Interview

Für unabhängige Informationen über Beschneidungen in Afrika

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Vor Ort gibt es auch Widerstand: In Kenia wurde gegen die männliche Beschneidung demonstriert
Demo gegen Beschneidung in Kenia

23 Millionen Männer wurden in Afrika in den vergangenen zwölf Jahren beschnitten, da dies das Risiko, sich mit AIDS zu infizieren, verringern soll. Große internationale Organisationen unterstützen die Kampagne. Was dabei mitunter auf der Strecke bleibt, sind Freiwilligkeit und ausgewogene Information. Der Journalist Ulli Schauen möchte eine Radiosendung verwirklichen, in der über das Thema aufgeklärt und diskutiert werden soll und deren Ausstrahlung afrikanischen Sendern kostenlos zur Verfügung stehen soll. Dafür sucht er Unterstützer. Der hpd hat mit ihm über sein Projekt gesprochen.

hpd: Herr Schauen, Sie haben ein Crowdfunding-Projekt für eine Radiosendung zur männlichen Beschneidung gestartet, die bei verschiedenen afrikanischen Sendern laufen soll. Könnten Sie das Konzept kurz erläutern?

Ulli Schauen: Das Ergebnis meiner Recherchen zu der US-Kampagne für männliche Beschneidung in Afrika können Sie in dem Feature des Deutschlandfunk anhören, das noch online steht. Ich fand es äußerst schade, dass ich keinen Auftrag von einem englischsprachigen Sender für eine englische Version akquirieren konnte. So wird wieder mal über das berichtet, was mit Afrika gemacht wird, aber die Afrikaner bleiben stumm. Deshalb möchten die ugandische Journalistin Jane Ayeko-Kümmeth und ich nun erreichen, dass der Norden der Welt ihnen eine Serie von Episoden dazu spendiert, in einem Format, das die vielen kleinen Radiostationen mögen. Meine Rechercheergebnisse können sie dadurch mit ihren Zuhörern diskutieren.

Worum wird es in den einzelnen Episoden gehen?

Nur ein paar Beispiele: Wozu ist die Vorhaut gut, wie kam es zu der Kampagne, wer macht sie, mit welcher Motivation und welchem Geld. Welche Informationen, Hintergründe und Forschungsergebnisse werden bei den mit viel Geld durchgeführten Pro-Zirkumzisions-Kampagnen unterschlagen, welche Behauptungen erscheinen glaubwürdig, welche nicht. Lass uns über Sex reden, ist es besser mit oder ohne?
Wer Englisch versteht, kann den Inhalt von 15 geplanten Episoden auf der Kickstarter-Seite nachlesen.

Der Nutzen der Zirkumzision bei der AIDS-Bekämpfung ist umstritten. Warum wird sie weiterhin propagiert?

Ulli Schauen arbeitet seit über 30 Jahren als freier Journalist und Journalismus-Trainer. Zwischen 2015 und 2019 bildete er kenianische Radio-Journalisten aus. Außerdem entwickelte er Idee und Konzeption für die Website "Reporting on Good Governance in Kenya". Sie soll Medienberichterstatter unterstützen, indem sie geltende Regeln erklärt und Originalquellen zugänglich macht.

Die Pro-Seite hat in drei klinischen Tests mit "randominisierten, kontrollierten Kontrollgruppen" vor 2007 gezeigt, dass unter den Testbedingungen die Wahrscheinlichkeit für einen Mann, sich mit dem HI-Virus beim ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer AIDS-kranken Frau zu infizieren, um 60 Prozent sinkt. Solche Studien gelten in der Wissenschaft als der Goldstandard, an dem man nicht vorbeikommt. Dies fiel auf fruchtbaren Boden bei den Befürwortern von Babybeschneidungen in den USA. Es gelang dieser Community, die WHO und damit auch ihre Unterorganisationen UNICEF und UNAIDS zu überzeugen – auch indem die kritischen Stimmen systematisch ausgeblendet wurden. Und seitdem passiert es. Es ist schwer, davon wieder runterzukommen. Jede Senkung der AIDS-Prävalenz in afrikanischen "Zielgebieten" führen die Beschneider darauf zurück, dass sie seit 2007 so viele Vorhäute im Rahmen der Kampagne abgeschnitten haben.

Die Kritiker hingegen haben überzeugend gezeigt, dass im richtigen Leben die damaligen klinischen Studien nicht viel bedeuten. Es kommt auf das Risikoverhalten beim Sex an, auf Verkehr mit oder ohne Kondom oder auf den Grad von Promiskuität. Kondome schützen zu mehr als 95 Prozent. Demgegenüber bewirkt eine Risikoabsenkung um 60 Prozent kaum etwas. Wer zur AIDS-Vorbeugung beschnitten ist, könnte sogar meinen, er sei nun dadurch geschützt und könne ohne weiteren Schutz Verkehr haben. Und das passiert. Außerdem kann man sich mit AIDS nicht nur durch Geschlechtsverkehr anstecken.

Sie deuten an anderer Stelle an, dass die Beschneidungen, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden, nicht immer freiwillig stattfinden. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung und wie werden die Jungen unter Druck gesetzt?

Gegenfrage: Wie kann ein 11-Jähriger rundum über Vor- und Nachteile der Beschneidung inklusive Safe Sex informiert werden, bevor er seinen Eltern ein Formular zum Unterschreiben nach Hause bringt, damit er beschnitten wird? Und welche Qualität hat diese Art von Information der Eltern?
Der Gruppendruck unter den Jungen ist riesig, beispielsweise bei den Luo am Viktoriasee, die zu den traditionell nicht beschneidenden Ethnien gehören. Unbeschnittene Jungen werden als Feiglinge und Dreckspatzen gehänselt. Manche Propagandisten haben den Jungs an den Schulen erzählt, ihre Vorhaut sei so was wie ein gekochter Ziegendarm oder ein alter Jackenärmel und sie würden zu unverantwortlichen Virenschleudern, wenn sie sie nicht loswerden. Die Hochrechnung einer Studie in Kenia besagt außerdem, dass dort alleine binnen drei, vier Jahren 35.000 Jungen auch ohne formale Zustimmung beschnitten wurden. Zum Teil haben Beschneidungsteams mit einem Kleinbus Kinder an Grundschulen abgeholt und sie dort abends beschnitten wieder abgesetzt.

Jane Ayeko-Kümmeth und Ulli Schauen
Die Journalisten Jane Ayeko-Kümmeth und Ulli Schauen wollen das Projekt zusammen umsetzen. Foto: © Ulli Schauen

Sie bringen auch den Begriff "Beschneidungs-Industrie" ins Spiel. Wie ist das zu verstehen?

Die Milliarden aus den USA, vor allem vom Präsidentenfonds zur AIDS-Bekämpfung PEPFAR, haben in 15 Ländern viele Jobs in afrikanischen NGOs geschaffen. Die müssen ihre Existenz gegenüber den Geldgebern permanent legitimieren, indem sie ambitionierte Planzahlen umsetzen.
Jetzt haben in Kenia 20 Nichtregierungsorganisationen dagegen protestiert, dass PEPFAR die Etats kürzen will. Die US-Amerikaner haben nämlich 13 Jahre nach dem Start der Aktion festgestellt, dass sie es nicht verantworten können, die nicht entwickelten Vorhäute der Babys und unter 15-Jährigen beschneiden zu lassen. Es gab zu viele Komplikationen und darüber hinaus – so mein Rechercheergebnis – auch eine hohe Dunkelziffer von fehlgeschlagenen Beschneidungen.

Wie kamen Sie zu diesem Thema?

Ich war durch die Recherche zu meinem Radiobericht zum Thema "Wozu ist die Vorhaut nütze?" seit 2011/12 sensibilisiert. Für Radiotrainings bin ich ab 2014 jahrelang immer wieder in Kenia gewesen und sah dort im Markthaus von Fischern am Viktoriasee ein Plakat, mit dem eine Entwicklungsorganisation für Zirkumzision warb. Das hat mich neugierig gemacht. Aber es hat lange gedauert, bis ich eine deutsche Redaktion von dem Thema überzeugen konnte. Seit 2012, nach den Konflikten mit den Juden und Muslimen um das Thema, fürchten die Redakteure in den Sendern jede Berichterstattung über das Pro und Contra von Beschneidung wie der Teufel das Weihwasser.

Was treibt Sie an, dieses Projekt zu verwirklichen?

Die es betrifft sollten rundum unabhängig informiert sein, statt mit Propaganda und bezahlten Radiosendungen bearbeitet zu werden wie bisher. Die afrikanischen Radios haben kein Geld, das selbst zu realisieren.

Wer das Projekt unterstützen möchte, kann das noch bis 28. September hier tun.

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