Die kleine Stadt Lüdinghausen im katholischen Münsterland scheint sich zu einer Hochburg kritischer Geister zu entwickeln – Menschen, die nicht gewillt sind, kirchliche und religiöse Willkür hinzunehmen. Nach einem pensionierten Lehrer, der für ketzerische Sprüche auf seiner Heckscheibe nach dem so genannten Gotteslästerungsparagraphen verurteilt wurde, probt nun auch der Stadtrat den Widerstand gegen Habgier und Allmachtsgebaren der katholischen Kirche. Wahrscheinlich wird es nur eine kurze Probe.
An der Fassade steht nur das Wort "Bücherei". Die Bürgerinnen und Bürger von Lüdinghausen nennen sie "Stadtbücherei". Und tatsächlich könnten Außenstehende sie für eine ganz normale städtische Bücherei halten, doch sie trägt versteckt in ihrem vollen Namen einen verräterischen Hinweis: "St. Felizitas".
"Die Stadtbücherei St. Felizitas ist eine Kultur- und Bildungseinrichtung für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Lüdinghausen und Umgebung. Unser Träger ist die katholische Kirchengemeinde St. Felizitas, die die Bücherei mit vertraglich festgelegter Unterstützung der Stadt Lüdinghausen betreibt." So ist es auf der Homepage der Stadtbücherei nachzulesen.
Nachfragen ergaben, dass die "Unterstützung der Stadt Lüdinghausen" nicht in einem freundlichen Almosen besteht, sondern in der Übernahme von stolzen 66,5% der Gesamtkosten. Die Kirche trägt lediglich 33,5% der Kosten. Trotzdem gilt selbstverständlich kirchliches Arbeitsrecht. Wobei die meiste Arbeit ohnehin von ehrenamtlichen Helfern verrichtet wird. Was die Auswahl der Bücher angeht, hat die Stadt über den Bücherbeirat zwar offiziell ein Mitwirkungsrecht, jedoch kaum echte Entscheidungsrechte. Die alte Leier bei öffentlich finanzierten Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft.
Die städtische Kooperation mit der Bücherei St. Felizitas ist im Rat von Lüdinghausen aktuell ein ziemlich heißes Thema. Nach 15 Jahren sollte der Kooperationsvertrag turnusgemäß mit Ablauf des Jahres 2016 enden und durch einen neuen Vertrag ersetzt werden. Sicherlich wäre dies auch schon längst heimlich, still und leise geschehen, wenn der Kirche nicht eines der von ihr offiziell verpönten und inoffiziell gehegten Laster in die Quere gekommen wäre: die Habgier.
Ohne Absprache mit der Stadt Lüdinghausen gab es Gespräche zwischen der Kirchengemeinde als Trägerin der Stadtbücherei St. Felizitas und einem Investor, der sich die Bücherei als sichere Ankermieterin in einem Neubau wünschte. Die Kirche lockte die Vorstellung außerordentlich, ihren Altbau zu verlassen und in ein nagelneues Gebäude umzuziehen. Es gab nur ein kleines Problem: Die Mietkosten. Denn natürlich sind diese am neuen Standort um ein Vielfaches höher. Da die Stadt laut Kooperationsvertrag zwei Drittel aller Kosten trägt, regte sich Widerstand in den Reihen des Rates. Bei einem Verbleib am jetzigen Standort hätte die Stadt durch Umbaumaßnahmen knapp 6.000 € jährlich sparen können, während der neue Standort eine Mehrbelastung von über 11.000 € pro Jahr bedeuten würde.
Das Thema wurde mehrfach in Sitzungen besprochen, die Öffentlichkeit diskutierte mit und schrieb Leserbriefe, bis es schließlich in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 8. März zum Showdown kam.
Rund 30 Minuten Redezeit wurden dem Pfarrer der Kirchengemeinde St. Felizitas eingeräumt, um seine Sicht der Dinge noch einmal darzustellen.
Laut einer Quelle aus den Reihen des Rates nutzte Pfarrer Elshoff diese Zeit unter anderem, um den gewählten Vertretern des Volkes indirekt zu drohen – aus seiner Perspektive freilich war es nur eine freundliche Information: Falls die Stadt nicht bereit wäre, die Kosten für die neuen Räumlichkeiten zu tragen, so könne es passieren, dass der Kirchenbeirat darüber nachdenke, die Partnerschaft mit der Stadt in Sachen Bücherei komplett aufzulösen. Eine Drohung, die übrigens nur durch Augen- und Ohrenzeugen verbürgt ist. Im offiziellen Sitzungsprotokoll heißt es hierzu:
"Stv. Spiekermann-Blankertz möchte wissen, ob die Möglichkeit bestehe, dass der Kirchenvorstand sich gegen einen Abschluss eines Vertrages mit der Stadt Lüdinghausen entscheiden werde. Pfarrer Elshoff entgegnet, dass er sehr zuversichtlich sei, dass es, egal an welchem Standort, einen Vertrag zwischen der Stadt Lüdinghausen und der Kirchengemeinde St. Felizitas geben werde."
Die nicht protokollierte indirekte Drohung des Pfarrers sorgte im Rat von Lüdinghausen parteiübergreifend für Empörung. Man sprach sich für eine Verlängerung des Kooperationsvertrages am alten Standort aus. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass der Rat nicht bereit war, sich auf die Erpressung der Kirche einzulassen und die Kosten für den neuen Standort zu tragen.
Kurze Zeit später wurde dem Rat von der Verwaltung der Stadt Lüdinghausen mitgeteilt, dass die Kirche den bestehenden Kooperationsvertrag zum 31.12.2016 gekündigt habe und den neuen Vertrag in der vorliegenden Form – also mit Verbleib am alten Standort – ablehne.
Dass die Kirche ihre Drohung wahr machte, führte dazu, dass man aus den Reihen des Rates nun doch auf die Kirchengemeinde zuging und neu mit ihr verhandelte. Bürgermeister Borgmann betonte, dass man eine Zusammenarbeit mit der Kirche beibehalten wolle. Denn wenn die Stadt Lüdinghausen die Bücherei allein übernehme, sei dies viel teurer für die Stadt.
Sicherlich ein bedenkenswertes Argument. Allerdings sollte sich der Rat umgekehrt auch die Frage stellen, warum die Stadt für eine Bücherei bezahlen soll, bei der sie nicht mal hinsichtlich der Anschaffung von Büchern wirkliches Mitspracherecht hat. Dabei wäre eine nicht-religiöse Auffrischung des Bestands dringend angeraten.
Ob sich der Rat Lüdinghausen nun doch noch von der Kirche erpressen lässt, wird sich am 3. November zeigen, wenn in der nächsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses erneut über die Causa "Stadtbücherei St. Felizitas" verhandelt wird. Natürlich wieder im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung. Mauscheleien zwischen Politik und Kirche funktionieren eben am besten, wenn sie im Geheimen stattfinden.
7 Kommentare
Kommentare
Martin Mair am Permanenter Link
Abgesehen davon, dass 11.000 Euro JÄHRLICH mehr für eine Bücherei nicht wirklich viel ist, stellt sich die gute Frage: Wo bleibt das Alternativprojekt?
Auch geht aus dem Artikel nicht hervor, wie die Bibliothek geführt ist und wie weit die kirchliche Trägerschaft auf die Auswahl der Medien sich auswirkt. Dass die Kirche ohne Eigennutz dazuzahlt ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Wolfgang am Permanenter Link
Mauscheleien zwischen Politik und Kirche funktionieren eben am besten, wenn sie im Gemeinen stattfinden! Traue keinem Politiker und Theologen,
von beiden wirst du stets belogen!
Noncredist am Permanenter Link
>> Denn wenn die Stadt Lüdinghausen die Bücherei allein übernehme, sei dies viel teurer für die Stadt. <<
Wenn die Stadt also die Bücherei übernehme, sie säkular befüllen und ggf. mit ehrenamtliche Menschen betreiben würde, dann wäre eine solche Einrichtung VIEL teurer für die Stadt? Im Umkehrschluss wäre ein kirchliches Arbeitsrecht zum Ungunsten der Mitarbeiter, mangelhafte Entscheidungsmöglichkeiten und die Übernahme von zweidrittel der Kosten für solche Privilegien wesentlich besser? Weshalb nicht direkt 0% Anteil durch die Stadt, und dafür darf die Kirche alles mit der Bücherei machen, was sie ohnehin schon macht?
Wenn die Stadt dreiviertel einer Bücherei "mitträgt" - an anderer Stelle würde man von einer Mehrheit sprechen - dann erwarte ich auch nichts geringeres als ein duckmäuserisches Verhalten, oder? :)
Es scheint ungemütlich zu sein, einen gewissen Preis für die Freiheit, der Gleichheit und Unabhängigkeit zu bezahlen. Stattdessen übernimmt man zweidrittel der Kosten für eine Abhängigkeit und eines einseitigen ideologischen Diktats. Dieses "Vorbild" sollten wir möglichst weit ausdehnen. Auf alle Arten des soziokulturellen Zusammenlebens! Just kidding :)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich frage mich immer häufiger: "Wo bin ich hier eigentlich?"
Und dann fällt mir wieder ein: Kirchenrepublik Deutschland.
Paul am Permanenter Link
Mich würde interessieren, was die Stadt noch so an Gelder den Pfaffen hinterherwirft, welche auf 200 Jahre alte Verträge beruhen, würden diese eventuell aufgekündigt, würde es locker und flockig für eine 100%ige Finan
Mark Keller am Permanenter Link
In Lüdinghausen ist das bestimmt nicht abwegig. Im ganzen Münsterland hat der Katholizismus noch einen Status, über den man andernorts staunen dürfte. Läuft für die Kirche.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Baden-Württemberg ist es viel schlimmer - da kommen die evg. Pietisten dazu und Kretschmann herrscht bei den Grünen.