europäische Steueraufkommen oder die Lebensqualität in den Heimatländern der Betroffenen erhöhen. Entwicklungshilfe "vor Ort", aber doch auf europäischem Boden, sozusagen.
Doch zuvor müssen wir verstehen, dass man sich von Verantwortung weder freikaufen noch abschotten kann. Wer das versucht, macht sich stets erpressbar. Bis dahin tun fantasielose Bürokrat*innen das, was sie eben immer tun, wenn ihnen nichts mehr einfällt: Aufrüsten, Mauern bauen, Zäune errichten.
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Seehofer und schriftstellerische Chuzpe?
Der ist einfach nur erzreaktionär.
Roland Fakler am Permanenter Link
Das Flüchtlingsproblem kann nicht in Deutschland und nicht an den Grenzen Europas gelöst werden, denn es sind nicht zig Tausend, sondern zig Millionen, die nach Deutschland wollen.
Jochen Beck am Permanenter Link
Gegenwärtig haben wir die Situation, dass die EU vollmundig seit langem ein Asylrecht und ein Zurückweisungsverbot an seinen Grenzen kodifiziert hat.
Ein solcher Widerspruch untergräbt die Herrschaft des Rechts und damit die Demokratie.
Da auf der Welt Milliarden Menschen unter Diktaturen leben, würde eine konsequente Anwendung der Rechtslage einen entsprechenden Migrationsstrom auslösen, was eine komplette sozialökonomische Destabilisierung bedeuten würde. Von der Rechtsradikalisierung ganz zu schweigen.
Die Behauptung des Autors, diejenigen, die kommen wollen, könne man alle ausbilden und damit die eigene Wirtschaftskraft erhöhen und Entwicklungshilfe von hier aus betreiben, ist absurd. Eine gelungene Arbeitsmigration muss sich an Bedarf, Aufnahmekapazität und der Eignung der Arbeitsmigranten orientieren.
Die Herrschaft des Rechts muss wiederhergestellt werden, der genannte Widerspruch muss beseitigt werden, aber eben nicht so wie der Autor es genannt hat, sondern auf dem anderen Weg.
H. Lambert am Permanenter Link
Ein unangemessener Artikel zu einem Problem, für das keiner eine Lösung hat. Außer dem Autor auf der Grundlage von Irrtümern.
Übrigens: Gescheitert sind nicht die Befürworter sicherer Grenzen, sondern die offener Grenzen. Also fast alle im Bundestag vertretener Parteien.
David Z am Permanenter Link
Ich kann der Position des Autors nicht zustimmen. Selbstverständlich brauchen wir ein stabiles Grenzregime für Europa und offensichtlich auch Mauern und Zäune. Es ist grenzenlos naiv, irgendetwas anderes anzunehmen.
Ein paar kritische Anmerkungen:
"ließ die moralingesättigte europäische Politik dann aber doch kalt. "
Weder die EU noch Deutschland hat die moralische Pflicht und erst recht nicht das Mandat, die Welt von jeglichem Übel retten zu wollen.
"Während deutsche Politiker*innen jahrelang einen "Pull-Faktor" beschworen, der entstünde, wenn man Migrant*innen vor dem Ertrinken oder Erfrieren rette, haben sie völlig übersehen, dass... "
Nein. Nicht die Rettung verursacht den Pull-Faktor, sondern die Überstellung, bzw präziser: Schleppung, nach Europa.
" Peinlich, wenn sich dann auch noch herausstellt, dass Push- und Pull-Faktoren womöglich gar keine so große Auswirkung auf eine Fluchtentscheidung haben."
Selbstverständlich haben Pull Faktoren einen Einfluss. Warum sonst wollen die meisten in die reichen West- und Nordeuropäischen Länder, insbesondere Germany?
"... einer ihrer Mitgliedsstaaten sich jedweder konstruktiven Auseinandersetzung bei der Asylproblematik entzieht."
Die Polnische Position setzt das um, was zu erwarten ist: das unkontrollierte Eindringen von illegaler Migration, die zudem grösstenteils auch noch gewalttätig ist, zu verhindern.
"Die logische Erkenntnis wäre die, dass jeder Euro, der in Grenzmauern und Schleuserdeals mit Schurkenstaaten investiert wird, bei den Geflüchteten besser angelegt wäre."
Nein. Die logische Erkenntnis ist die, dass das Thema ohne diese Massnahmen, insbesondere der Sebstbestimmtheit, die eine Mauer bietet, nicht unter Kontrolle zu kriegen ist.
" Jeder Euro, den wir heute in die Ausbildung von Geflüchteten investieren, wird in zehn Jahren entweder das europäische Steueraufkommen oder die Lebensqualität in den Heimatländern der Betroffenen erhöhen."
Ersteres ist statistisch so nicht zu erkennen und zweiteres ist kein Argument für illegale Migration.
"Doch zuvor müssen wir verstehen, dass man sich von Verantwortung weder freikaufen noch abschotten kann. Wer das versucht, macht sich stets erpressbar. "
Welche Verantwortung? Erpressbar macht sich der, der nicht selbstbestimmt handeln kann. Polen zeigt uns grade, wie selbstbestimmtes Handeln funktioniert.
Manfred H. am Permanenter Link
Immer wieder bemerkenswert, wie sich Ihre Auffassung von Ethik wandelt, je nachdem, ob es sich bei den Betroffenen um Flüchtlinge handelt oder um Impfverweigerer.
Sind die ersteren selbstverschuldet in Not geraten, gibt es plötzlich keinerlei moralische Pflicht mehr.
Bei selbstverschuldet in Not geratenen Impfverweigerern sind hingegen höchste ethische Standards einzuhalten.
David Z am Permanenter Link
Selbstverständlich ist Ethik wandelbar. Alles andere wäre Dogmatismus.
Aber prima, dass Sie die selbstverschuldete Not bei einigen der Migraten erkennen. Nun sollten sie noch daran arbeiten zu erkennen, worin der Unterschied zw Mitbürgern, die Teil unserer Gesellschaft und Sozialsystems sind, und Migranten vom anderen Ende der Erde, liegt.